Mut zur Lücke! Mut zu Lücke? Julian Nagelsmann ändert vor dem Achtelfinale gegen Dänemark seine ungewöhnliche Taktik

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Anders als bei den bisherigen EM-Spielen macht Bundestrainer Julian Nagelsmann vor dem Achtelfinale gegen Dänemark ein Rätsel um seine Startelf. Darf Niclas Füllkrug in seinem Dortmunder Heim-Stadion erstmals beginnen?

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Vor den bisherigen drei EM-Spielen gab es keinerlei Rätsel um die deutsche Aufstellung. Seine angedachte Turnier-Startelf verkündete Julian Nagelsmann schon lange vor EM-Beginn lücke-nlos. Genauso offen wie der Bundestrainer seinen Spielern ihre Rollen erklärte, kommunizierte er sie auch der Öffentlichkeit.

Beispiel: Niclas "Lücke" Füllkrug ist der erste Sturm-Joker, an vorderster Front vertraut Nagelsmann stattdessen dem spielstärkeren Kai Havertz. Füllkrug wusste es, Havertz wusste es, Deutschland wusste es. Und so war es auf jeder Position. Mit diesem für Trainer ungewöhnlichen Vorgehen verlieh Nagelsmann seiner Mannschaft eine klare Struktur und ein wiedererkennbares Gesicht.

Der überzeugende 5:1-Auftaktsieg gegen Schottland gab dem Bundestrainer keinen Anlass für etwaige Änderungen in der Startelf. Nach dem darauffolgenden 2:0 gegen Ungarn sah das schon etwas anders aus. Obwohl der Achtelfinal-Einzug fix war und vier Spielern Sperren drohten, änderte Nagelsmann auch gegen die Schweiz nichts - und verkündete das erneut vorab. "Stand jetzt" gäbe es keine Umstellungen, sagte der Bundestrainer bei der Pressekonferenz, auf drohende Sperren wolle er "keine Rücksicht" nehmen.

Nahm er tatsächlich nicht, prompt sah Innenverteidiger Jonathan Tah seine zweite Gelbe Karte im Turnier. Im Achtelfinale gegen Dänemark muss Nagelsmann nun also mindestens eine Umstellung vornehmen: Statt des gesperrten Tah wird Nico Schlotterbeck beginnen. Aufgrund einer Oberschenkelzerrung war bis zuletzt auch Tahs angestammter Innenverteidiger-Partner Antonio Rüdiger fraglich, er wurde aber rechtzeitig fit.

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DFB-Team: Julian Nagelsmann ändert seine Kommunikations-Taktik

Während die Reha-Abteilung seit dem Schweiz-Spiel an einer rechtzeitigen Genesung Rüdigers arbeitete, diskutierte Fußball-Deutschland über einen möglichen Wechsel im Sturm. Die falsche Neun Havertz bereicherte das deutsche Spiel zwar mit seinen Läufen und seiner technischen Klasse, netzte aber erst einmal - per Elfmeter gegen Schottland. Sturmtank Füllkrug traf als Joker dagegen sowohl gegen Schottland als auch zum vielumjubelten Ausgleich gegen die Schweiz. Für seine zwei Treffer brauchte er nur 74 Minuten.

Die deutliche Mehrheit der Fans fordert eine Startelf-Berufung Füllkrugs gegen Dänemark. Das belegen diverse Umfragen. Darf Füllkrug also beginnen? "Wenn man von außen draufschaut, ist eine Forderung nach Fülle nachvollziehbar", sagte Nagelsmann und erklärte: "Ich habe meine Entscheidung getroffen, aber ich werde sie nicht verraten." Damit änderte Nagelsmann pünktlich zum Beginn der K.o.-Runde seine ungewöhnlich offene Kommunikations-Taktik. Erstmals bei diesem Turnier verriet er seine Startelf nicht vorab, bewies bei seiner Kommunikation also Mut zur Lücke. Bedeutet das gleichzeitig auch: Mut zu Lücke?

Es gibt zumindest Anzeichen, laut Bild füllte der 31-jährige Stürmer von Borussia Dortmund in einem Geheimtraining am Mittwoch die Rolle des Stürmers in der A-Elf aus. Tatsächlich gibt es gute Argumente sowohl für als auch gegen einen Wechsel im Sturmzentrum.

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Niclas Füllkrug in die Startelf? Was dafür und was dagegen spricht

Füllkrug strahlte bei diesem Turnier bisher deutlich mehr Torgefahr aus als Havertz, das spricht selbstredend für eine Chance in der Startelf. Gerade gegen die großen und robusten dänischen Innenverteidiger würde Füllkrug dem deutschen Spiel zwischen den Zauberern Jamal Musiala und Florian Wirtz zudem eine womöglich entscheidende Prise Wucht verleihen.

Gleichzeitig ist Füllkrug aber auch als Joker eine enorm gefährliche Waffe, mit vier Treffern sogar Deutschlands bester in der Geschichte großer Turniere. Schon bei der WM in Katar netzte er zweimal nach Einwechslungen. Taucht Füllkrug an der Seitenlinie zur Einwechslung auf, drehen die Fans durch - in seinem Dortmunder Heim-Stadion sicherlich noch wilder als überall sonst eh schon. Mit Füllkrug kann Nagelsmann mehr als einen treffsicheren Stürmer einwechseln. Füllkrug weckt als Joker Glauben bei den Fans, unabhängig von Spielverlauf und Spielstand.

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"Herausragend gut gemacht": Julian Nagelsmann lobt Kai Havertz

Bei Havertz wäre das wohl eher nicht der Fall. Genau wie viele andere Legionäre - früher Mesut Özil, einst Querpass-Toni Kroos, oftmals auch Ilkay Gündogan - bekommt Havertz hierzulande nicht die verdiente Wertschätzung für seine starken Leistungen im Ausland. Der 25-Jährige spielte eine überzeugende Saison mit dem FC Arsenal, übrigens auch in der Rolle des Mittelstürmers. Tatsächlich gelangen Havertz in der Premier League bei etwas längerer Einsatzzeit mehr Treffer (13) als Füllkrug mit Dortmund in der Bundesliga (12).

"In der internen Bewertung ist Kai deutlich höher angesiedelt als in der Öffentlichkeit. Es geht für den Stürmer nicht immer nur darum, ein Tor zu machen", sagte Nagelsmann. Dass Jamal Musiala und Ilkay Gündogan im bisherigen Turnierverlauf dermaßen glänzten, lag auch an Havertz' Spielweise. "Kai hat in sehr vielen Spielen einen klaren Job, der damit einhergeht, dass er nicht viele Ballaktionen hat, weil er Raum für andere kreieren sollte. Das hat er herausragend gut gemacht."

Möglich wäre es auch, dass Füllkrug gegen Dänemark nicht statt Havertz beginnt, sondern mit ihm. In diesem Fall würde Havertz ins offensive Mittelfeld rücken und dort Florian Wirtz verdrängen. Als Startelf-Option statt Wirtz gilt zudem auch der bisher enttäuschende Leroy Sané. Und links hinten könnte David Raum Maximilian Mittelstädt ersetzen.