SPOX: Herr Ovtcharov, Sie haben zuletzt bei der Tischtennis-EM in Österreich Einzel- und Mannschafts-Gold gewonnen. Welchen Stellenwert haben diese Titel im Vergleich mit der Bronzemedaille bei Olympia 2012?
Dimitrij Ovtcharov: Die Bronzemedaille steht über allem. Olympia ist mit keinem anderen Event zu vergleichen. Die Tradition und das daraus resultierende Medieninteresse sind einzigartig. Das war bislang mit Abstand der schönste Moment in meiner Sportlerkarriere, einfach unbeschreiblich. Trotzdem war der Erfolg bei der EM natürlich auch ein tolles Erlebnis.
SPOX: Sie haben im gesamten Turnier nur drei Sätze abgegeben. Gab es überhaupt einen Zeitpunkt, an dem Zweifel am Titel aufkamen?
Ovtcharov: Ich habe immer daran geglaubt und gehofft, dass ich es schaffe. Aber gerade im Halbfinale gegen Bastian Steger war es sehr eng. Das würde ich als knappsten Moment im gesamten Turnier bezeichnen. Zum Glück hatte ich das bessere Ende auf meiner Seite.
SPOX: Trotz Ihrer Erfolge fand die EM in den deutschen Medien kaum statt. Frustriert Sie dieses Schattendasein?
Ovtcharov: Das ist ja nichts Neues. In Deutschland schenken die Medien ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich dem Fußball und der Formel 1. In anderen Ländern ist es anders. Gerade in Asien und speziell in China ist das Interesse am Tischtennis um einiges größer. Bei der EM war leider auch nicht die Hölle los, allerdings wurden zumindest sehr viele Spiele live im Fernsehen gezeigt.
SPOX: Wünschen Sie sich manchmal, Fußballer zu sein und vor 80.000 Zuschauern zu spielen?
Ovtcharov: (lacht) Beim Tischtennis wäre das kaum möglich, weil unser Ball etwas kleiner ist. Dann würden die Zuschauer nichts mehr sehen. Grundsätzlich vergleiche ich meine Sportart nicht mit dem Fußball, das macht keinen Sinn. Aber auch wir haben mal bei der WM in Dortmund vor bis zu 13.000 Zuschauern gespielt.
SPOX: In China hat Tischtennis einen anderen Stellenwert. Sie waren dort im Sommer in der Profiliga aktiv. Welchen Eindruck haben Sie bekommen?
Ovtcharov: China spielt, was die Professionalität und den Stellenwert des Sports angeht, in einer ganz anderen Liga als Europa. Das Vorbild dort ist die NBA. Es gibt einen einheitlichen Sponsor und alles ist extrem professionell. Bei den großen Events sind einige tausend Leute da. Das ist eine ganz andere Hausnummer.
SPOX: Sie sprechen die Professionalität an. In welchen Bereichen hinkt Deutschland hinterher?
Ovtcharov: Wir haben das Problem, dass man die Hallen nicht voll bekommt, wenn man nicht ganz viel Werbung betreibt. Fernsehzeiten kriegt man ohnehin nur ganz schwierig. Im europäischen Vergleich können sich die anderen Länder von Deutschland trotzdem eine Scheibe abschneiden.
SPOX: Timo Boll war in Deutschland jahrelang das Gesicht des Tischtennissports. Allerdings sägen Sie mit Ihren Erfolgen an seinem Thron und sind in der Weltrangliste mittlerweile sogar an ihm vorbeigezogen. Findet momentan eine Wachablösung statt?
Ovtcharov: Viele würden eine Wachablösung gerne sehen, aber wir sollten uns weniger darauf konzentrieren, wer der Bessere ist. Man muss eher froh sein, dass wir zwei Leute mit dieser Qualität haben. Wenn die Nummer fünf der Welt mit der Nummer sechs trainiert, hat das ein sehr hohes Niveau. Das ist auch der Grund, warum die Chinesen so stark sind. Sie haben eine unglaublich breite Masse an Weltklasse-Spielern und profitieren im Training von dieser großen Konkurrenz.
SPOX: Ist das auch ein Grund, warum viele Europäer nach China gehen?
Ovtcharov: Auf jeden Fall. Ich bin jetzt schon wieder mit drei Vereinen in Kontakt, damit ich in der nächsten Saison wieder dort spielen kann. Wenn man von Leuten wie Ma Lin oder Zhang Jike etwas lernen kann, dann muss man diese Möglichkeit wahrnehmen.
SPOX: Wie hat sich Ihr Spiel in China weiterentwickelt?
Ovtcharov: Ich habe noch mal an Athletik, Schnelligkeit, Spiel- und Schlaghärte zugelegt. Früher war ich sehr kleinwüchsig und habe eher passiv gespielt. Damals hatte ich auch noch nicht die Kraft und habe die Bälle meistens nur reingeschaufelt. Das hat sich aber geändert, mittlerweile bin ich für einen Europäer sehr aggressiv und temporeich.
SPOX: Was fehlt noch, um die Chinesen auch bei wichtigen Turnieren über einen längeren Zeitraum zu bezwingen?
Ovtcharov: Die Chinesen haben Trainingsmöglichkeiten und können auf Ressourcen zurückgreifen, die wir nicht haben. Das muss man sich immer wieder vor Augen führen. Aber nichts ist unmöglich, wenn ich weiterhin an meiner Konstanz arbeite. Ich habe eigentlich alle Chinesen schon geschlagen, jetzt muss es nur mal bei einem wichtigen Event passieren.
SPOX: Die Einzel-WM 2015 oder Olympia 2016 wären doch ein passender Zeitpunkt...
Ovtcharov: Dazu würde ich nicht nein sagen (lacht). Die WM ist das letzte Turnier, bei dem ich noch keine Medaille geholt habe. Das bleibt ein sehr großes Ziel. 2016 wartet dann das Nonplusultra. Mit Blick auf Rio wäre ich mit einer Medaille natürlich sehr zufrieden. Die Hoffnung und auch der Glaube sind aber da, dass vielleicht eine andere Farbe herausspringt als 2012.
SPOX: Ihre Zukunft sieht also rosig aus. Kaum vorstellbar, wenn man bedenkt, dass Sie vor einigen Jahren fast zu einer Persona non grata geworden wären. Welche Erinnerungen haben Sie an den Dopingverdacht 2010?
Ovtcharov: Das war die schwierigste Phase meiner bisherigen Karriere. Man kann das fast nicht in Worte fassen, was mir damals durch den Kopf ging. So eine Situation wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht.
SPOX: Wie fühlt man sich als Angeklagter, wenn man weiß, unschuldig zu sein?
Ovtcharov: Es war so realitätsfremd, dass ich es die erste Zeit gar nicht geglaubt habe. Ich dachte, gleich klingelt noch mal das Telefon und das Missverständnis wird korrigiert. Ich hielt so etwas für unmöglich: ein unschuldiger Athlet, der positiv getestet wird. Deshalb war die Situation besonders schwer für mich. Aber ich bin froh, dass es sich dann alles doch noch aufgeklärt hat.
SPOX: Was hat Sie in der Phase am meisten belastet?
Ovtcharov: Ich habe in dieser Zeit realisiert, wie klein und nichtig die Probleme vorher waren. Man möchte einfach sein Sportlerleben zurück. In dieser Phase hat sich alles relativiert. Man merkt auch, wer wirklich zu einem hält.