Shane Carden ist den Weg gegangen, von dem viele Kinder in Amerika träumen: Vom dekorierten High-School-Quarterback in Texas ging es ins College, wo er zahlreiche Rekorde vom langjährigen NFL-QB David Garrard brach. Doch der Sprung in die NFL gelang trotz Training Camps bei den Chicago Bears nicht, stattdessen verschlug es Carden zu den Stuttgart Scorpions in die GFL. Ein Gespräch über Football in Deutschland, College-Recruiting, Playbooks und deutsches Essen.
SPOX: Ich will ehrlich sein: Bei der Recherche ist mir eine Sache sofort ins Auge gesprungen - Sie haben High-School-Football in Texas gespielt! "Friday Night Lights" und alles was dazu gehört, das ist ja ein ganz eigener Mythos. Sie selbst sind damals von Kalifornien nach Texas umgezogen, wie haben Sie all das als High-School-Quarterback erlebt?
Shane Carden: Da ich in Houston gespielt habe, hatte ich nicht dieses ganz extreme Kleinstadt-Feeling. Aber gleichzeitig muss ich sagen: Football ist alles in Texas. Väter kommen zurück an die Schule, für die ihr Sohn vor fünf Jahren gespielt hat - einfach um zu sehen, wie sie sich schlägt. Die Leute lieben es, Football zu schauen. Freitags kommen dann in der Schule alle zusammen, jeder trägt sein Trikot. Die Cheerleader kommen und dekorieren dein Haus und deinen Garten vor den Homecoming-Spielen. Es ist nicht ganz so extrem, wie manche TV-Serien es aussehen lassen. Aber es ist definitiv eine Riesensache in Texas.
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SPOX: Und Sie haben die High School mit einem Titel abgeschlossen! Trotzdem mussten Sie auf Angebote lange warten und erlebten den kompletten College-Recruiting-Prozess hautnah mit. Wie kann man sich das vorstellen?
Carden: Es ist wild. (lacht) Man bekommt diverse Briefe von verschiedenen Colleges, ich habe hunderte dieser Briefe erhalten. Du machst dir dann Gedanken über die Schulen, ich war währenddessen noch in verschiedenen Summer-Camps. Man zeigt sich den Coaches. Aber am Ende haben mir nicht allzu viele Schulen volle Stipendien angeboten. Es ist vergleichbar mit der GFL und den US-Importen: Du stellst dein Profil zur Verfügung und dann fragen dich verschiedene GFL-Teams an. So ähnlich kann man sich es vorstellen.
SPOX: Wie fiel die College-Entscheidung am Ende?
Carden: Ich hatte zwei Teams zur Auswahl, Central Michigan und Eastern Carolina. Letztlich entschied ich mich für Eastern Carolina.
SPOX: Haben Sie während dieser Zeit auch mit Quarterback-Coaches trainiert? Es ist ja mittlerweile fast normal, dass Quarterback-Prospects viel Geld investieren, um mit QB-Experten zusammen zu arbeiten. Haben Sie etwas Vergleichbares gemacht?
Carden: Oh ja, ich weiß genau was Sie meinen. Ich habe noch einige Kontakte in Kalifornien, wo ich trainiert habe. Aber es kam mir nie so ernst vor, wie es heute bei einigen wirkt. Ich ging einfach heim zu meiner Familie und habe etwa ein Mal pro Jahr zuhause mit meinem Quarterback-Coach trainiert. Ich glaube unter dem Strich geht es darum, alles zu machen, was dir hilft, was dir einen kleinen Vorteil gibt und was dich weiter bringt.
SPOX: Und es hat sich früh ausgezahlt, im College haben Sie diverse Schul-Rekorde gebrochen! (Schul-Rekorde in Yards und TDs vor David Garrard; 2014 landesweite Höchstwerte mit 617 Passversuchen und 392 Completions, d. Red.) Gleichzeitig stelle ich mir den Alltag als College-Football-Spieler nicht gerade einfach vor, Richard Sherman hatte sich vor einiger Zeit mal drüber ausgelassen.
Carden: Man muss bedenken: Dir wird ein volles College-Stipendium gewährt. Das heißt, sie bezahlen dir die komplette Ausbildung. Aber ja, es ist ein Vollzeit-Job. Du hast nicht viel Zeit für irgendetwas neben Football und College. Du hast deine Unterrichtsstunden, dann gibt es Mittagessen und dann folgen Meetings und drei Stunden Training. Dann hast du teilweise noch deine Lerngruppen und bis du mit allem durch bist, ist es fast schon Mitternacht. Dann geht's ins Bett und am nächsten Tag gibt es das gleiche Programm wieder. Wie gesagt: Ein Vollzeit-Job!
SPOX: Im Gegenzug bietet College-Football, ähnlich wie der Kleinstadt-High-School-Football in Texas, eine ganz eigene Atmosphäre. Und Eastern Carolina, eine große Schule in einer kleinen Stadt, dürfte da keine Ausnahme gewesen sein.
Carden: Oh ja, das ist nochmal ein ganz anderes Level als in der High School. Wir hatten 50.000 Zuschauer bei unseren Heimspielen, die komplette Stadt hat sich in den Farben der Schule geschmückt und während meiner letzten beiden Jahre am College konnte ich nirgends hingehen, ohne dass ich erkannt wurde und Leute sich bei mir bedanken oder ein Autogramm wollten. Ich war so eine Art Kleinstadt-Berühmtheit! (lacht)
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SPOX: Irgendwie auch ein komisches Gefühl, oder?
Carden: Ja! Ich glaube, ich habe zunächst auch dieses Level an Begeisterung gar nicht so richtig verstanden und konnte es nicht so recht einordnen. Aber es war eine kleine Gemeinde und es macht Spaß, so vielen Leuten etwas zu bedeuten. Noch heute kommen Leute zu mir und danken mir für den einen oder anderen Sieg! Das ist schon verrückt. Du denkst, ein Spiel bedeutet dir viel - aber den Leuten bedeutet es ebenfalls viel.
SPOX: Einer Ihrer Mitspieler damals war Receiver Justin Hardy, der sich inzwischen bei den Atlanta Falcons durchgesetzt hat. Stehen Sie mit ihm noch in Kontakt? Wie hat er darauf reagiert, als er gehört hat, dass Sie nach Deutschland gehen?
Carden: Ja, wir haben noch Kontakt. Ich habe zuletzt vor etwa zwei Wochen mit ihm gesprochen. Wir kamen zusammen ans College und waren im ersten Jahr zusammen im Practice Squad. Er ist ein wirklich harter Arbeiter, sehr demütig. Er hat sich wirklich für mich gefreut, als er von Deutschland gehört hat. Gleichzeitig sagt er mir auch, dass ich ebenfalls in der NFL spielen sollte - er ist ein super Typ, ein enger Freund.
SPOX: Wie wird Deutschland insgesamt in der amerikanischen Football-Community gesehen? Nach der NFL Europa gab es ja einen kleinen Durchhänger, über die GFL ist der Football jetzt aber auch hier wieder auf dem Vormarsch. Wissen NFL-Spieler das?
Carden: Football-Spieler wissen definitiv davon und wissen, dass es verschiedene Ligen gibt. Mir wurde immer gesagt, dass Deutschland die beste Liga hat. Die Allgemeinheit weiß über die Football-Ligen hier in Deutschland allerdings nicht allzu gut Bescheid. Aber es wächst definitiv. Ich selbst habe bereits früh im College davon gehört und kannte einige Leute, die hier waren. Ich glaube, die GFL leistet wirklich gute Arbeit, auch was die Medien angeht, um zu wachsen und auf sich aufmerksam zu machen.
SPOX: Für Sie selbst ging der Weg aber nicht direkt aus dem College nach Europa - stattdessen schnappten sich die Chicago Bears Sie als Undrafted Free Agent. Wie schnell passierte all das nach dem Ende des Drafts? Rufen die Teams einfach an und als Spieler sucht man sich dann eines aus?
Carden: So in etwa, ja. Viele Teams haben meinen Berater angerufen und dann geht es darum, wo es am besten passt. Wir haben uns schon während der siebten Runde verstärkt damit befasst, als uns klar wurde, dass ich nicht gedraftet werde. Mein Berater hat dann bereits Teams kontaktiert und so hat es letztlich nur eine oder zwei Stunden nach dem Draft gedauert, ehe wir uns mit den Bears auf einen Deal geeinigt hatten. Ich habe noch in dieser Nacht unterschrieben.
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SPOX: Das nächste große Event war dann das Training Camp, die große Chance für alle Rookies. Aber wie viel Trainingszeit bekommt man tatsächlich als Undrafted Free Agent?
Carden: Es ist wirklich schwierig, man bekommt nur sehr wenige Gelegenheiten. Manchmal gab es Trainingseinheiten, in denen ich nur sechs Reps bekommen habe. Man muss also wirklich das Beste daraus machen, oder anders gesagt: Du musst rennen, bevor du laufen kannst. Man kommt dahin und die Coaches erwarten, dass du schnell alles lernst. Für sie ist es ein Business und sie verlangen, dass jeder mithält.
SPOX: Und Sie waren ja eine ganze Weile dabei ...
Carden: ... ja, Ende August wurde ich schließlich entlassen. Aber ich habe viele Routiniers und viele junge Spieler, die mit mir in die NFL kamen, kennengelernt. Die älteren Spieler wissen, dass es ein Business ist und dass der Kader zwischen Mai und Saisonstart fast um die Hälfte verkleinert wird. Es ist einfach eine ganz andere Atmosphäre als im College.
SPOX: Hatten Sie denn auch etwas mit Starting-Quarterback Jay Cutler direkt zu tun?
Carden: Wir haben uns in den Quarterback-Meetings immer getroffen, da waren alle Quarterbacks dabei. Es sind aber natürlich unterschiedliche Situationen: Er bereitet sich auf die Saison vor, ich versuche, es in den Kader zu schaffen. Es gab nie sonderlich viel Zeit für Smalltalk oder dergleichen.
SPOX: Nach dem Aus bei den Bears hat es nicht allzu lange gedauert, ehe sich die GFL gemeldet hat. Wie kam dieser Kontakt zustande?
Carden: Ich hatte noch einige NFL-Tryouts, aber irgendwie kam alles ein wenig zum Erliegen. Ich wollte einfach spielen und dann hat Rocco (Rocco Scarfone, WR/DB und Cardens College-Mitspieler, spielt in dieser Saison ebenfalls bei den Scorpions, d. Red.) angefangen davon zu reden, dass er nach Europa gehen will. Er hatte dann schon Kontakt mit einigen GFL-Teams und ich habe ihn gefragt, ob er mit ihnen auch in meinem Namen reden kann. Stuttgart wollte uns beide haben und dann haben wir uns dazu entschlossen, es einfach zu wagen.
SPOX: Also auch ein kleines Abenteuer - eine andere Kultur und ein fremdes Land, in dem Football nicht die Nummer-1-Sportart ist. Wie fällt ihr Zwischenfazit jetzt nach einigen Monaten aus?
Carden: Ich war vorher noch nicht einmal in Europa! Aber das war einer der Gründe dafür, warum ich es machen wollte. Während dem College hatte ich nicht viel Zeit für irgendetwas anderes, und jetzt hatte ich die Chance, Football zu spielen und ein anderes Land, einen anderen Kontinent kennen zu lernen. Ich kam einfach unvoreingenommen hier her und habe es alles auf mich zukommen lassen. Und bisher genieße ich meine Zeit hier wirklich!
SPOX: Und die Integration in die Mannschaft hat auch schnell funktioniert?
Carden: Ja! Die Jungs waren wirklich toll. Das war eine der Sachen, die ich vorher gehört habe - wie sie die "Import"-Spieler behandeln, die rüber kommen und hier spielen. Die Jungs haben sich uns gegenüber wirklich geöffnet und wir wurden schnell Freunde. Sie helfen uns auch mit allem Möglichen abseits des Platzes, was die Integration enorm erleichtert. Und wir hatten bisher schon jede Menge Barbecues! (lacht)
SPOX: Die deutsche Küche ist also kein Problem?
Carden: Nein, gar nicht - ich genieße es! (lacht) Ich komme aus Texas und Barbecues, Steaks, all diese Sachen sind natürlich genau mein Ding. Die Umstellung fiel mir leicht, insgesamt ist das Essen viel frischer als in den Staaten.
SPOX: Stichwort Umstellung: In einem Artikel habe ich gelesen, dass die Scorpions-Receiver anfangs Probleme hatten - weil Sie den Ball so hart werfen! Wie groß ist denn der Unterschied zwischen Football in den USA und Football in Deutschland, wo nicht jeder Spieler ein Profi ist?
Carden: Das ist genau der Punkt. Im College und in der NFL wird fünf, sechs Tage die Woche drei Stunden am Tag trainiert. Hier gibt es Jungs, die sind athletisch genau so gut, können aber nicht so viel Zeit in den Sport investieren. Das ist einfach die Realität. Es hat natürlich Zeit gebraucht, bis die Receiver und ich auf dem gleichen Level waren, aber inzwischen klappt das alles viel besser. Man darf diese Beziehung zwischen Receivern und dem Quarterback nicht unterschätzen.
SPOX: Wie kann man also Football in den USA mit Football in Deutschland vergleichen? Moritz Böhringer hat uns beispielsweise gesagt, dass er in Deutschland quasi ohne Playbook gespielt hat. Das ist natürlich ein tiefgreifender Unterschied.
Carden: Ja, das Playbook ist extrem wichtig und in der NFL sind die Playbooks meistens nochmal deutlich dicker als im College. Das braucht einfach Zeit und selbst wenn du im College bist, beschäftigst du dich das ganze Jahr über damit. Wenn keine Saison ist, dann trainierst du und arbeitest an bestimmten Dingen. Das verlangt viel Hingabe. Manche Leute kommen aus der High School und sind es nicht gewohnt, so viel Zeit in einen Sport zu investieren. Manche sind auch nicht bereit dazu.
SPOX: Benutzen Sie bei den Scorpions ein Playbook?
Carden: Ja, wir haben ein Playbook und arbeiten auf dem Platz auch mit einem Huddle. Das macht es leichter, Spielzüge hinzuzufügen.
SPOX: Auch wenn hier natürlich wieder der Zeitfaktor eine Rolle spielt, oder?
Carden: Absolut. Deshalb haben wir während der Saisonvorbereitung versucht, viele neue Dinge rein zu bringen. Jetzt geht es eher darum, sich von Woche zu Woche gezielt auf Teams vorzubereiten. Zum jetzigen Zeitpunkt steht unser Playbook weitestgehend fest.
SPOX: Abschlussfrage: Wie sehen Sie selbst Ihre Zukunft? Könnten Sie sich vorstellen, für mehrere Jahre in Deutschland zu spielen? Oder gibt es dann doch den Traum, selbst wenn es Ihnen hier gut gefällt, wieder in die NFL zurück zu kehren?
Carden: Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich kam hier her ohne zu wissen, wie mein nächster Schritt danach aussehen würde. Es gibt so viele verschiedene Variablen. Im Moment genieße ich dieses Jahr und falls ich nächstes Jahr wieder hierher zurückkomme und das alles funktioniert - toll. Aber ich weiß nicht, was dann vielleicht in den USA passiert. Ich bin offen für die Idee, hier her zurück zu kehren. Am Ende muss ich einfach sehen, wie sich alles entwickelt.