DFB-Team: Hansi Flick mit mehr Fragen als Antworten - ist er der richtige Trainer für die EM?

Von Justin Kraft
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Das DFB-Team fährt die nächste Niederlage ein und Hansi Flick fehlen zunehmend die Argumente. Nicht nur der Kader offenbart, dass ihm womöglich an einigen Stellen die Qualität fehlt, sondern auch der Bundestrainer kommt an seine Grenzen. Wie lange geht das noch gut und ab wann ist die Trainerdiskussion eröffnet?

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"Kritisiert mich, aber lasst die Spieler in Ruhe", erklärte Hansi Flick vor der Niederlage in Polen in einer Medienrunde. Ein Satz, der nach dem 0:1 nochmal besonders Fahrt aufnehmen dürfte. 23 Spiele, zwölf Siege, sieben Unentschieden, vier Niederlagen - Flicks Bilanz beim DFB ist verheerend.

Insbesondere dann, wenn man auf die letzten 15 Partien schaut: Nur vier Siege verbuchte die Nationalmannschaft in dieser Phase, ebenso oft ging sie als Verlierer vom Platz. Von einer "Phase" sprach auch Flick in Warschau. Aus der werde man herauskommen. Doch wie?

Der Bundestrainer hat diesen Satz so dahergesagt, als hätte er vor ihm auf einem Plakat gestanden. Ohne Überzeugung, ohne Argumente, ohne Feuer - so, wie sein Team aktuell auf dem Platz Fußball spielt, so gibt sich Flick selbst in Interviews. Kein Wunder, könnte man also resümieren. Hat der Weltmeister von 2014 überhaupt noch Antworten parat?

Gewinnt das Team von Hansi Flick heute gegen Polen?
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DFB-Team: Hansi Flick verliert sich in Experimenten

Der ehemalige Bayern-Trainer experimentiert, experimentiert und experimentiert noch einmal. Ein Jahr vor der Europameisterschaft passt im Team wenig zusammen. Nicht mal eine echte Achse gibt es.

Joshua Kimmich steht aktuell so stark in der Kritik wie seit längerer Zeit nicht mehr. Im Mittelfeld soll er die Verantwortung nahezu allein schultern. Auch gegen Polen musste er den Großteil der Arbeit im Spielaufbau übernehmen, bekam dabei kaum Unterstützung. Mehrfach suchte er nach Anspielstationen im vorderen Drittel, meist wurde er enttäuscht. Kaum Bewegung, kaum Tiefenläufe, kaum Unterstützung - träge und ideenlos lief der Ball abermals durch die eigenen Reihen. In so einem Umfeld kann Kimmich gar nicht der gewünschte Antreiber sein.

Es ist nicht so, dass Flick keine Optionen hätte. Statt sich aber mal darauf zu konzentrieren, wie er einen Weltklassespieler wie Kimmich in eine Rolle bringen kann, in der er seine Stärken perfekt einbringt, ist der Bundestrainer hauptsächlich damit beschäftigt, die Defensive umzubauen. 20 verschiedene Abwehrformationen bot er in 23 Partien auf, statt sich festzulegen und mit Priorität am Ballvortrag und der Offensive zu arbeiten. Rhythmus? Fehlanzeige. In jeder Länderspielperiode stehen andere Spieler auf dem Platz.

Dass Kimmich sich nun einer Führungsspielerdebatte stellen muss, liegt wohl einfach in der Natur des deutschen Fußballs, ist aber angesichts der Großbaustelle sinnlos. Als würde man den Bauleiter hauptsächlich dafür verantwortlich machen, dass der Architekt in der Planung des Hauses die Treppen vergessen hat und der Chef den Bau dennoch befiehlt. Statt den Spieler zu kritisieren, der trotz Formschwäche nach wie vor zu den besten des Teams zählt, sollte man tatsächlich anfangen, Flick in die Verantwortung zu nehmen.

"Wir werden nächstes Jahr im Juni eine Mannschaft haben, die funktioniert", kündigte dieser an, ohne auch nur einen Grund dafür zu liefern. Frei nach dem Motto: Ihr werdet schon sehen. Zwölf Monate zuvor kann er aber auf fast nichts blicken, was seine These unterstützt. Stattdessen folgt auf ein misslungenes Experiment das nächste. Spieler wie Ilkay Gündogan oder eben Kimmich, die bei ihren Klubs tragende Säulen sind und mehrfach ihre herausragenden Qualitäten unter Beweis gestellt haben, funktionieren unter dem Bundestrainer nicht.

Gerade im so wichtigen Mittelfeld fehlt es an Abstimmung, klarer Rollenverteilung und Balance - allerdings in jeder Konstellation. Das wirft die Frage auf, was Flick eigentlich an der Taktiktafel plant - und wie lange sich der DFB das noch ansehen möchte.

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DFB-Team: Hansi Flick passt zur schwachen Außendarstellung

Zumal Flick schon jetzt angeschlagen wirkt. Seine Interviews erinnern an jene in der Schlussphase beim FC Bayern. Kritischen Fragen weicht er konsequent aus, versucht stattdessen, sich an vermeintlich positive Dinge zu klammern. Dabei flüchtet er sich zunehmend in Phrasen.

"Man kann der Mannschaft nicht absprechen, dass sie alles versucht hat, heute hier zu gewinnen", erklärte der 58-Jährige in der ARD, als würde er über einen Underdog sprechen, der gerade gegen den Weltmeister knapp verlor. Deutschland aber spielte gegen Polen, das sich nach dem Trainerwechsel im Januar selbst noch in einer Findungsphase befindet.

Auf unangenehme Nachfragen reagiert Flick zunehmend sensibel und angefasst. Beim FC Bayern reagierte er in seiner ersten schwierigen Phase ähnlich auf die Fragen der Journalistinnen und Journalisten. Das mag einerseits in seiner Natur liegen. Flick stand nie gern im Mittelpunkt, hat immer versucht, sich der großen Aufmerksamkeit zu entziehen. In erfolgreichen Zeiten wurde ihm das als sympathische Eigenschaft ausgelegt.

In Krisenzeiten aber braucht es einen Bundestrainer, der klar und deutlich kommunizieren kann, was genau eigentlich diesen "Prozess" ausmacht und warum es derzeit nicht so funktioniert, wie sich das die Fans und das Team selbst wünschen. Einer, der glaubhaft vermittelt, dass die jetzige Situation tatsächlich nur eine Phase ist und nicht das neue Normal.

Flick ist das nicht. Er schwimmt von einer schwammigen Aussage zur nächsten und ist froh, wenn er sich nicht mehr rechtfertigen muss. Auf diesem Weg schafft er es sogar, seine eigenen Spieler öffentlich an den Pranger zu stellen. Mit der Kritik an Niklas Süle und seiner Fitness rief er jene Generation an Ex-Spielern und -Funktionären auf den Plan, die sich nichts daraus machen, öffentlich Bodyshaming zu betreiben. Ein Thema, das eigentlich mehr Sensibilität erfordert, vom Bundestrainer allerdings auf dem Silbertablett serviert wurde.

Da wirkt seine Verteidigungsrede für Kimmich wie Doppelmoral. Zumal er diesem mit seinem hochtrabenden Michael-Jordan- und Kobe-Bryant-Vergleich ebenfalls keinen Gefallen tat. Mit dieser Außendarstellung wird er zum Gesicht der Tristesse und Einfallslosigkeit, die die Männer des DFB derzeit umgibt. Flick wirft mehr Fragen auf, als er Antworten liefern kann.

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DFB-Team offenbart Qualitätslücken - Hansi Flick ebenso

Natürlich darf man nicht außer Acht lassen, dass der Kader einige Qualitätslücken offenbart. In der Defensive war man in der Vergangenheit schon deutlich besser aufgestellt. Wer auf den Außenpositionen die Wahl zwischen Jonas Hofmann, Benjamin Henrichs, David Raum und Marius Wolf hat, muss im Spielsystem zwangsweise Kompromisse eingehen, will er das höchste Niveau erreichen.

Doch Flick findet diese Kompromisse nicht. Schon beim FC Bayern drohte er im zweiten Jahr daran zu scheitern, eine taktisch-strategische Balance auf dem Platz zu finden, die die Defensivschwäche seines Teams versteckt. Gerettet wurde er oftmals von einer überragenden Torquote Robert Lewandowskis. Beim DFB rettet ihn niemand.

Hier muss er selbst kreativ sein und gute Lösungen finden, die einerseits die Klasse der vorhandenen Topspieler ins Rampenlicht stellt, andererseits aber auch jene mitschwimmen lässt, die dieses Niveau nicht haben. Nach mittlerweile fast zwei Jahren im Amt muss das nüchterne Fazit gezogen werden, dass ihm das nicht gelingt.

Flick hatte einen überragenden Lauf beim FC Bayern, der durch viele glückliche Umstände in der Coronazeit begünstigt wurde. Ansonsten bleibt seine Bilanz als Cheftrainer überschaubar. Wer beim Kader die Qualitätsfrage stellt, muss sie also auch beim Trainer stellen.

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DFB-Team: Zurück in die 2000er

Ein Jahr vor der Europameisterschaft im eigenen Land hofft man beim DFB offenbar, dass eines der dutzenden Experimente von Flick endlich funktioniert. Doch das gleicht einem Glücksspiel.

"Alles auf Rot" scheint jedenfalls keine erfolgsversprechende Strategie zu sein. Nach dem Ende der Ära von Joachim Löw wollte der Verband einen neuen Weg gehen, gab nach außen hin vor, sich neu aufzustellen. Progressiv und modern ist dieser Weg allerdings nicht. Das zeigte spätestens die Anstellung von Rudi Völler. Mehr 2000er Jahre geht kaum.

Rückwärtsgewandt und ohne Vision - so präsentiert sich der DFB aktuell auf allen Ebenen. Hansi Flick ist Teil dieses Problems. Und während seine besten Spieler bis zuletzt noch im Fokus der Kritik standen, muss die Frage in den Vordergrund gestellt werden, ob es überhaupt noch richtig ist, mit Flick in dieses so richtungsweisende EM-Jahr zu gehen. Argumente für sich liefert er derzeit jedenfalls nicht. Dafür aber immer mehr Fragezeichen.

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