Gudjon Valur Sigurdsson von den Rhein-Neckar Löwen gehört nicht nur zu den bekanntesten Spielern der Welt, er ist auch isländischer Rekordtorschütze und hat nahezu jeden Vereinstitel Europas gewonnen. Im Interview spricht er über die Talente in Island, seine bewegte Karriere sowie die Sportbegeisterung in seiner Heimat.
SPOX: Herr Sigurdsson, mit dem Sieg gegen die Füchse Berlin haben Sie zuletzt einen der Konkurrenten um den Titel geschlagen. Wie wichtig war der Erfolg?
Gudjon Valur Sigurdsson: Das war auf jeden Fall ein wichtiger Sieg. Wir wollen so lange wie möglich ein Wörtchen um die Meisterschaft mitreden. Wir hatten uns vorgenommen, dass die Niederlage gegen Flensburg die einzige in der SAP Arena bleiben soll.
SPOX: Sie würden also sagen, dass die Rhein-Neckar Löwen bislang im Soll sind?
Sigurdsson: Ja, absolut. Es bringt jetzt auch nichts mehr, sich über die Niederlage aufzuregen. Wir können nur die ausstehenden Spiele beeinflussen. Wir liegen, bei Betrachtung der Minuspunkte, gleichauf mit Kiel und Flensburg. Wir müssen jetzt einfach konzentriert weiterarbeiten.
SPOX: Blicken wir auf Ihre ereignisreiche Karriere zurück. Ihre Zeit als Handballer begann bereits im Alter von 16 Jahren bei Grotta KR in Ihrer Heimat Island. Ist es normal, dass aufstrebende Talente bereits so früh den Sprung in den Kader der ersten Mannschaft schaffen?
Sigurdsson: Es gibt viele, denen dieser frühe Sprung gelingt. Mittlerweile haben wir aber das Problem, dass viele Island zu früh verlassen.
SPOX: Warum zu früh?
Sigurdsson: Ich habe, bevor ich nach Deutschland gewechselt bin, über fünf Jahre in einer ersten Mannschaft gespielt. In dieser Zeit habe ich gelernt, was es heißt, ein wichtiger Spieler in einer guten Truppe zu sein, um die Meisterschaft zu spielen und diese auch zu gewinnen. Ich durfte so recht früh viel Verantwortung übernehmen. Heute ist es so, dass viele junge Spieler diese Chance auch bekommen, dann aber zu früh zu einem mittelmäßigen Klub wechseln, ohne diese Erfahrungen gemacht zu haben.
SPOX: Sie sprachen gerade von Ihrem Wechsel nach Deutschland. War die Handball-Bundesliga zum Beginn des neuen Jahrtausends das einzige Ziel, das man für den nächsten Karriereschritt ansteuern konnte?
Sigurdsson: Absolut nicht. Ich hatte ein Jahr zuvor ein Angebot aus Spanien, das mich durchaus gereizt hätte. Mein Klub, KA Akureyri, wollte mich aber nicht gehen lassen. Im Nachhinein war das eine richtige Entscheidung. Das letzte Jahr auf Island hat mir in meiner Entwicklung sehr geholfen. Dennoch hätte ich das Angebot damals gerne angenommen, Spanien war eine Option.
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SPOX: Nach Ihrem ersten Titel auf europäischem Parkett mit dem finanzgeplagtem TUSEM Essen wechselten Sie 2005 zum VfL Gummersbach. Für Sie persönlich waren die drei Jahre beim VfL die erfolgreichsten, auch wenn Sie Ihre Titelsammlung nicht erweitern konnten.
Sigurdsson: Gummersbach wollte damals, genau wie später die Löwen, oben angreifen und Kiel ärgern. Man hat sich von der sicherlich gut besetzten Mannschaft einiges versprochen. Sie haben Recht, rein toretechnisch waren es meine erfolgreichsten Jahre, aber ich habe mich in Gummersbach auch sehr wohl gefühlt. Leider gab es dann ähnliche Probleme wie zuvor in Essen, wenn auch nicht so gravierend.
SPOX: War das der Zeitpunkt, als Sie sich entschieden, zu einem Spitzenklub zu wechseln?
Sigurdsson: Das war auf jeden Fall ein Faktor. Das Angebot des VfL stand dem der Löwen in nichts nach. Allerdings hat mein Verkauf an die Löwen dazu beigetragen, dass der Verein nicht in noch größere Schwierigkeiten rutschte. Deshalb war der Wechsel für alle die beste Option.
SPOX: Der Wechsel zu den Rhein-Neckar Löwen erfolgte im Jahr 2008. Sahen Sie die aufstrebende Mannschaft zu dieser Zeit als Ihr bislang spannendstes Projekt an?
Sigurdsson: Verein und Mannschaft haben sich damals sehr viel versprochen. Allerdings kam dann alles ganz anders.
SPOX: Erklären Sie.
Sigurdsson: Juri Schewzow, der damalige Trainer, wurde nach wenigen Wochen entlassen und Wolfgang Schwenke übernahm. Schwenke musste erstmal hart arbeiten, um Teile der Mannschaft auf seine Seite zu bekommen, da diese sehr an Juri hingen.
SPOX: Das gelang ihm offenbar. Am Saisonende stand mit Platz drei die bis dato beste Platzierung.
Sigurdsson: Ja, Wolfgang hat das super gemacht. Wir haben, wie bereits angesprochen, eine ganz ordentliche Saison gespielt. Wir hatten allerdings einen sehr großen Kader, ein Umbruch stand an und dann wurde Ola Lindgren verpflichtet. Da war dann das Problem, dass er als Trainer zu einer Mannschaft kam, die er nicht zusammengestellt hatte.
SPOX: Machte sich das bemerkbar?
Sigurdsson: Ich denke schon, dass Ola die Mannschaft lieber selbst zusammengestellt hätte und sich ein bisschen geärgert hat. Aber in seinem zweiten Jahr war das dann der Fall. Dennoch musste er relativ früh, nach einem eigentlich guten Start in die Saison gehen, das zeigt vielleicht am besten, wie unruhig es hier damals war.
SPOX: Dennoch hat eine manchmal etwas unruhige Situation auch ihr Gutes.
Sigurdsson: Ja. Man lernt, sich voll und ganz auf Handball zu konzentrieren und die Störgeräusche auszuschalten. Das war auch für mich eine wichtige Erfahrung.
SPOX: Waren die Störgeräusche 2011 ein Grund für Ihren Wechsel zur AG Kopenhagen?
Sigurdsson: Nein, es stand der nächste Umbruch an. Ich wäre zwar gerne geblieben, hatte aber schnell einen neuen Verein gefunden. Durch die Situation, dass Jesper Nielsen sowohl bei den Löwen als auch in Kopenhagen das Sagen hatte, hätte ich damals aber für jeden Verein außer Kopenhagen eine Ablöse gekostet. Ich war lange verletzt, deshalb hätte kein Klub nach dem langen Ausfall eine Ablöse für mich bezahlt, was ich auch sehr gut verstehen kann.
SPOX: Wie war das Jahr in Kopenhagen für Sie?
Sigurdsson: Ich ging nach Kopenhagen, um einfach auch den Kopf wieder frei zu bekommen. Das war vielleicht die beste Entscheidung meines Lebens.
SPOX: Warum?
Sigurdsson: Das Jahr hat mir sehr viel bedeutet. Die Mannschaft und der Klub waren überragend. Es war wahrscheinlich die größte Handball-Party aller Zeiten. Auch das Medieninteresse kann man mit keinem Verein in Deutschland vergleichen. Dazu kommt natürlich, dass wir in der Saison auch das Double gewinnen konnten und im Final Four der Champions League standen.
SPOX: Nach einem Jahr in Dänemark ging es jedoch zurück in die Bundesliga zum THW Kiel. Sie sprachen damals davon, dass ein Traum in Erfüllung gegangen sei.
Sigurdsson: Rein sportlich hätte es beim THW fast nicht besser laufen können. Wir haben zwei Mal die Meisterschaft gewonnen, 2013 sogar das Double und standen zwei Mal in Folge im Final Four der Champions League. Hinzu kommt natürlich das Saisonfinale 2014, als wir mit zwei Toren Vorsprung vor den Löwen Meister wurden.
SPOX: Das war wohl das engste Saisonfinale aller Zeiten. Hatten Sie als Ex-Spieler der Löwen Mitleid mit Ihren alten Teamkollegen?
Sigurdsson: Für einige Spieler tat es mir auf jeden Fall leid. Ich weiß, wie sehr diese auf die erste Meisterschaft hingearbeitet haben. Allerdings muss ich natürlich auch sagen, dass ich als Spieler des THW nun mal die Aufgabe hatte, beim Erreichen der Meisterschaft mitzuhelfen.
SPOX: Es folgte der Wechsel zum FC Barcelona.In Ihrer ersten Saison bei den Katalanen erreichten Sie zum fünften Mal in Folge das Final Four der Königsklasse. Während Ihnen der Titel zuvor verwehrt blieb, gelang mit Barcelona der ersehnte Erfolg. War es für Sie einfach an der Zeit, diesen Pokal in den sprichwörtlichen Himmel heben zu dürfen?
Sigurdsson: Ja, auch wenn ich nicht nur dafür trainiere, um am Saisonende die Champions League zu gewinnen. Wir hatten damals eine überragende Mannschaft. In der kompletten Saison haben wir nur ein Spiel verloren. Wir haben einfach einen super Handball gespielt. Nach den Anläufen zuvor war die Freude über den Titel vielleicht noch etwas größer.
SPOX: Sie sagten 2015, dass Barcelona in Spanien eigentlich ohne Konkurrenz sei. Wurde deshalb der Fokus schon früh auf den Titel in der Königsklasse gelegt?
Sigurdsson: Wir wussten, dass im Normalfall am Saisonende die Meisterschaft und der Sieg im spanischen Pokal stehen würden. 2014 verlor Barcelona das Halbfinale in der Verlängerung gegen Flensburg. Deshalb ging es von Beginn an eigentlich nur um die Champions League
SPOX: Mit der isländischen Nationalmannschaft, bei der Sie mittlerweile Rekordtorschütze sind, blieben Ihnen Titel dagegen verwehrt. Sie sollen früher selbst ganz gut Fußball gespielt haben. Haben Sie im vergangenen Sommer bei der EM in Frankreich also besonders mitgezittert?
Sigurdsson: (lacht) Nein, besonders nicht. Wir waren alle sehr stolz auf unsere Fußballer. Ich durfte als Handballer in mittlerweile 19 großen Turnieren erleben, welch eine Euphorie auf Island entstehen kann. Bei Länderspielen sind es dann TV-Quoten von bis zu 85 Prozent. Da können nur ganz wenige Nationen mithalten.
SPOX: Wie war für Sie die Erfahrung, ein Turnier als Fan zu erleben?
Sigurdsson: Ich habe mich riesig gefreut, schließlich gibt es keine Konkurrenz zwischen Fußball und Handball. Dieser Zusammenhalt, die Treffen zu den Spielen, es dreht sich einfach alles um den Sport. Deshalb hat mich das Abschneiden sehr gefreut. Als ich damals mit Kapitän Aaron Gunnarsson gesprochen habe, habe ich aber auch gesagt, dass es jetzt weiter geht und ich mich schon auf das nächste Turnier mit isländischer Beteiligung freue.
SPOX: Hätten wir Sie, wenn Sie sich damals für Fußball entschieden hätten, auch in Frankreich bewundern dürfen?
Sigurdsson: Nein, so gut wäre ich wahrscheinlich nicht geworden. Außerdem bin ich mit 37 Jahren nicht unbedingt im besten Fußballer-Alter. Die Entscheidung für den Handball bereue ich natürlich absolut nicht, schließlich habe ich eine ganz gute Karriere hingelegt. (lacht) Ich hoffe auch, dass es noch ein paar Jahre weiter geht.
SPOX: Also ist bei Ihrem Vertragsende im Sommer 2018 noch nicht Schluss mit Handball?
Sigurdsson: Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Das muss auf der einen Seite der Klub entscheiden, ich für meinen Teil fühle mich sehr wohl. Wir haben bei den Löwen ein großartiges Mannschaftsgefüge. Ich hoffe, dass es noch einige Jahre werden, aber da spricht irgendwann auch der Körper ein Wörtchen mit. Ich habe mich auf jeden Fall noch nicht entschlossen, 2018 Busfahrer zu werden oder BWL zu studieren. (lacht)
Gudjon Valur Sigurdsson im Steckbrief