Nach einer kurzen Nacht quälten sich Deutschlands Handballer in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett. Die Begeisterung für den letzten Trip ihres WM-Abenteuers hielt sich nach dem Viertelfinal-K.o. gegen Olympiasieger Frankreich schwer in Grenzen, die Platzierungsrunde in Stockholm entpuppt sich für das DHB-Team nun aber als echter Charaktertest.
"Ein fünfter Platz bei einer WM hört sich für jeden von uns wie ein Erfolg an. Deshalb wollen wir das Turnier gut zu Ende bringen", sagte Kapitän Johannes Golla nach dem 28:35 gegen den französischen Rekordweltmeister. Der Traum von der ersten deutschen WM-Medaille seit dem goldenen Wintermärchen 2007 platzte, nun wolle man sich "vernünftig verabschieden", forderte Bundestrainer Alfred Gislason.
In der schwedischen Hauptstadt geht es für Deutschland auch um den Eindruck, der vom Turnier hängen bleiben wird. Ein Jahr vor der Heim-EM gibt es einige Mutmacher: Ein Andreas Wolff, der bei der WM zurück zu alter Stärke gefunden hat. Ein Juri Knorr, der auf dem besten Weg in die Weltklasse ist. Und ein Julian Köster, der zumindest in der Abwehr schon internationales Spitzenformat nachgewiesen hat.
Andreas Wolff sieht "erweiterte Weltspitze" als Ziel
"Wenn du Fünfter wirst, zeigst du, dass du zur erweiterten Weltspitze gehörst", sagte Keeper Wolff. "Das muss unser erklärtes Ziel für die letzten zwei Spiele sein." Erster Gegner ist am Freitag (15.30 Uhr/ARD) Afrikameister Ägypten. Wenn in der Tele2-Fußballarena am Sonntag die Medaillen vergeben werden, ist die DHB-Auswahl allerdings nur Zuschauer - wieder einmal.
Gislasons Gemütslage pendelte zwischen Frust und Stolz, letzteres überwog. "Mich stimmt vieles zuversichtlich", sagte Gislason. Das DHB-Team sei "in der Breite und auf Schlüsselpositionen immer noch eine unerfahrene Mannschaft". Deswegen sei es "extrem wichtig, diese Erlebnisse zu haben. Ich bin ganz sicher, dass alle Spieler von ihren Fehlern lernen. Wir können viel Positives mitnehmen."
Nach der historisch schlechten WM vor zwei Jahren (Platz 12) machte die Auswahl des Deutschen Handballbundes mit ihren Auftritten in Kattowitz und Danzig tatsächlich einen Schritt nach vorne. Und doch war die Niederlage gegen die Franzosen, insbesondere in ihrer Deutlichkeit, ein echter Stimmungsdämpfer. "Wir sind am Ende auseinandergebrochen, das ist einfach so", konstatierte Linksaußen Lukas Mertens.
DHB will bei Heim-EM den nächsten Schritt machen
Die Verbandsspitze stellte dem deutschen Team ein zufriedenstellendes Zeugnis aus. "Die Handball- und Sportfans in Deutschland haben wahrgenommen, dass hier etwas wächst", sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer. Die Mannschaft "ist nicht am Limit, aber wir haben viele Grundlagen gelegt und sehr gute Leistungen gezeigt. Wir haben nächstes Jahr eine Heim-EM, da wollen wir den nächsten Schritt gehen."
Die Europameisterschaft im Januar 2024 dient als erstes Highlight im vom Verband ausgerufenen "Jahrzehnt des Handballs", eine Medaille ist das Ziel. Dafür, das zeigten die Leistungen in Polen und Schweden, müssen Juri Knorr und Co. jedoch in puncto Konstanz aufholen. "Uns fehlt die Breite, insbesondere in der Abwehr", räumte Gislason ein.
In der Vor- und Hauptrunde reichten die Kräfte und die Qualität des Kaders noch für teils begeisternde Siege gegen schwächere Teams. Schon beim ersten Härtetest im Hauptrundenfinale gegen Norwegen (26:28) wurde jedoch deutlich, dass das Niveau der Spitzenteams (noch) ein anderes ist. Auch in diesem Jahr schaffte es Deutschland nicht, bei einem wichtigen Turnier einen der ganz Großen zu schlagen.