"Ich will bei Olympia reiten", sagt Jessica Werndl im Gespräch mit SPOX und strahlt dabei. Es ist gleich zu spüren, dass es sich um eine besondere junge Dame dreht. Eine, die für den Dressursport lebt.
Jessica Werndl ist im Dressurland Deutschland eine der größten Nachwuchshoffnungen. Neudeutsch könnte man sie Germany's Next Dressurstar nennen.
Die 23-Jährige hat in der Junioren-Zeit so ziemlich alles abgeräumt, was abzuräumen war. Doppel-Europameisterin 2002, Einzelsilber 2003, Einzelgold 2004, Doppel-Europameisterin 2005 - eine bemerkenswerte Liste an Erfolgen.
Die Magie von Pirouetten
Für Jessica Werndl ist die Dressur aber mehr als ein Sport, den sie erfolgreich betreibt. Es ist ihr eine Herzensangelegenheit - besonders erfährt man das, wenn sie über die Magie von Pirouetten und Traversalen spricht.
"Das harmonische Zusammenspiel zwischen Pferd und Reiter ist für mich die Faszination am Dressursport. Es soll so leicht und elegant aussehen und es steckt so viel Arbeit dahinter."
In der Tat bekommt der Dressur-nur-alle-vier-Jahre-bei-Olympia-TV-Zuschauer das Gefühl, dass das Pferd wie von selbst Piaffen beherrscht und tanzt.
Pferd ist wie ein Partner
"Ein Außenstehender kann sich nicht vorstellen, wie viel Kraft und Zeit man in die Ausbildung eines Pferdes investieren muss, bis ein Pferd mal soweit ist, bei einem Grand Prix starten zu können. Es ist so ein langer Weg. Das ist aber auch das Fesselnde", sagt "Jessi".
Da jedes Pferd anders ist, gibt es im Reitsport auch kein Erfolgsrezept. Auf jedes Pferd muss sie sich neu einstellen, da es anders auf reiterliche Hilfen reagiert oder charakterlich total unterschiedlich ist.
"Klar spreche ich mit meinem Pferd. Es ist wie ein Partner. Wenn es mir schlecht geht, gehe ich in den Stall, dann geht es mir gleich wieder besser."
Kür mit J-Lo
Wenn sich die harte Arbeit auszahlt und nach sechs bis siebenminütiger, höchster Konzentration am Ende eine perfekte Kür herauskommt, gibt es für die hübsche Studentin kein schöneres Gefühl.
Für ihre letzte Kür hatte sie sich die Titelmelodie aus dem Film "Darf ich bitten" mit Richard Gere und Jennifer Lopez ausgesucht. Dass sie mal auf hohem Niveau zu lateinamerikanischer Tanzmusik durch das Dressur-Viereck reiten würde, hätte sich Jessica Werndl lange auch nicht vorstellen können. Sie kam praktisch wie die Jungfrau zum Kinde zur Dressur.
Ihre Tante züchtete früher Lewitzer Ponys und hatte sich einen kleinen Hof gekauft. Als sie irgendwann auszog, übernahmen die Werndls - zunächst mehr aus Spaß - den Hof. Niemand dachte, dass daraus mal eine Dressurreitanlage der Extraklasse entstehen würde.
Sportverrückte Familie
Ein Grund für den Erfolg: Der Ehrgeiz war in der Familie Werndl schon immer zu Hause. Vater Klaus segelte leistungssportmäßig, Mutter Micaela fuhr Ski-Rennen. Jessica machte sich zunächst gar keine Gedanken, ob sie nun springen oder lieber Dressur reiten wollte.
Die Formel lautet: Bevor man springen kann, muss man als Basis ordentlich Dressur reiten können. Also begann sie mit der Dressur und heimste sofort einen Erfolg nach dem anderen ein. Immer an ihrer Seite: Ihr Bruder Benjamin, der mit ihr die Leidenschaft für den Dressursport teilt.
"Ich wollte es nicht mehr ändern. Ich bin früher auch gesprungen, aber jetzt ist es sowieso zu spät für einen Wechsel. Außerdem ist die Dressur nicht so gefährlich. Und es macht mir wahnsinnig Spaß, Pferde auszubilden und auf Lektionen vorzubereiten. Das hat ein bisschen was von Zirkus-Reiterei", sagt Jessica Werndl, die auf die ganz große Bühne will.
Jessi und der Streber
"Es ist nicht völlig unrealistisch, dass ich in London 2012 schon dabei bin, aber es wird verdammt schwierig. Um ins deutsche Team zu kommen, muss wirklich alles passen. Man braucht auch ein bisschen Glück, zur richtigen Zeit das richtige Pferd zu haben."
Das richtige Pferd könnte Renommee heißen. Sieben Jahre alt, Spitzname "Der Streber". Falls es in London noch nicht klappt mit Jessi und dem Streber, dann eben 2016. Jessica Werndl ist es ganz wichtig ist, dass sie ihre Pferde vor lauter Ehrgeiz nicht überfordert.
Die Pferde sollen es "selber wollen", Spaß an der Arbeit haben und bekommen neben Pausen zur Schonung ein abwechslungsreiches Programm geboten. So geht es in der Woche einmal auf die Rennbahn, dann wird longiert - alles ganz locker und ohne Zwang.
Reitsport in der Krise
Angesichts des straffen Programms - Jessica Werndl reitet sechs Pferde - legt sie auch zwischendurch mal eine kurze "Hinlegepause" ein. Damit sie wieder klar denken kann.
Klar denken, das würde einigen im Reitsport ganz gut tun in diesen Tagen. Wenn man sich die letzten Wochen anschaut, könnte der Eindruck entstehen, dass die Radsportler ihren unangefochtenen Spitzenplatz auf der Rangliste der Doping-Sportarten verloren haben.
Der Reitsport ist auf der Doping-Autobahn links raus gefahren und gibt mächtig Gas. Spätestens seit dem Doping-Skandal um Dressur-Ikone Isabell Werth ist klar, dass der Reitsport imagetechnisch in der größten Krise aller Zeiten steckt.
"Isabell Werth ist mein großes reiterliches Vorbild"
"Es ist eine Riesenkatastrophe für den Dressursport und den Reitsport im Allgemeinen. Das hätte nicht passieren dürfen", sagt Jessica Werndl.
Sie träumt von Olympia, aber momentan muss sie tatenlos mit anschauen, wie sich die Sportart, die so liebt, selbst zugrunde richtet. Vielleicht gibt es bald keinen Reitsport mehr bei Olympischen Spielen. Es ist zumindest nicht ausgeschlossen.
Jessica Werndl ist vom "Fall Werth" persönlich betroffen, da sie in regelmäßigen Abständen zum Training zu Isabell Werth fährt. "Ich weiß, dass sie es nicht mit Absicht gemacht hat. Das würde sie nie riskieren. Isabell ist nach wie vor mein großes reiterliches Vorbild", nimmt sie Werth in Schutz.
Vertrauen in den Tierarzt
Aber was ist denn nun das große Problem des Reitsports, dass sich die Dopingfälle so häufen? Jessica Werndl weiß es selbst nicht so recht: "Es ist alles sehr schade. Es gibt eine Dopingliste, die befolgt werden muss. Aus, Amen! Wenn ein Pferd krank ist, hat es sowieso auf einem Turnier nichts verloren."
Klar ist, dass dem Tierarzt eine große Bedeutung zukommt. Auch bei Jessica Werndl. "Ich bin persönlich hypervorsichtig und rufe lieber zehnmal den Tierarzt an, bevor ich etwas gebe. Ich bin natürlich auch von seiner Aussage dann abhängig. Ich vertraue ihm total."
Bleibt zu hoffen, dass der Reitsport die Doping-Problematik in den Griff bekommt. Und wer weiß, vielleicht sind es ja Jessica Werndl und ein Streber, die Pferdesport-Reporter-Gott Carsten Sostmeier in Zukunft richtig ausrasten und ins Mikro brüllen lassen: "Komm, tanz für deine Reiterin!"