Cristiano Ronaldos erstes halbes Jahr bei Al-Nassr: Verlorener Meistertitel und viel Theater

Von Mark Doyle / Patrik Eisenacher
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Al-Nassr war Tabellenführer, als CR7 im Januar für viel Geld kam - doch dann wurde der Klub von Al-Ittihad noch überholt.

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Cristiano Ronaldo hat es drauf - zumindest noch mehr Geld auf seinem Konto. Denn seit seinem Wechsel nach Saudi-Arabien ist er laut Forbes wieder der bestverdienende Sportler der Welt.

Auf dem Spielfeld sieht die Sache allerdings nicht ganz so erfreulich für ihn aus. Als CR7 im Januar in Riad ankam, stand Al-Nassr an der Spitze der saudischen Profiliga. Doch Ronaldos neuer Klub landete am Ende nur auf dem zweiten Platz - hinter Al-Ittihad, das seinen ersten Titel seit 14 Jahren holte. Ronaldo und Co. waren dafür hauptverantwortlich, denn Al-Nassr spielte am Samstag gegen Al-Ettifaq nur 1:1. Durch dieses Resultat liegt der Ronaldo-Klub bei nur noch einem ausstehenden Spiel fünf Punkte hinter dem bereits jetzt schon feststehenden Meister.

Was lief also schief beim haushohen Favoriten? Hat Al-Nassr den Titel leichtfertig weggeworfen? Und war die Verpflichtung von Ronaldo ein Faktor in der enttäuschenden zweiten Saisonhälfte?

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Cristiano Ronaldo: "Bin jetzt ein besserer Mensch"

Ronaldo räumte vor Kurzem ein, dass er nach seiner Rückkehr zu Manchester United eine "schlechte Phase seiner Karriere" hatte, die mit seinem Abgang äußerst unglücklich endete. All das brachte ihm Kritik selbst von einigen seiner treuesten Anhänger ein.

Ronaldo argumentierte jedoch, dass diese schlechte Phase "Teil der Entwicklung" sei und ihm geholfen habe, zu reifen. "Ich bin jetzt ein besserer Mensch", betonte er in einem Interview mit Sport TV+ im März.

Das kann stimmen, aber er ist sicher nicht ruhiger geworden. Der Ronaldo, den die Fans in Saudi-Arabien sehen, ist deutlich aggressiver und launischer als der CR7, der noch in Europa spielte.

Innerhalb eines Monats gab es gleich mehrere Zwischenfälle: Er schlug den Ball wütend weg (als Al-Nassr 2:0 führte), trat eine Wasserflasche weg, ging auf seine eigene Bank los, bekam einen Wutanfall wegen einer strittigen Schiedsrichterentscheidung, schubste einen gegnerischen Fan, der ein Selfie machen wollte, lehnte einen Trikottausch ab hat und brachte sogar einen Gegner mit einem wrestlingähnlichen Move zu Boden.

Besonders umstritten war die Geste, die er nach der 0:2-Niederlage in Richtung der Al-Hilal-Fans machte, die ihn schon vor dem Spiel mit Messi-Sprechchören gereizt hatten.

Es gab sogar Forderungen, ihn aus der Liga zu werfen, weil er sich auf scheinbar provokante Weise in den Schritt gefasst hatte. Ronaldo blieb jedoch unbestraft. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Disziplinar- und Ethikkommission des saudischen Fußballverbands nur die offiziellen TV-Aufnahmen vom Spiel geprüft hat, nicht aber die Fan-Videos, die anschließend in den sozialen Medien auftauchten.

Auch die recht einfallsreiche Erklärung des Vereins für Ronaldos Verhalten, die dem Journalisten Muhammed Al-Enezi übermittelt wurde, mag dazu beigetragen haben, dass CR7 nicht bestraft wurde: "Ronaldo leidet an einer Verletzung. Sein Streit mit Gustavo Cuellar, dem Spieler von Al-Hilal, begann mit einem Schlag in einem sehr empfindlichen Bereich. Die Fans können darüber denken, was sie wollen."

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"Die Neider erfinden ein Gerücht ..."

Ronaldo muss seit seiner Ankunft in Saudi-Arabien immer mehr Berichterstattung über sein Privatleben ertragen. Es gab sogar Berichte, dass seine Beziehung mit Georgina Rodriguez nach einem Streit im April kurz vor dem Ende stünde. Ronaldos Partnerin antwortete jedoch auf Instagram: "Die Neider erfinden ein Gerücht, der Klatsch verbreitet es und ein Idiot glaubt es."

Solche Boulevardgeschichten sind für die Ronaldo-Familie leider nichts Neues. Der einzige Unterschied ist, dass sie sich nun sogar damit beschäftigen müssen, dass sich andere Leute mit ihrem Familienstand beschäftigen. Denn in Saudi-Arabien ist es für unverheiratete Paare eigentlich illegal, zusammenzuleben.

Für Ronaldo und Rodriguez scheint eine Ausnahme gemacht worden zu sein. Aber das hat den Tratsch über das Promi-Duo nicht beendet. Die Posts von Rodriguez wurden kritisch betrachtet, denn die Gesetze und Vorschriften Saudi-Arabiens zu Kleidung und Posts in den sozialen Medien wurden von ihr nicht immer beachtet.

Das hat fast zwangsläufig zu dem Gerücht geführt, dass sich das in Argentinien geborene Model in Saudi-Arabien nicht wohl fühlt und nach Europa zurückkehren möchte.

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Rivaldo über Cristiano Ronaldo: "Führt nicht gerade ein glückliches Leben"

Brasiliens Legende Rivaldo ist kein Fan von Ronaldos Engagement in Riad. Er mutmaßte neulich, dass "Spieler manchmal von den großen Verträgen, die sie in Saudi-Arabien unterschreiben, getäuscht werden".

"Aber dann ist das Leben dort schwieriger und fußballerisch ist es nicht immer so leicht, wie sie es erwarten", sagte der Weltmeister von 2002 gegenüber der spanischen AS. "Vielleicht durchlebt er eine Phase der Enttäuschung und sogar des Nachdenkens. Ist das Geld, das ihm gezahlt wird, ein Ausgleich für das weniger glückliche Leben, das er im Moment führt?"

Berichten in Spanien zufolge ist der Rekordtorschütze von Real Madrid mit der Infrastruktur in Saudi-Arabien unzufrieden, und die spanische Mundo Deportivo behauptet, dass er CR7 das Gefühl habe, dass es "sehr weit von einer modernen Gesellschaft entfernt ist". Ronaldo ließ das bereits dementieren.

Es gibt auch Bilder eines glücklichen Ronaldo. Anfang März feierte er mit seiner Familie auf der Tribüne den dramatischen Sieg gegen Al-Batin. Der 38-Jährige strahlte, als er von seinem Klub besondere Torten geschenkt bekam. Zuerst zu seinem Geburtstag und eine für seinen Rekord an Einsätzen als Profi. Manchmal alberte Ronaldo auch herum. Zum Beispiel, als er während eines Mannschaftstrainings die Rolle des Fotografen übernahm. So schlecht kann es selbst einem Perfektionisten bei all dem Geld also nicht gehen.

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Cristiano Ronaldo ist nicht mehr der Alte

Es gab zweifellos auch Momente, in denen er den Eindruck erweckte, dass er wieder Spaß am Fußball hat. Der fünffache Ballon d'Or-Gewinner blieb zwar in seinen ersten beiden Pflichtspielen für Al-Nassr torlos, wurde aber im Februar zum Spieler des Monats in der saudischen Profiliga gewählt, nachdem er in nur vier Spielen achtmal getroffen hatte.

Anschließend markierte er in 19 Spielen 14 Tore - auch, wenn fünf dieser Treffer Strafstöße waren. Seine Schnelligkeit ist nach wie vor beachtlich, außerdem netzte Ronaldo auch mal wieder per Freistoß.

In anderen Spielen wirkte er aber natürlich auch wie ein alternder Superstar, der sich mit schwächeren Kollegen herumschlagen muss. "Ich schwöre bei Gott", schrieb der ehemalige Al-Nassr-Star Fahd Al-Huraifi auf Twitter, "ich wollte nicht, dass Cristiano zu Al-Nassr kommt. So sagen Talisca und er beide: 'Gib mir den Ball, ich schieße ein Tor', das ist eine Katastrophe."

"Ich liebe Ronaldo sehr, ich liebe seine Professionalität und seinen Respekt, das ist alles unbestreitbar, aber... er ist nicht mehr in der Lage zu dribbeln, oder eine Einzelaktion zu starten. Er braucht immer einen Assist", meinte er weiter.

Natürlich ist das genau die Spielweise, die Ronaldo nun braucht, um seine unglaubliche Karriere auch mit 38 Jahren fortzusetzen. Aber das ist auch der Grund, warum sein Berater Jorge Mendes im letzten Sommer keinen europäischen Spitzenklub für seinen mittlerweile ehemaligen Klienten finden konnte. So trennten sich die beiden letztlich.

Ronaldo glaubt, dass er immer noch Tore auf höchstem Niveau schießen kann - und warum auch nicht, wenn man bedenkt, was er in seiner Karriere alles erreicht hat? Eric Cantona, eine weitere United-Legende, gehört jedoch zu denjenigen, die der Meinung sind, dass Ronaldo nicht akzeptiert, dass er die Startelf bei einem großen Verein nicht mehr verdient. Das sah auch Uniteds Teammanager Erik ten Hag so.

Cantona sagte zu calciomercato.com: "Es gibt zwei Arten von altgedienten Spielern: diejenigen, die jedes Spiel absolvieren wollen, weil sie immer noch denken, dass sie 25 sind. Und diejenigen, die wissen, dass sie nicht mehr 25 sind, sondern jetzt jungen Spielern helfen sollen. Sie wissen, dass sie nicht jedes Spiel spielen werden, aber sie sind sich bewusst, dass sie ihren Moment bekommen werden."

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"Ronaldos Einstellung steckt andere an"

Es ist ja nicht so, dass Ronaldo nie einen positiven Einfluss auf seine Mannschaftskameraden gehabt hätte - im Gegenteil. Genau wie bei Juventus hat er auch bei Al-Nassr seine Mitspieler dazu inspiriert, ihre Standards in Sachen Gesundheits- und Fitnesstraining zu erhöhen.

"Wie alle anderen war auch ich unsicher, wie es sein würde, mit Cristiano zu arbeiten, und ob sich der Klub stark verändern würde. Aber ich habe keinen professionelleren Fußballer als ihn kennengelernt", so der Ernährungsberater Jose Blesa gegenüber Ideal. "Jedes Gespräch mit ihm hat einen Lerneffekt. Wir haben uns getroffen und über seine Ernährung gesprochen, darüber, wie wichtig das und Ruhe für die Leistung sind."

"Er ist der Erste, der zum Training kommt und der Letzte, der geht. Der Umgang mit ihm ist wunderbar. Cristiano hilft mir sehr, denn wir können ihm nichts mehr beibringen, aber er schafft neue Standards um sich herum", fuhr Blesa fort. Ronaldos Einfluss habe zum Beispiel dazu geführt, dass sich seine Mitspieler gesünder ernährten.

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Nummer '7' und Kapitänsbinde: Ronaldo dominiert bei Al-Nassr

Es wurde auch befürchtet, dass seine Ankunft einigen Spielern auf die Nerven gehen könnte. Schließlich wurde Vincent Aboubakar durch seine Verpflichtung aus dem Verein gedrängt, da Al-Nassr einen ausländischen Spieler zu viel in seinen Reihen hatte. Der Kameruner betonte aber später, Ronaldo habe sogar versucht, ihn zum Bleiben zu überreden.

Aufsehen erregte auch, dass Ronaldo sofort die Kapitänsbinde überreicht wurde. Doch auch hier betonte Mittelfeldspieler Jaloliddin Masharipov, dass niemand in der Mannschaft, nicht einmal der bisherige Kapitän Abdullah Madu, ein Problem mit dieser Entscheidung gehabt habe.

"Es wäre ein wenig seltsam, wenn ein anderer Spieler der Kapitän von Ronaldo wäre", sagte der Usbeke. "Wir haben das erwartet. Unser ehemaliger Kapitän hat die Binde bereitwillig und ohne Probleme weitergegeben. Ich denke, das ist die beste Lösung. Es kann nicht anders sein."

Masharipov sagte außerdem: "Vor der Ankunft von Cristiano haben mich auch viele Leute gefragt: 'Wirst du ihm die Nummer 7 geben?' Wie könnte man sie ihm nicht geben? Er ist Cristiano Ronaldo! Solche Spieler sollten immer Respekt bekommen!"

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Cristiano Ronaldo: Zerbrochenes Verhältnis zu Rudi Garcia

Kapitän Ronaldo gelang. esnicht, Al-Nassr zum Meistertitel zu führen. Einige würden die Schuld für dieses überraschende Scheitern jedoch ohnehin Ex-Trainer Rudi Garcia zuschreiben. Die Art und Weise, wie der Franzose mit der überraschenden Verpflichtung Ronaldos umging, war höchst fragwürdig.

In Wirklichkeit begannen die Probleme nach der 1:3-Niederlage gegen Al-Ittihad im saudischen Super Cup am 26. Januar, als Garcia einen Fehlschuss Ronaldos für die Niederlage verantwortlich machte und behauptete, dieser habe "den Verlauf des Spiels verändert". Von diesem Moment an war das Verhältnis zwischen den beiden nicht mehr dasselbe. Und nach Monaten schwelender Spannungen spitzte sich die Lage nach dem 0:0-Unentschieden gegen Al-Feiha am 9. April zu.

Nachdem Ronaldo am Ende einer frustrierenden Partie Richtung Spielertunnel gestürmt war, kritisierte Garcia seine Mannschaft öffentlich. "Ich bin mit der Leistung der Spieler nicht zufrieden", sagte er. "Ich habe von ihnen verlangt, dass sie auf dem gleichen Niveau wie im letzten Spiel [einem 5:0-Sieg gegen Al-Adalah] spielen, aber das ist nicht geschehen." Innerhalb von vier Tagen war Garcia entlassen.

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Al-Nassr: Kommen nun José Mourinho oder Zinédine Zidane?

Ronaldo zollte dem entlassenen Trainer in einem Social-Media-Post Tribut und erklärte, dass es "ein Vergnügen" gewesen sei, mit dem 59-Jährigen zusammenzuarbeiten. Es wurde jedoch weithin berichtet, dass der Stürmer eine wesentliche Rolle bei seinem Abgang gespielt habe, weil er von Garcias defensiver Taktik wenig begeistert war.

Dinko Jelicic wurde in der Folge als Interimstrainer eingesetzt, schaffte aber keine Wende. Al-Nassr verlor nicht nur den Meistertitel, sondern schied auch im Halbfinale des King Cup gegen Al-Wehda aus.

Infolgedessen häufen sich die Spekulationen, dass der Verein einen hochkarätigen Trainer holen möchte. José Mourinho und Zinédine Zidane sind die beiden größten Namen, die derzeit mit dem Engagement in Verbindung gebracht werden. Unter beiden arbeitete CR7 bereits erfolgreich bei Real Madrid.

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Cristiano Ronaldo: Bleibt er oder geht er?

Ronaldos Verbleib ist wohl gesichert. Al-Nassr möchte unbedingt, dass er seinen bis 2025 laufenden Vertrag erfüllt.

Denn er hatte einen enormen Einfluss auf den Status von Al-Nassr in den sozialen Medien. Der Instagram-Account des Vereins wuchs von 860.000 Followern vor seiner Ankunft auf derzeit 14,7 Millionen. Wie Musalli auf der ersten Pressekonferenz sagte, ging es bei diesem Deal um mehr als nur Fußball. Und man hofft, dass Ronaldo nicht nur das Ansehen des Vereins, sondern auch jenes der Liga weiter stärken wird.

Wenn Ronaldos Wutausbrüche und sein Scheitern mit Garcia jedoch etwas bewiesen haben, dann, dass er nach wie vor ein schwieriger Charakter ist. Er will immer noch unbedingt gewinnen, und er will auch weiterhin Tore schießen, egal auf welchem Niveau. Im Moment ist er eindeutig unzufrieden. Das bedeutet, dass das Gerede über eine Rückkehr nach Europa so schnell nicht verstummen wird.

Es ist jedoch nach wie vor unwahrscheinlich, dass ein Top-Klub aus der Champions League ihn verpflichtet - trotz der ständigen Versuche von Piers Morgan, seine Fans vom Gegenteil zu überzeugen. Es ist ja nicht so, dass sich die Anforderungen des Spitzenfußballs in den letzten sechs Monaten geändert hätten - und Ronaldo hat in der saudischen Profiliga auch nicht genug geleistet, um zu zeigen, dass er als Spieler immer noch so effektiv ist wie als Werbeträger.

Als er mit Borussia Dortmund in Verbindung gebracht wurde, erklärte Geschäftsführer Carsten Cramer gegenüber dem kicker, dass der Wert des Vereins "nicht von den Followern in den sozialen Medien abhängt. Wir sind ein Fußballverein, das ist das Entscheidende. Auch bei der besten Markenpräsentation ist das A und O das Produkt."

Aber da Ronaldo nun einmal Ronaldo ist, ist er vielleicht genauso entschlossen, mindestens eine weitere Saison in Saudi-Arabien zu bleiben - um diejenigen zum Schweigen zu bringen, die behaupten, dass nicht nur der Angreifer bei diesem historischen Transfer einen Fehler gemacht hat - sondern auch Al-Nassr.

"Wenn ich einer der Direktoren von Al-Nassr wäre", gestand Al-Huraifi, "hätte ich Cristiano nicht verpflichtet. Ich hätte mich nach Messi oder einem anderen Spieler umgesehen."

Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass Ronaldo zwar nicht die Schuld an allen Problemen trägt, die Al-Nassr den Titel gekostet haben, dass er aber auch nicht so viele Lösungen geliefert hat wie erwartet.

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