The same procedure as every year: Vor der Tür des Hotels in Zagreb qualmt der Kollege von der FAZ entspannt seine Zigarillo, an der Rezeption beschwert sich ein Schreiberling aus Leipzig wie immer als erste Amtshandlung über sein Zimmer.
Der Redakteur der Rheinpfalz tüftelt in der Lobby an den ersten Mails an die EHF, um die mal wieder chaotische Organisation der Gastgeber stellvertretend für alle Kollegen zurechtzubiegen, während draußen auf dem Parkplatz gerade der Dienstwagen der Kieler Nachrichten um die Ecke biegt. Schlappe 15 Stunden Fahrtzeit inklusive Textschreibe-Pause, wie der Mann von der Förde berichtet.
Es ist eine Art Schicksalsgemeinschaft aus Reportern, die sich jedes Jahr im Januar zusammenfindet, wenn im Handball eine WM oder EM ansteht. Ob Katar, Polen, Frankreich oder wie jetzt Kroatien, der Stamm der mitgereisten deutschen Journalisten ist immer in etwa gleich.
Genauso wie das erste Gesprächsthema. Und ich "gewinne" diesmal den ersten Preis, denn keiner der Kollegen wurde in diesem Jahr für den Weg vom Flughafen zum Hotel dermaßen vom Taxifahrer übers Ohr gehauen wie ich. Um 320 Kuna, also 43 Euro, wurde ich erleichtert. Grinsend zieht der Kollege der Süddeutschen Zeitung (180 Kuna, um die 24 Euro) mit einem ersten Erfolgserlebnis im Gepäck von dannen.
Das Medien-Hotel, die gute alte Bruchbude: Eines vorneweg, um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Die Kroaten sind tolle Gastgeber. Freundlich, hilfsbereit, herzlich, alles wunderbar. Aber...
Grundsätzlich macht es Sinn, sich im offiziellen Medien-Hotel einzuquartieren. Das garantiert eine Anbindung an den Shuttle zur Halle und zurück - und das ist mit die härteste Währung bei einem Sport-Ereignis. Was die Qualität dieser Unterkünfte betrifft, befinden wir uns aber seit der EM in Polen, wo das Hotel einwandfrei war, im Fall. Im freien Fall. Denn nach dem Reinfall in Rouen bei der WM 2017 wurden dieses Jahr offenbar alle Kosten und Mühen gescheut, um noch einmal einen drunterzusetzen.
Der Ostblock-Bunker weit jenseits der Zagreber Innenstadt muss jedenfalls schon genauso ausgesehen haben, als die Stadt noch Teil des ehemaligen Jugoslawien war. In der Lobby sorgen zwei Heizpilze dafür, dass die Temperaturen nicht den Gefrierpunkt erreichen. Alles ist düster und muffig, ein heruntergekommener Heuwagen als Deko gibt der Tristesse den letzten Feinschliff.
Aber was soll's, wir sind schließlich nicht im Urlaub. Im Fahrstuhl liegt eine Boxershort, die die Hotelgäste einen Tag auf ihren Fahrten begleitet. Das Zimmer selbst, am Ende eines dunklen Gangs, überrascht dann mit Temperaturen auf Sauna-Niveau.
Der erste Blick ins Badezimmer: Die Klobrille hängt zu 50 Prozent links neben dem Lokus, der Klodeckel in ähnlicher Entfernung auf der rechten Seite. Erstmal duschen. Nie war ich glücklicher, Brillenträger zu sein. Runter das Teil, verschwommen sieht alles halb so wild aus, und rein ins - selbstverständlich - kalte Nass.
Hauptsache das WLAN funktioniert, denke ich mir. Tut es aber nur sporadisch. Macht aber nix, weil der Schreibtisch, der diesen Namen keinesfalls verdient hat, schon beim Anblick Rückenschmerzen auslöst. Gearbeitet wird von nun an immer in der Arena.
Wenigstens kann der Hotelmechaniker mit Hilfe einer Rohrzange zumindest die Heizung runterdrehen und die Toilette auf Vordermann bringen. "Alles schön?", fragt er mich zum Abschied. "Alles legendär", antworte ich.
Auge in Auge mit den Bad Boys: Einem Fußball-Reporter würden wahrscheinlich die Tränen in die Augen steigen, wenn er sehen würde, wie unkompliziert es im Handball zugeht. An spielfreien Tagen gibt es einen DHB-Medientermin im Mannschaftshotel. Erst steigt eine Pressekonferenz mit dem Bundestrainer, anschließend mischen sich in einer Art Lobby alle Spieler für ungefähr 45 Minuten unter die Journalisten.
Man kann im Prinzip jeden ansprechen, sich für ein paar Minuten mit Uwe Gensheimer oder Silvio Heinevetter in eine ruhige Ecke verziehen, einfach auf der Treppe sitzen oder auf dem Sofa rumlungern und ein paar Fragen loswerden. Starallüren sind den Bad Boys fremd.
Aufpassen sollte man lediglich beim Händedruck mit Finn Lemke. Dem 2,10-Meter-Riesen die Bärenpranken zu schütteln, löst ein wenig das Gefühl in einem aus, im Schraubstock festzuhängen. Abgesehen davon: alles easy.
Das gilt übrigens selbst jetzt, wo es sportlich nicht so rund läuft und sich die Mannschaft teilweise auch scharfe Kritik seitens der Medien gefallen lassen muss. Heinevetter und Andreas Wolff giften dann eben mal in der Mixed Zone zurück. Und auch Bob Hanning ist um keinen Spruch verlegen. Nachtragend war bislang allerdings keiner.
Oh wie groß ist Varazdin: Die Hauptrunde bestreitet das DHB-Team im knapp 100 Kilometer nördlich von Zagreb gelegenen Varazdin. Die gute Nachricht vorneweg: Das Hotel ist in Ordnung, die Brille bleibt aufgesetzt.
Aber diese Entfernungen! Das Medien-Hotel liegt 25 Kilometer außerhalb von Varazdin. In Ludbreg. Ein Wallfahrtsort, laut einer Volkszählung von 2011 mit rund 8.000 Einwohnern. Es würde mich allerdings nicht wundern, wenn diese Volkszählung von der EHF durchgeführt worden ist. Die kam nämlich beim ersten Spiel des DHB-Teams in der Arena Zagreb auch auf 8.000 Zuschauer. Mit sehr viel Wohlwollen waren es 5.000. Aufgerundet.
Die bekannteste Tochter von Ludbreg ist Sara Kolak. Klingelt es? Hat es bei mir auch nicht. Die Recherche ergibt: Die Gute hat bei Olympia in Rio den Speer auf 66,18 Meter gefeuert und damit Gold geholt. Seither wird ihr mit einem merkwürdigen Denkmal aus Lichterketten auf dem Marktplatz gehuldigt, der einzige Lichtblick in diesem trostlosen Fleckchen Erde.
Varazdin selbst ist solide. Die 45.000-Seelen-Stadt hat auch Ende Januar noch den Weihnachtsmarkt geöffnet, der Glühweinstand wurde prompt zwei dänischen Fans zum Verhängnis, die statt in der Arena im Kastenwagen der kroatischen Polizei gelandet sind. War sicher nur bedingt lustig.
Die deutsche Mannschaft wohnt übrigens in einem Dorf rund 50 Kilometer von Ludbreg, das nicht einmal unsere Busfahrer kannten. Die mussten unterwegs zwei Mal die Karre wenden, falsche Abzweigung erwischt. Unter dem Strich waren wir nach dreieinhalb Stunden zurück.
Aber alles Gejammer zur Seite: Kroatien ist trotz der kleinen, nervigen Sachen top. Und ohnehin ist alles, wirklich alles auf dieser verdammten Welt besser als Katar. Am Donnerstag geht's übrigens wieder zurück nach Zagreb, ins Hotel des Grauens. Für die Titelverteidigung gebe ich eben alles.