Kein Deutscher seit Dirk Nowitzki war so nah dran an der NBA wie Misan Nikagbatse. Der Guard gehörte vor zehn Jahren zu den weltweit größten Talenten. Auffällig: sein spektakulärer Basketball-Stil und sein extravagantes Auftreten. Doch dann kamen Verletzungen, ein Cannabis-Befund und eine depressive Phase. Nach zwei Jahren ist er wieder da - und so fit wie nie. Das große Comeback-Interview.
SPOX: Sie waren zwei Jahre von der Bildfläche verschwunden, bis Sie in diesem Sommer einen Ein-Jahres-Vertrag in Gießen unterschrieben haben. Wie kam der zustande?
Misan Nikagbatse: Mir lagen einige Angebote vor, aber am interessantesten fand ich Ulm und Gießen. Deswegen bin ich im Sommer ein bisschen durch Deutschland herumgefahren und habe mir die beiden Städte angeschaut und Gespräche geführt. Am Ende entschied ich mich für Gießen, weil das Bauchgefühl gestimmt hat und die Vorstellungen des neuen Cheftrainers Björn Harmsen genau zu meinem Spiel passen.
SPOX: Harmsens sehr akkurates Outfit erinnert an einen Basketball-Yuppie, Sie hingegen gelten als typischer Streetballer. Passt das?
Nikagbatse: Ich bin ein gestandener Profi mit jahrelanger Auslandserfahrung, das wird gerne vergessen. Meine Wurzeln liegen im Streetball, aber mir gefällt auch der systematische, europäische Basketball, genau wie Björn. Seine Idee: Einerseits soll ich kreativ sein, andererseits als erfahrener Combo-Guard das Team lenken. Genau das habe ich mir nach meiner langen Verletzungspause vorgestellt.
SPOX: Sind Sie fit? Zumindest Ihr Killer-Crossover soll nach wie vor überragend sein.
Nikagbatse: Der Killer-Crossover funktioniert noch, genau wie alle anderen technischen Elemente. Meinen Basketball-Instinkt habe ich nicht verloren. Und auch körperlich bin ich wieder auf der Höhe: Mein Körperfettanteil beträgt nur acht Prozent. Was mir jedoch fehlt, sind die Wiederholungen. Immer wieder im Mannschaftstraining Bewegungsabläufe üben oder Spielsituationen simulieren.
SPOX: Warum haben Sie zwischendurch beim DBV Charlottenburg in der 2. Regionalliga mittrainiert?
Nikagbatse: Ich wollte unbedingt wieder das Gefühl genießen, auf dem Court zu stehen, daher habe ich bei ein paar Partien mitgemacht. Ich musste den Versuch jedoch schnell abbrechen, weil es zu gefährlich wurde. Die Gegner sahen mich und wollten sich unbedingt beweisen, in dem Sie mich verfolgt und extra per Ellenbogen gefoult haben.
SPOX: Wie geht es jemandem, der zwei Jahre nicht das ausleben kann, was er am liebsten macht?
Nikagbatse: Ich fühlte mich eine Zeitlang sehr, sehr schlecht. Ich wurde depressiv, überall türmten sich die Probleme auf. Mir wurde der Basketball weggenommen, aber auch im privaten, familiären Bereich waren es 16 harte Monate. Unter anderem wurde meine Mutter schwer krank. Seitdem weiß ich, wie wichtig es ist, geduldig zu sein und sich kleine Ziele zu stecken, um sich langsam aus einem Tief zu befreien.
SPOX: Geduld und Nikatbatse gehörten früher nicht zusammen.
Nikagbatse: Ich entdeckte glücklicherweise meine Liebe für die Gitarre. Ich hatte schon lange vorgehabt, ein Instrument zu lernen, aber durch die Pause wurde ich fast schon dazu gezwungen, mich in Ruhe hinzusetzen und mich reinzuarbeiten. Der einzige Weg, ein Instrument zu beherrschen, ist Geduld. Von daher ist es mein größter Triumph, dass ich mittlerweile ordentlich Gitarre spielen kann.
SPOX: Gibt es ein besonderes Lied, das Ihnen über die Krise hinweg geholfen hat?
Nikagbatse: Den entscheidenden Ruck gab der Song "Breakeven" von The Script. Ich fand den Gitarrenriff schon immer cool. Später bin ich auf Youtube gegangen und habe mir mit Hilfe dieser Tutorial-Videos selbst Sachen von Tracy Chapman oder Ben Harper beigebracht. Anders als im Basketball musste ich mich von Anfang an durchkämpfen - aber umso schöner ist das Gefühl, mit Geduld etwas erreicht zu haben. Ich glaube, die Gitarre ist mein Therapeut.
SPOX: Es wird einige überraschen, das Sie auf gefühlvolle Indie-Songwriter stehen und nicht auf Gangsta-Rap.
Nikagbatse: Ich weiß, jetzt kommt wieder die Sache mit dem Ghetto.
SPOX: Und?
Nikagbatse: Was ich immer komisch finde: Ich werde immer in die kriminelle Ecke hingestellt, dabei hat sich noch nie ein Mitspieler oder Trainer über mein Verhalten oder mein Auftreten beschwert. In der Öffentlichkeit hingegen gelte ich als Krebsgeschwür, das jedes Team zerstört.
SPOX: Wie erklären Sie sich das?
Nikagbatse: Genau die gleiche Frage stellte mir Björn Harmsen. Meine Antwort: Es liegt wohl an meiner gesamten Erscheinung. Das fängt mit meinem Aussehen an: Ich bin der Sohn eines Nigerianers und einer Finnin, der so schon auffällt und bereits mit 15, 16 Jahren auffällige Frisuren hatte. Dazu die Tattoos, das Stirnband. Und die Geschichten über meinen schwierigen Familien-Background, die Kindheit in Berlin-Neukölln. Die Leute waren ohnehin eingeschüchtert von mir, und dann hat dieser Vogel auch noch basketballerisch was drauf. Das alles führte dazu, dass ich in der krassen Ecke gelandet bin.
Teil II: Nikagbatse über Köln, das Interesse der Lakers und den Yao-Dunk
SPOX: Bayerns Sportdirektor Marko Pesic sagt, dass Sie der am stärksten missverstandene Basketballer Deutschlands sind. Stimmt das?
Nikagbatse: Was die meisten nicht wissen: Ich bin eigentlich ein zurückhaltender Typ. Die Schüchternheit wird mir aber häufig als Arroganz ausgelegt. Deswegen bin ich auch nicht ganz unschuldig an meinem Ruf. Ich habe mir meine Außenwirkung und meinen Style ja selbst ausgesucht und den Leuten erst einen Grund gegeben, mich zu verurteilen. Zukünftig möchte ich daher einen besseren Eindruck hinterlassen und direkt auf die Menschen zugehen. Meine Mom soll zukünftig nicht mehr die Zeitung aufschlagen und etwas Negatives über mich lesen.
SPOX: Wie 2007, als Ihnen zu Ihrer Zeit bei den Köln 99ers Cannabis-Konsum nachgewiesen wurde.
Nikagbatse: Es war ein dummer, dummer Fehler. Ich habe meine Vorbildfunktion missbraucht und ich bereue es total. Es ist mir wichtig, das als erstes zu sagen. Dennoch möchte ich etwas anfügen: Die ganze Geschichte wurde falsch dargestellt.
ImagoSPOX: Sie haben nicht gekifft?
Nikagbatse: Doch. Aber: Zu dem Zeitpunkt stand bereits fest, dass Köln insolvent ist und ich für die restliche Saison mit einer Schulter-OP komplett ausfalle. Als normaler BBL-Profi wäre ich daher gar nicht auf Doping getestet worden. Doch weil ich zum Nationalmannschafts-Kader gehört habe, wurde ich kontrolliert. Daraufhin rief ich sofort bei der nationalen Doping-Agentur NADA an und fragte nach möglichen Konsequenzen. Sie klärte mich auf, dass ich keine Sperre zu erwarten hätte, sie aber den Befund dem DBB weiterreichen.
SPOX: Und dann?
Nikagbatse: Der DBB gab den Befund wiederum an Köln durch - und es wurde daraufhin hässlich. Für die 99ers war es ein gefundenes Fressen, weil sie Geldprobleme hatten und die Chance sahen, mich aus dem Vertrag zu kicken. Dem Verein ging es gar nicht um die Verfehlung an sich, sondern um den Vertrag. Weil Sie wussten, dass ich frisch operiert war und keinen neuen Verein finde, schlugen sie einen Deal vor: Dafür, dass die 99ers mit dem Befund nicht an die Presse gehen, sollte ich zustimmen, kein Gehalt mehr zu bekommen und die Wohnungsmiete selbst zu zahlen.
SPOX: Die Verantwortlichen von damals streiten dies vehement ab.
Nikagbatse: Das war aber so, deswegen sagte ich mir irgendwann: Es reicht! Ich weiß, das ich Scheiße gebaut habe, aber ich fand das Verhalten einfach nur grausam. Daher nahm ich mir einen Anwalt, woraufhin die Gängelung anfing: Der positive Dopingtest landete natürlich in den Zeitungen, ich durfte nicht mehr zum Training und es wurde sogar ein Klub-Angestellter zu meiner Wohnung geschickt, der mit dem Zweitschlüssel das Auto abholte.
SPOX: Seit dem Befund wurden Sie nie wieder vom DBB berufen. Was ist passiert?
Nikagbatse: Damals wurde mir gesagt, dass ich zwar sportrechtlich nicht belangt werde, aber wegen der moralischen Verfehlung für einen Sommer in der Nationalmannschaft aussetze und danach wieder ganz normal zurückkehre. Seitdem hat sich nie wieder jemand vom DBB bei mir gemeldet. Ich habe damals schon geahnt, dass ich nicht so wohlgelitten war bei einigen im Verband. Mit meinem Befund habe ich es genau diesen Leuten aber auch einfach gemacht.
SPOX: Sie setzten sich zu Anfang Ihrer Karriere zwei Ziele: Erfolg mit der Nationalmannschaft und den Sprung in die NBA. Letzterer klappte nicht. Wissen Sie im Rückblick, woran es lag?
Nikagbatse: Um es in die NBA zu schaffen, muss alles passen. Es ist ja nicht so, dass immer die absolut Besten gedraftet werden. Vielmehr geht es um Timing: Hätte ich mich 2000 gleich nach dem Albert-Schweitzer-Turnier gemeldet, wäre ich vielleicht gezogen worden und hätte mich zwei, drei Jahre in Europa weiterentwickeln können.
SPOX: Beim angesprochenen Albert-Schweitzer-Turnier, einem der prestigereichsten Jugendturniere der Welt, erzielten Sie unter anderem 46 Punkte gegen Griechenland.
Nikagbatse: Ähnlich war es 2005: Ich spielte in Italien für Sedima Roseto eine richtig starke Saison. Wir erreichten als Abstiegskandidat sensationell die Playoffs und ich war der zweitbeste Passgeber der italienischen Liga.
SPOX: Stattdessen meldeten Sie sich 2004 an und wurden nicht gepickt.
Nikagbatse: Es war sehr ärgerlich. Seit Dirk Nowitzki war kein Deutscher so nah dran an der NBA wie ich. Neben den Heat waren vor allem die Lakers interessiert. L.A. scoutete mich sehr intensiv und lud mich zum Pre-Draft-Camp nach Chicago ein. Danach hatte ich noch Workouts mit New Jersey, Boston und Denver. Ausgerechnet beim letzten Workout bei den Lakers knickte ich jedoch um, so dass ich mich nicht mehr anbieten konnte.
SPOX: War es nur Pech? Ihre Turnover-Anfälligkeit und die fehlende Spielübersicht gaben Anlass zur Kritik.
Nikagbatse: Vielleicht hatte ich drei Zentimeter zu wenig Größe, um als Shooting Guard zu spielen. Vielleicht lag es an meinem Wurf. Vielleicht aber auch an meinem Spielstil. Ich fand mein Basketball-Verständnis schon immer reif, nur manchmal dachte ich sogar für mich selbst zu schnell. Man erkennt Dinge, bevor sie passieren, und versucht diese zu antizipieren - das ist jedoch ein schmaler Grat. Deswegen erzielte ich mal beim Albert-Schweitzer-Turnier 46 Punkte in einem Spiel, eine Woche später unterlaufen mir bei einem Jugend-Länderspiel 9 Turnover. Damals war es zu extrem. Aber das Talent für die NBA war definitiv vorhanden.
SPOX: Und jetzt?
Nikagbatses: Mit 29 Jahren ist die Athletik nicht mehr das, was sie einmal war. Den Dunk über Yao Ming würde ich aber heute wohl noch hinkriegen. (lacht)
SPOX: Der Dunk gehörte zu den Highlights der WM 2002.
Nikagbatse: Den Hype habe ich jedoch nie richtig verstanden. Er kam einfach nur einen Schritt zu spät. Wahrscheinlich lag die Aufregung an der Story dahinter: Ich bin so viel kleiner und dann hat Yao davor noch einen Wurf von mir in die Tribüne geblockt, bis meine Revanche kam. Dennoch: Ich hatte in meiner Karriere viel krassere Dunks. Diese Zeiten sind aber leider vorbei.