Update Thomas Köhler hat fast 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sein Gewissen erleichtert und als erster ehemaliger DDR-Sportfunktionär Doping von Minderjährigen zugegeben. In seiner am Mittwoch erscheinenden Autobiografie "Zwei Seiten der Medaille", berichtet der heute 70-Jährige von systematischem Staatsdoping, das auch vor Jugendlichen nicht halt machte.
"Wenn Sportler bereits ab dem 16. Lebensjahr beteiligt wurden, geschah das vor allem unter Beachtung ihres biologischen Reifegrades", schreibt Köhler, gibt jedoch auch zu: "Inzwischen hat sich gezeigt, dass es Verstöße gegen diese Festlegungen gab."
Entschuldigend betont der Rodel-Olympiasieger von 1968, dass eine Anwendung von Doping bei jüngeren Sportlern grundsätzlich nicht gestattet war. "Die Leistungsentwicklung von Nachwuchssportlern, die noch keine Spitzenbelastungen erreicht hatten, wurde ausschließlich über das Training erzielt." Hinweise, dass selbst an Spartakiadesportler Anabolika vergeben wurden, hätten auch ihn überrascht.
Doping nur für Kaderathleten
Doping sei nur "für ausgewählte Kadersportler vorgesehen gewesen, die in der Regel erwachsen waren. Ausnahmen bestanden zum Beispiel im Schwimmen, einer Sportart mit einem geringeren Höchstleistungsalter, wobei nur Sportler einbezogen wurden, die nach einem mehrjährigen Trainingsprozess zur Leistungsspitze zählten."
Den Sportlern unterstellt der ehemalige Vizepräsident des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) grundsätzlich eine Mitwisserschaft.
"Alle Mittel wurden im Einvernehmen mit dem Sportler verabreicht. Mir ist aus meiner Tätigkeit im Leistungssport nicht bekannt, dass ein Trainer oder ein Sportler von oben angewiesen wurde, Dopingmittel zu verwenden", schreibt Köhler.
Köhler widerspricht Dopingverweigerern
Für zahlreiche Dopingverweigerer, die deshalb unter fadenscheinigen Gründen aus Nationalmannschaften ausgeschlossen wurden, müssen Köhlers Worte wie blanker Hohn klingen. "Es stimmt nicht, dass Sportler, die es ablehnten, unerlaubte Mittel zu verwenden, ihre Kaderzugehörigkeit verloren hätten", behauptet der heute 70-Jährige, der im DDR-Sport zweiter Mann hinter DTSB-Chef Manfred Ewald war.
So kann es nur eine rhetorische Frage des Sachsen sein, ob man Sportler, Trainer oder Ärzte zum Doping zwingen könne. Seiner eigenen Erfahrung nach sei Zwang keine Basis für Bestleistungen. Nur wer sich freiwillig dem Leistungssport verschreibe, könne Erfolge erzielen.
Laut Köhler waren kurz vor der Wende 90 Fachärzte in den Sportvereinen der DDR angestellt. "Die Vergabe von Medikamenten", berichtet Köhler, "erfolgte unter strengster Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflicht." Schwere gesundheitliche Zwischenfälle oder sogar Todesfälle habe es in der DDR nicht gegeben. Allein diese Behauptung Köhlers ist längst durch die zahlreichen Prozesse von geschädigten DDR-Sportlern widerlegt worden.
Medikamente stets unter Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflicht
Die Verantwortlichen des DDR-Sports hätten sich die Entscheidung für den Einsatz von Dopingmitteln nicht leicht gemacht und strenge Kriterien festgelegt, unter welchen Bedingungen sie eine Nutzung nicht nur vor den Sportlern vertreten, sondern mit ihnen gemeinsam tragen konnten.
Die Vergabe der Medikamente sei nur stets unter strenger Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflicht erfolgt. Wie organisiert man damals auch in der Bundesrepublik vorgegangen sei, werde bis heute mit wenigen Ausnahmen bewusst verschwiegen, betonte Köhler.
Köhler lebt heute als Pensionär in Berlin. Von 1968 bis 1976 arbeitete er als Cheftrainer der DDR-Rennrodler. 1984 in Sarajevo und 1988 in Calgary war er Chef de Mission der DDR-Mannschaft bei den Olympischen Winterspielen. Bis 1990 gehörte er dem Nationalen Olympischen Komitee der DDR an.