"Ich habe sehr große Angst, das verfolgt mich bis ins Bett", sagt der 64-Jährige, wenn er über den Sinkflug seines geliebten VfL Gummersbach spricht. Ein Szenario macht der deutschen Handball-Ikone in seinen schlaflosen Nächten besonders Angst: "Ein Finale um den Abstieg am letzten Spieltag beim TBV Lemgo - das wäre ein Albtraum für jeden Gummersbacher."
Heiner Brand, im kleinen Gummersbach geboren und beim VfL zum Weltmeister gereift, hat allen Grund zur Sorge. Drei Spieltage vor Schluss beträgt der Vorsprung des ruhmreichen Klubs auf den Rivalen Lemgo und den ersten Abstiegsplatz nur zwei Punkte. Am Montag musste Geschäftsführer Frank Flatten gehen, schon im März hatte Trainer Emir Kurtagic den Laufpass erhalten.
"Ich hoffe, dass wir uns noch retten. Sicher bin ich aber leider nicht", sagte Brand vor dem Spiel bei den Füchsen Berlin am Mittwoch (19.00 Uhr) dem SID.
Ein Abstieg wäre das Ende einer Ära. Als einziger Klub spielt der VfL seit der Bundesliga-Gründung 1966 ohne Unterbrechung erstklassig, holte 30 nationale und internationale Titel, war bis 1999 der erfolgreichste Verein der Welt, ehe er vom FC Barcelona abgelöst wurde. Doch wie beim Fußball-Pendant Hamburger SV geht es mit dem Liga-Dino seit Jahren eher bergab. Von 2009 bis 2011 holten die Bergischen noch einmal drei Europapokalsiege in Folge, schon damals schwebte der Lizenzentzug wie ein Damoklesschwert über dem Klub.
Graue Gegenwart
Heute ist die Krise vor allem eine sportliche. "Ein Abstieg wäre für mich undenkbar. Der VfL Gummersbach nicht in der Handball-Bundesliga - das kann und will ich mir einfach nicht vorstellen. Und ich bin mir sicher, so geht es der ganzen Handball-Welt", sagt Brand. Klingt vermessen, ist es aber nicht: Brand und seine Brüder Jochen und Klaus, aber auch Stars wie Erhard Wunderlich, Andreas Thiel oder Joachim Deckarm machten aus dem damals 20.000 Einwohner zählenden Fleckchen östlich von Köln eine Weltstadt - zumindest im Handball.
Die Gegenwart ist deutlich grauer, obwohl die Saison mit drei Siegen in Folge durchaus vielversprechend begann. Noch im November lag der VfL mit 12:12 Punkten immerhin auf Rang acht, danach ging es steil bergab. "Ich mach mir schon seit Weihnachten große Sorgen, und seitdem hat sich die Situation noch einmal zugespitzt", sagt Brand. Zuletzt gab es sogar beim Aufsteiger und Schlusslicht aus Coburg eine Niederlage, derzeit steht Gummersbach bei 19:43 Zählern.
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Richten sollen es nun Peter Schönberger (52) als Flatten-Nachfolger und Kapitän Christoph Schindler (33) als künftiger Sportdirektor. Der erfahrende Schönberger, einst schon beim Eishockey-Klub Kölner Haie als Geschäftsführer aktiv, erklärte bei seiner Vorstellung, er wolle verstärkt das Potenzial der "Weltmarke VfL" nutzen. Schindler bekräftigte, er werde vor seinem Jobwechsel mit aller Macht gegen den Abstieg kämpfen.
Das dürfte schwer genug werden. Fünf Tage nach dem Duell beim Champions-League-Aspiranten Berlin kommt Frisch Auf Göppingen nach Gummersbach, am 10. Juni steht dann das mögliche "Finale" in Lemgo an. Der Ur-Gummersbacher Heiner Brand jedenfalls hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben - und träumt schon von mehr: "Wenn die Rettung klappt, bin ich optimistisch, dass der Neuanfang gelingt."