Jennifer Kettemann ist Geschäftsführerin der Rhein-Neckar Löwen und Präsidiumsmitglied der Handball-Bundesliga. Im Interview spricht die 39-Jährige über Frauen in Führungspositionen, erklärt, was sich bei diesem Thema ändern muss und gibt jungen Menschen einen Tipp.
Außerdem gibt Kettemann Einblick in die Social-Media-Strategie der Löwen, berichtet über ihren Austausch mit der Geschäftsführerin der Eulen Ludwigshafen und verrät, wieso sie ein Paradebeispiel für Frauen mit zu wenig Mut ist.
Zudem erzählt sie, wieso sie den Löwen zunächst absagte und was ein Vorstandsmitglied von SAP damit zu tun hatte, dass sie doch in der Handball-Bundesliga landete.
Frau Kettemann, Sie sind als Geschäftsführerin der Löwen eine der starken Frauen im deutschen Sport. In puncto Karrierechancen gibt es zwischen Männern und Frauen aber auch 2021 immer noch große Unterschiede. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?
Jennifer Kettemann: Es ist schade, dass sich Frauen im Gegensatz zu Männern immer noch häufig entscheiden müssen, ob sie Familie oder Karriere wollen. Und ich glaube, dass sich genau das ändern muss. Aus meiner Sicht muss es nicht immer die Mutter sein, die diesen Part übernimmt. Auch Männer sollten verstärkt die Möglichkeit bekommen, sich in dieser Hinsicht ebenfalls einzubringen. Leider ist es beispielsweise immer noch eine Seltenheit, dass beide Elternteile jeweils sieben Monate Elternzeit nehmen. Meist nimmt der Mann deutlich weniger. Und wenn er nach der Geburt noch auf die Idee kommt, seinem Chef zu sagen, er würde gerne auf, sagen wir mal, 70 Prozent seiner Arbeitszeit reduzieren, etwa um sich zwei Nachmittage um das Kind kümmern zu können, dann wird er auch erstmal schräg angeguckt. Ich denke, wir sollten dahin kommen, dass Eltern sich die Aufgaben der Kindererziehung gleichmäßig aufteilen können und so gemeinsam und gleichberechtigt für ihr Kind da sein können.
Wie sieht Ihr persönlicher Umgang mit diesem Thema aus?
Kettemann: Man hört ja immer, die Betreuungszeiten in Kitas müssen weiter ausgedehnt werden. Ich möchte niemandem reinreden und sage ausdrücklich, dass das eine ganz persönliche Entscheidung ist, aber wenn ich als Mutter und nicht als Geschäftsführerin spreche, muss ich sagen, dass ich meine Kinder nicht erst um 17 Uhr aus der Kita geholt habe. Das soll nicht heißen, dass ich jemanden dafür verurteilen möchte, ganz und gar nicht. Gerade Alleinstehende sind darauf ja mitunter angewiesen. Mir war es aber immer wichtig, auch als Mama präsent zu sein, weil ich glaube, dass das wichtig für die Kinder ist.
Sie sprachen von schrägen Blicken auf Männer. Sind Frauen in gewisser Weise Vorreiter, weil sie bereits Kinder und Karriere vereinen können, ohne stigmatisiert zu werden?
Kettemann: Die Realität ist leider eine andere. Wenn eine Frau im Unternehmen sagt, sie möchte nur noch Teilzeit arbeiten, wird ihr häufig nicht mehr der verantwortungsvolle Job gegeben, den sie sich wünscht. So landet sie vielleicht in der Sachbearbeitung, obwohl sie vorher beispielsweise Personalverantwortung hatte. Diese Beispiele gibt es ja oft. Ich hatte die privilegierte und tolle Situation, dass wir bei den Rhein-Neckar Löwen einen Aufsichtsrat haben, der an meine Fähigkeiten geglaubt und aufgrund dieser Fähigkeiten auch gesagt hat: "Es ist überhaupt kein Problem, dass du hier Teilzeit arbeitest, weil wir glauben, dass du die Beste für den Job bist und du das auch mit einer Reduzierung deiner Arbeitszeit gut hinbekommst."
Welche konkreten Maßnahmen müssen aus Ihrer Sicht getroffen werden?
Kettemann: Aus meiner Sicht müssen von Unternehmensseite Möglichkeiten geschaffen werden, durch die sowohl Männer als auch Frauen verantwortungsvolle Positionen auch in Teilzeitmodellen erfüllen können. Da muss viel innovativer gehandelt werden. Dazu gehört etwa Jobsharing, dazu gehören aber auch Mentoren-Programme, um auch den Frauen die Möglichkeit zu geben, sich über Kontakte, also etwa den Austausch mit Stakeholdern, nach oben zu arbeiten. Gesellschaftlich betrachtet denke ich, dass Männer außerdem darin bestärkt werden müssen, beim Thema Familie mehr anzupacken - und auch anpacken zu dürfen. Ich denke nämlich, dass es immer mehr Männer gibt, die mehr Zeit mit der Familie verbringen möchten. Diese sollten wir dabei unterstützen, zum Beispiel, indem wir gewisse Stigmata abbauen. In meinen Augen muss nicht nur viel für die Frauen gemacht werden, sondern auch für die Männer.
IMAGO / foto2pressKettemann: "Frauen und Männer gemeinsam die besseren Entscheider"
Gerade im Sport scheinen es Frauen schwierig haben, in Führungspositionen zu kommen. Sie sind aktuell die einzige Geschäftsführerin in der Handball-Bundesliga. Welche Gründe gibt es aus Ihrer Sicht dafür? Spielt die emotionale Komponente des Sports dabei eine Rolle?
Kettemann: Emotionalität ist das, was den Sport ausmacht. Ich denke aber nicht, dass sie es Frauen schwieriger macht. Frauen können genauso hitzig mitdiskutieren wie Männer. Warum es im Sport diese Diskrepanz gibt, ist für mich nicht nachzuvollziehen. Wenn man in die Gremien schaut, sind die Entscheider dort fast
ausschließlich Männer - und das obwohl in vielen Studien nachgewiesen wurde, dass die besten Entscheidungen in diversen Teams getroffen werden. Auch wenn es dabei nicht nur um Männlein und Weiblein geht: Es ist wichtig, dass man verschiedene Ansichten und Meinungen am Tisch hat, Frauen und Männer gemeinsam also die besseren Entscheider sind.
Wie wichtig war demzufolge Ihre Berufung ins Präsidium der Handball-Bundesliga als erste Frau seit der Ligagründung 1966?
Kettemann: Sehr wichtig. Es ist eine Bereicherung für die Runde, wenn verschiedene Perspektiven, beispielsweise auf ein Problem, zusammengebracht werden. Und dass Frauen andere Schwerpunkte setzen als Männer, ist nachgewiesen. Vorranging bei der Besetzung sehe ich zwar die Kompetenz der Mitglieder, eine gesteigerte Diversität ist aber definitiv ein Vorteil. Perspektivisch wäre es natürlich schön, wenn Männer und Frauen gleichmäßig vertreten wären. Ich glaube aber, dass dafür noch viel passieren muss. Vor allem braucht es mehr Frauen in Führungspositionen.
Im professionellen Handball gibt es eine weitere Geschäftsführerin, Lisa Heßler. Da sie bei den Eulen Ludwigshafen unter Vertrag steht, ist sie quasi Ihre Nachbarin und war insbesondere in der vergangenen Spielzeit, als auch die Eulen noch in der Bundesliga gespielt haben, jemand, mit dem Sie sich viel ausgetauscht haben. Inwieweit sind in Ihren Gesprächen auch die gemeinsamen Erfahrungen als Frauen in der stark männerdominierten Umgebung Bundesliga Thema?
Kettemann: Gar nicht.
Das ist gar kein Thema zwischen Ihnen?
Kettemann: Nein. Ich tausche mich mit Lisa viel aus, wenn es wie im letzten Jahr zum Beispiel um Hygienekonzepte, um Ausleihen von Spielern oder generell um die Zusammenarbeit zwischen den Eulen und uns geht. Ich schätze sie sehr, weil sie eine unheimlich kompetente Geschäftsführerin ist und den Laden richtig gut im Griff hat. Aber es war noch nie Thema, wie es so als Frau in der Bundesliga ist.
Warum?
Kettemann: Für mich ist es einfach kein Thema. Mir ist es schon häufig passiert, dass ich in einer Sitzung war, jemand zu mir kam und sagte: "Ach Gott, Jenni, jetzt bist du ja wieder die einzige Frau." Ich schaue mich dann um und denke: "Ach ja, stimmt." Mir fällt das aber gar nicht auf, weil ich zum Arbeiten da bin und mit den Kollegen gerne zusammenarbeite. Ich gehe da nicht rein und sage: "Huch, jetzt bin ich ja die einzige Frau."
Sie persönlich haben also auch gar kein Problem mit der Situation, meist die einzige Frau im Raum zu sein?
Kettemann: Nein. Das liegt vielleicht auch an der Tatsache, dass ich in dieser Hinsicht bisher keine schlechten Erfahrungen machen musste. Es gibt ja enorm viele Frauen, die schlechte Erfahrungen in Männerdomänen, vielleicht nicht im Handball, aber insgesamt im Sport gemacht haben. Da muss ich mich glücklicherweise nicht dazuzählen.
Das war also nicht der Grund dafür, dass Sie es ablehnten, als Sie das erste Mal gefragt wurden, ob Sie sich vorstellen können, als Geschäftsführerin bei den Löwen einzusteigen. Warum dann?
Kettemann: Obwohl ich mir schon gedacht habe, dass der Job bei den Löwen mein Traumjob sein könnte, habe ich ihn mir im ersten Moment nicht direkt zugetraut. Es war aber bei dem damaligen Telefonat so, dass auch ein Vorstandsmitglied von SAP mit dabei war und recht bestimmend sagte: "Jenni, sowas sagt man nicht einfach ab! Denk erst mal drüber nach." Damit hatte er natürlich vollkommen Recht. Ich habe mich dann mit dem Job sehr genau beschäftigt und mir überlegt, was ich kann und was ich nicht kann. Dabei kam letztlich heraus, dass das Profil zu vielen meiner Stärken passt, es jedoch andere Bereiche gab, in die ich erst hineinwachsen musste. Ich bin ein Paradebeispiel dafür, dass es viele Frauen gibt, die mutiger sein müssten, sich mehr zutrauen müssten. Damals war ich glücklicherweise in der Situation, dass ich Leute - u.a. unser Aufsichtsrat - um mich herum hatte, die mehr an mich geglaubt haben, als ich es selbst getan habe. Aber davon kann man nicht immer ausgehen.
Spielte auch eine möglicherweise negative Reaktion der Öffentlichkeit auf eine Geschäftsführerin eine Rolle?
Kettemann: Das waren schon Gedanken, die ich mir gemacht habe, aber letztlich war der Job an sich die Herausforderung. Es ist keine leichte Sache, einen solchen Klub zu führen, die Fäden in der Hand zu halten und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Der Job ist aber nicht leichter oder schwerer, je nachdem, ob man Mann ist oder Frau.
Die Aufmerksamkeit, die eine Geschäftsführerin erfährt, ist aber doch eine andere als bei Ihren männlichen Kollegen.
Kettemann: Es stimmt schon, dass ich gerade am Anfang mehr im Rampenlicht stand, als das bei einem Mann der Fall gewesen wäre, auch weil es in der Handball-Bundesliga damals, genau wie aktuell, keine Frau in dieser Position gab. Damit hatte ich automatisch mehr Aufmerksamkeit. Es war aber der Job an sich, vor dem ich Respekt hatte. Ob ich Mann oder Frau bin, hat für mich bei der Entscheidung keine Rolle gespielt.
Ist das Mehr an Aufmerksamkeit, von dem Sie sprechen, auch der Grund, warum Sie keine öffentlichen Accounts in den sozialen Medien betreiben?
Kettemann: Meine Accounts dort sind auf privat gestellt, das stimmt. Das liegt aber daran, dass ich das Interesse an meiner Person und wie sehr ich in der Öffentlichkeit stehen werde bei meinem Dienstantritt hier unterschätzt habe. Ich hätte damals einen Account als Person des öffentlichen Lebens einrichten müssen, habe mir aber nicht angemaßt, zu denken, dass dort viele Follower zusammenkommen. Um das jetzt umzustellen, fehlt mir ehrlich gesagt die Zeit. Im Moment ist mir das nicht wichtig genug. Ich will aber nicht ausschließen, dass das noch kommt. Generell teile ich in den sozialen Medien schon immer mal etwas, auch berufliche Dinge, und habe kein Problem damit.
Nehmen Sie es denn auch so wahr, dass es in diesem sehr emotional gesteuerten Raum der sozialen Medien nochmal schwerer ist, als Frau im Rampenlicht zu stehen?
Kettemann: Ich glaube, dass die sozialen Medien im Sport generell ein schwieriges Thema sind, weil unser Produkt so emotional ist. Natürlich machen die Emotionen den Sport aus und sind ein Grund dafür, dass wir in diesem Bereich arbeiten und lieben, was wir tun. Dennoch sehe ich die sozialen Medien in diesem Punkt kritisch, weil dort jeder ungefiltert seine Meinung sagen kann, das auch tut und oftmals tut, ohne darüber nachzudenken, wie die Protagonisten sich dabei fühlen. Konstruktive Kritik an Spielern und Verantwortlichen ist immer gut und es ist ärgerlich, wenn ein Spiel verloren geht. Aber wenn die Kritik ins Persönliche geht, halte ich das für sehr fragwürdig.
Jennifer Kettemann über die Social-Media-Kanäle der Rhein-Neckar Löwen
Die Social-Media-Kanäle Ihres Klubs sind bei den Followerzahlen und anderen Statistiken im Spitzenfeld der Liga. Wie gehen die Löwen in der Moderation dieser vor?
Kettemann: Generell ist es so, dass uns die sozialen Medien sehr wichtig sind. Bei den Kommentaren unter unseren Beiträgen bin ich sehr froh, in diesem Bereich ein sehr kompetentes Team zu haben, das ein gutes Gespür dafür hat, welche Kommentare sie selbst verfassen und wie sie eventuell in Ausnahmefällen intervenieren. Unsere Strategie dabei ist, möglichst wenig einzuschreiten. Wir löschen nichts - es sei denn, es handelt sich um Spam, rassistische Kommentare oder geht ganz tief unter die Gürtellinie. Wir haben die Philosophie, das möglichst offen zu halten.
Lässt sich diese Herangehensweise aus Ihrer Sicht auch auf den gesamten gesellschaftlichen Diskurs, etwa zur Rolle der Frau, übertragen? Das würde bedeuten, emotionale Äußerungen so weit zuzulassen und eben nicht zu 'löschen', also zu diskreditieren und von vornherein als nicht akzeptabel abzustempeln, wie nur möglich - es sei denn, sie überschreiten die Grenze zum Rassismus, Sexismus oder ähnlichem.
Kettemann: Ja. Man muss offen darüber reden können. Im Moment ist die Debatte um Frauen und insbesondere Frauen im Sport schon sehr präsent. Auf der einen Seite finde ich, dass es sehr wichtig ist, dass man darüber spricht, weil es sehr große Diskrepanzen zwischen Männern und Frauen gibt. Sucht man beispielsweise in den Aufsichtsräten der Bundesligen eine Frau, wird man nur sehr wenige finden. Daran muss sich natürlich etwas ändern. Andererseits kommt es bei mir auch auf, dass mich das Thema nervt, weil es dauernd bespielt wird. Dennoch muss es bespielt werden, solange wir eine so große Diskrepanz haben.
Dazu passt, dass Sie bereits 2018 zur größeren Aufmerksamkeit, die Sie als Frau unter zahlreichen Männern in den Top-Positionen des deutschen Handballs erhalten, sagten: "Vor den Kameras muss ich bei solchen Fragen ja immer nett bleiben. Aber tatsächlich nervt mich das ein wenig."
Kettemann: Das sehe ich immer noch so. Das ist ein Thema, über das man, wie gesagt, sprechen muss. Am liebsten wäre mir aber, es wäre gar kein Thema mehr. Nur sind wir noch lange nicht an diesem Punkt. Und solange dort noch ein Defizit herrscht, bin ich gerne dazu bereit, mich dafür einzusetzen, und sehe es auch in meiner Verantwortung, mich für die Gleichberechtigung im Sport einzusetzen.
Sie haben bereits mehrmals öffentlich gesagt, dass Sie nicht gerne Tipps an junge Frauen verteilen. Welchen Tipp würden Sie denn jungen Menschen geben, damit sie mithelfen können, dass wir die Ziele, die sie in unserem Gespräch formuliert haben, erreichen?
Kettemann: Mutig sein ist für mich das A und O. Das gilt insbesondere für die Frauen, weil Männer doch oftmals selbstbewusster mit ihren Fähigkeiten umgehen. Wichtig ist außerdem, man selbst zu bleiben. Auch das geht eher in Richtung der Frauen, weil es schon die eine oder andere gibt, bei der ich das Gefühl habe, sie denkt, sie müsste besonders tough sein, um es in diesem Business nach oben zu schaffen. Ich finde aber nicht, dass das der Fall ist. Man sollte sich also selbst treu bleiben. Und: Die Kinder nicht vergessen. Das ist an Männer wie Frauen gerichtet. (lacht)