"Kiel hat ein noch größeres Problem"

SID
Alfred Gislason und seine Kieler bekommen es im CL-Achtelfinale mit den Löwen zu tun
© getty

In der Champions League steht der Achtelfinal-Knaller zwischen dem THW Kiel und den Rhein-Neckar Löwen auf dem Programm (Hinspiel am Mittwoch, 18.30 Uhr im LIVETICKER). SPOX-Handball-Kolumnist Dr. Rolf Brack erkennt bei beiden Klubs eine extreme Abhängigkeit von jeweils einem Spieler. Der langjährige HBL-Coach nennt die Gründe für das Ende der deutschen Dominanz und wagt eine Prognose.

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Der THW Kiel und die Rhein-Neckar Löwen haben durch unerwartete Niederlagen in der Gruppenphase eine bessere Platzierung verpasst, weshalb es leider schon im Achtelfinale zu diesem brisanten deutsch-deutschen Duell kommt. Im Vergleich ist allerdings der fünfte Platz des THW in der extrem starken Gruppe A mit den Gegnern Paris, Barcelona, Veszprem und Flensburg weniger enttäuschend als Rang vier der Löwen in der deutlich schwächeren Gruppe B.

Es zeigt sich von Jahr zu Jahr mehr, dass die Dominanz der deutschen Vereine in der Champions League Vergangenheit ist. Dafür gibt es zwei Hauptursachen: Die Überbelastung der deutschen Klubs und die zunehmende Qualität der Konkurrenten.

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Die ausländischen Topteams bestreiten ihre Champions-League-Spiele in ausgeruhtem Zustand, weil sie in ihren heimischen Ligen kaum gefordert werden. Sie können deshalb körperlich und mental topfit die internationalen Spiele als Saisonhöhepunkte in Angriff nehmen.

Dagegen haben die deutschen Mannschaften bis Ende Februar schon zahlreiche harte Spiele gegen starke Bundesligakonkurrenten in den Knochen. Sie sind damit deutlich mehr zur Rotation und einer kraftsparenden Spielweise auf internationalem Terrain gezwungen.

Viele Topspieler weg aus der HBL

Damit hängt auch die Verbesserung der internationalen Konkurrenz zusammen. Spielten vor einigen Jahren noch 90 Prozent der weltbesten Spieler in der Bundesliga, hat sich diese Quote aktuell deutlich verringert.

Es ist leicht nachvollziehbar, dass es immer mehr Topspieler nach Paris, Veszprem, Kielce oder Barcelona zieht. Dort können sie teilweise ein noch höheres Gehalt als in Deutschland bei einem gleichzeitig deutlich geringeren Aufwand beziehen.

Extreme Abhängigkeit von Schmid

Aber zurück zum anstehenden Champions-League-Kracher: Vor allem die klaren Niederlagen der Löwen an den letzten beiden Spieltagen der Gruppenphase in Celje und in eigener Halle gegen Szeged waren sehr ernüchternd im Vergleich zu den bis dahin gezeigten Leistungen.

Es war klar ersichtlich, dass die Mannschaft von Trainer Nikolaj Jacobsen aufgrund des kleinen Kaders in der Champions League bestrebt war, Leistungsträger zu schonen und zusätzlich die Spiele möglichst ökonomisch zu absolvieren. Deshalb haben die Löwen im Vergleich zu allen anderen Mannschaften sehr oft mit dem siebten Feldspieler agiert.

Unabhängig davon ist jedoch das größte Problem die extreme Abhängigkeit von Andy Schmid. Wenn er allerdings seine Rolle als Spielmacher und Torschütze am Optimum erfüllt, können die Löwen jeden Gegner schlagen.

Überbelastung bei Duvnjak

Der THW hat mit Domagoj Duvnjak und dessen Bedeutung für die Mannschaftsleistung ein ähnliches und vergleichsweise noch größeres Problem. Durch seinen Dauereinsatz in Angriff und Abwehr sowie die vielen Spiele mit der kroatischen Nationalmannschaft wurde eine Überbelastung hervorgerufen, die sich zuletzt deutlich negativ bemerkbar gemacht hat.

Zwar kann der hochtalentierte Nikola Bilyk auch auf Duvnjaks Position spielen. Doch der ebenfalls noch sehr junge Lukas Nilsson hat auf der Position im linken Rückraum zu oft die Leistung nicht abrufen können, die er schon häufig in der schwedischen Nationalmannschaft gezeigt hat.

Neben dieser Parallele auf der Spielmacherposition beider Teams sehe ich kaum Unterschiede in der individuellen Klasse am Kreis und auf den Außenpositionen. Die Löwen haben kleine Vorteile im Rückraum - vor allem im Hinblick auf die Eins-gegen-Eins-Durchbruchqualitäten von Alexander Petersson und Kim Ekdahl du Rietz.

Demgegenüber ist Kiel auf der Torwartposition klar im Vorteil. Sowohl Andreas Wolff als auch Niklas Landin verkörpern absolute Weltklasse und sind in der Lage, Spiele ganz alleine zu entscheiden.

Löwen taktisch eine Nasenlänge voraus

Es wird in den beiden Achtelfinal-Spielen darauf ankommen, dass die Löwen-Keeper auf Augenhöhe mit dem besten Torhütergespann der Welt auf Seiten des THW kommen. Gelingt das, werden die Partien sicher sehr eng und spannend verlaufen - und hoffentlich gleichzeitig ein hohes spielerisches Niveau erreichen.

Neben der besseren Tagesform könnte der variablere Matchplan den Ausschlag geben. Taktisch sehe ich die Löwen eine Nasenlänge voraus. Sie können mit dem überragenden Auslöse- und Entscheidungsspieler Schmid im Angriff nicht nur das Spiel 6 gegen 6 als Plan A, sondern zusätzlich auch das Überzahlspiel 7 gegen 6 mit innovativen Varianten als Plan B einsetzen.

Ich wage deshalb die Prognose, dass der taktische Mut zum variablen Risikospiel mit dem siebten Feldspieler von Jacobsen im Achtelfinale gegen Kiel und vielleicht sogar im Endspurt der Meisterschaft belohnt wird.

Bis zum nächsten Mal!

Euer Rolf Brack

Dr. Rolf Brack, geboren am 6. Dezember 1953, war als Trainer über 25 Jahre in der ersten und zweiten Liga aktiv und schaffte mit verschiedenen Klubs vier Aufstiege in die Bundesliga. Er coachte unter anderem von 2004 bis 2013 die Spielgemeinschaft HBW Balingen-Weilstetten und von 2013 bis 2016 das Nationalteam der Schweiz. Der Diplom-Sportwissenschaftler war lange Jahre mitverantwortlich für die Planung und Durchführung der A-Trainerausbildung des DHB, ist aktuell Lektor der EHF im Rahmen der Mastercoach-Ausbildung und im Hauptberuf Privatdozent am Sportinstitut der Universität Stuttgart. Als Spieler war Brack bei der SG Dietzenbach in der Bundesliga aktiv.

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