Eine für die große Bühne - Jamie Gittens und sein Signature-Tor für den BVB bei Dinamo Zagreb: Arjen Robben lässt grüßen

Von Tobias Empl
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Jamies Gittens gelingt in Zagreb der erlösende Treffer für den BVB. Seine Leistung veranschaulicht sein riesiges Potenzial - und auch seine Defizite.

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Es war schon ein Schauspiel der besonderen Art, das Dinamo Zagreb im Champions-League-Spiel gegen den BVB darbot. Das Team von Ex-Union-Berlin-Trainer Nenad Bjelica, das mit einem Sieg sogar an den Dortmundern hätte vorbeiziehen können, war offenbar von Beginn an nur auf Schadensbegrenzung aus und verbarrikadierte sich mit zehn Spielern rund um den eigenen Sechzehner. Gegen einen derart tief stehenden Gegner war es kaum verwunderlich, dass die Dortmunder bei ihrem am Ende souveränen 3:0-Sieg im ersten Durchgang nur zu wenigen Torchancen kamen - zumal sie auch noch mit dem seifigen Rasen im Maksimir-Stadion zu kämpfen hatten.

In dieser Lage war der viel zitierte "Dosenöffner" gefragt - und für den war in der 41. Minute Jamie Gittens verantwortlich. Fast schon wie gewohnt, zog der Flügelstürmer von links mit einem schnellen Haken nach innen und beförderte den Ball mit seinem starken rechten Fuß ins lange Eck. Diese Bewegung ist bereits in seinem jungen Alter eine Art "Signature Move" des Engländers geworden. Ähnlich wie früher bei Arjen Robben auf der Gegenseite gilt auch bei Gittens: Ist er erst einmal in der richtigen Position, ist er nur schwer zu verteidigen - selbst wenn sein Gegenspieler genau weiß, was er als Nächstes macht. Zumal Gittens mit seiner Schusstechnik in der Lage ist, den Ball nicht nur mit Gefühl ins Eck zu schlenzen, sondern ihn mit ordentlich Wucht aufs Tor zu befördern.

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Mit 20 Jahren unter den besten Torjägern der Champions-League

Angesichts der harmlosen Gastgeber war eigentlich bereits mit Gittens' Treffer klar, dass in der Folge kaum noch etwas anbrennen würde. Dass der BVB mit Blick auf das Spiel gegen den FC Bayern am Samstag so langsam in den Verwaltungsmodus schalten konnte und nun in der Champions-League mit zwölf Punkten aus fünf Spielen sehr gut dasteht, hatte er seinem Offensiv-Juwel zu verdanken.

Es war nicht das erste Mal in dieser Saison, dass Gittens entscheidenden Anteil am internationalen Erfolg des BVB hatte. Bei seinen bisher fünf Einsätzen in der Champions-League hat Gittens bereits vier Tore erzielt und eines vorbereitet. Neben dem von halb Europa gejagten Florian Wirtz (fünf Tore) ist er unter den aktuell besten zehn Torschützen der diesjährigen Champions-League-Saison der einzige Spieler unter 24 Jahren.

Es sind durchaus bemerkenswerte Zahlen, denn auf europäischer Bühne auf Anhieb zu glänzen ist alles andere als selbstverständlich. Heute erscheint es kaum noch vorstellbar, aber selbst Rekorde-Sammler Cristiano Ronaldo musste einst 27 Partien lang warten, ehe er im Alter von 22 Jahren seinen ersten Treffer in der Königsklasse erzielte.

Nuri Sahin ist der Trainer des BVB.
© getty

Sahin sieht bei Gittens' Entscheidungsfindung Steigerungsbedarf

Angesichts seiner Glanzmomente auf der großen Bühne dürfte die Liste der Gittens-Interessenten eher nicht kürzer werden - und sein Marktwert dank des Treffers in Zagreb wieder ein wenig gestiegen sein. Bereits bei Gittens' Joker-Einsätzen in der Vergangenheit war sein enormes Potenzial immer wieder zu erkennen gewesen. In dieser Champions-League-Saison liefert er bisher auch die Scorer-Punkte, die von ihm erwartet werden.

Dennoch setzte Nuri Sahin nach Spielende im DAZN-Interview auf Nachfrage nach dem "Dosenöffner Jamie Gittens" nicht zu einer umfassenden Lobeshymne auf seinen Flügelspieler an. Zwar lobte er: "Er macht das richtig gut, geht immer wieder drauf". Gittens sei zwar "auf dem richtigen Weg", gleichzeitig betonte Sahin aber auch, dass der Angreifer noch an der "Entscheidungsfindung" arbeiten müsse, an der Wahl "zwischen Dribbling, Flanke und Vorbereitung eines Dribblings". Denn auch dafür hatte der schnelle Linksaußen einige Beispiele geliefert.

Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass Gittens in Zagreb vor seinem Tor - bis auf eine gute Flanke auf Donyell Malen eine Minute zuvor - nicht allzu viel gelungen war. Zwei Torschussversuche landeten im Nirgendwo, immer wieder rutschte er weg und seine Hereingaben kamen entweder zu ungenau oder er agierte zu zögerlich. Kurz vor seinem Treffer hatte er an der Grundlinie im Sechzehner so lange mit seinem Zuspiel gewartet, dass ihn der bereits ausgespielte Abwehrspieler noch einholen konnte - und der auf eine Ablage wartende Mitspieler Marcel Sabitzer anschließend seinem Ärger Luft machte.

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Weniger Tore in der Bundesliga als in der Champions League

Möchte man noch ein wenig mehr Wasser in den Wein gießen, ließe sich auch darauf verweisen, dass seine Zahlen in der Bundesliga weitaus weniger beeindruckend sind als international. Seine Bühne ist aktuell vor allem die Große. Nach seinem Doppelpack als Joker beim 2:0-Sieg am ersten Spieltag gegen Eintracht Frankfurt blieb er neun Spiele lang torlos und kam dabei auch lediglich auf zwei Assists. Erst am vergangenen Wochenende, beim 4:0 gegen Freiburg, war der Offensivspieler wieder erfolgreich und bereitete zudem den Treffer von Felix Nmecha vor.

Keine Frage, Gittens ist für sein Alter schon sehr weit. Sein Spiel ist aber noch längst nicht ausgereift. Am wohlsten fühlt sich der Angreifer im Umschaltspiel, auch seinem Tor in Zagreb ging ein Umschaltmoment - einer der wenigen für den BVB im gesamten Spiel - voraus. In diesen Spielsituationen kann er am besten sein Tempo ausspielen und den Abschluss suchen. Gegen einen tief stehenden Gegner, von denen es in der Bundesliga bekanntlich einige gibt - und wie es auch Zagreb über weite Strecken war - rennt er allerdings noch zu oft vergeblich an oder verpasst den richtigen Moment für Abspiel oder Torschuss.

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© Getty Images

Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel?

Dennoch ist Gittens in dieser Saison schon deutlich effektiver als in der Vergangenheit (nur ein Bundesliga-Tor 2023/24!). Er hat nach dem Trainerwechsel im Sommer den Sprung vom Edel-Joker zum Stammspieler geschafft und hat, wie Sahin ebenfalls betonte, offenbar den richtigen Weg eingeschlagen. Nun wird es jedoch spannend sein zu sehen, wie lange er auf diesem Weg bleiben wird.

Den Ruf als erste Anlaufstelle für Europas Top-Talente scheint der BVB ein wenig verloren zu haben - und möchte sich wohl auch bewusst ein wenig von dem Status als "Durchgangsstation" verabschieden. Stattdessen wurde zuletzt immer wieder die eigene "BVB-Identität" betont. Gittens mit seinem unbestritten riesigen Potenzial ist jedoch, ähnlich wie voraussichtlich der 18-jährige Julien Duranville, einer der Spieler im Kader der Schwarz-Gelben, mit dem sich, dem alten "Erfolgsmodell" folgend, in den kommenden Jahren ein hoher Transfererlös erzielen lassen könnte. So wie in der Vergangenheit für Ousmane Dembelé, Jadon Sancho oder Christian Pulisic. Ein junger Engländer, der auf internationaler Bühne abliefert, erregt geradezu zwangsläufig Interesse aus der Premier League.

Gittens muss sich aber erst einmal in Ruhe die Frage stellen, was der beste Weg für ihn persönlich ist. Die Verkäufe von Dembelé, Sancho und Pulisic mögen sich für den BVB (und die Spieler selbst) zwar auf den ersten Blick finanziell gelohnt haben, sportlich glücklicher geworden als in Dortmund sind sie aber bei ihren neuen Klubs - zumindest auf Anhieb - nicht. Im Nachhinein wäre es für den einen oder anderen vermutlich besser gewesen, noch länger beim BVB zu reifen. Und dadurch zudem noch wertvoller zu werden.

Dies könnte auch Gittens als Beispiel dienen. Anstatt schon im nächsten Sommer in die Premier League zu wechseln, könnte ihm ein weiteres Jahr (oder auch mehrere) in Dortmund guttun. Schließlich hat er noch vieles zu verbessern - und mit Sahin einen Trainer, der mit ihm daran arbeiten möchte.

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