Ein Wüterich mit dem Hirn eines Genies: Milos Teodosic fasziniert Basketball-Europa. Der 25-jährige Superstar von ZSKA Moskau polarisiert wie kaum ein anderer und erlebte mit der dramatischen Niederlage im Euroleague-Finale gegen Olympiakos Piräus einen Tiefpunkt. Der Spielmacher über das Trauma, die NBA und Albert Einstein.
SPOX: Sie erlebten mit ZSKA Moskau eine ähnlich traumatische Niederlage wie die Fußballer des FC Bayern: Im dramatischsten Finale der Euroleague-Geschichte unterlagen sie Olympiakos Piräus trotz einer 19-Punkte-Führung mit 61:62. Können Sie mit dem Abstand von einer Woche erklären, was Ihnen in Istanbul widerfahren ist?
Milos Teodosic: Es ist noch immer schwer, die richtigen Worte zu finden. Es kamen mehrere Faktoren zusammen: Wir begingen vermeidbare Fehler, trafen schlechte Entscheidungen, vergaben offene Jumper und Freiwürfe - und vielleicht haben wir ein bisschen relaxt und uns zurückgelehnt. Das soll jedoch nicht die Leistung von Olympiakos abwerten: Sie spielten großartig.
SPOX: Die Niederlage von ZSKA war auch eine Niederlage des Milos Teodosic. Sie haben Piräus in den ersten drei Vierteln dominiert und wie der sichere Final-Four-MVP ausgesehen, doch im letzten Viertel verloren Sie die Kontrolle und begingen alleine 4 Turnover.
Teodosic: Es war definitiv eine der schmerzhaftesten Niederlagen meiner Karriere. Es ist nur vergleichbar mit dem Ausscheiden im WM-Halbfinale 2010 gegen die Türkei - ausgerechnet in der gleichen Arena in Istanbul. Damals verloren wir auch mit dem Buzzer in letzter Sekunde.
SPOX: Die Kritiker, die in Ihnen einen überschätzten Egomanen sehen, fühlen sich nach dem Euroleague-Finale bestätigt. Welche Lehren ziehen Sie?
Teodosic: Ich weiß selbst am besten, wie kostspielig meine Fehler waren und dass ich mich verbessern muss, um solche Fehler zukünftig zu vermeiden. Ich bin so hungrig wie nie!
SPOX: Sie sind der vielleicht umstrittenste Basketballer Europas: Sie werden von den Fans gehasst - oder geliebt und als missverstandenes Genie gefeiert. Wer ist Milos Teodosic?
Teodosic: Wie jeder andere höre ich solche Komplimente sehr gerne. Es bedeutet mir unglaublich viel zu wissen, dass zwar nicht alle, aber einige zu schätzen wissen, was ich leiste. Aber ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, warum ich ein Genie sein soll. Ich spiele einfach nur Basketball.
Milos Teodosic im SPOX-Porträt: A Beautiful Mind
SPOX: Zweifellos üben Sie eine Faszination aus: 2010 wurden Sie als Europas Basketballer des Jahres ausgezeichnet, obwohl bei der zweigeteilten Wahl die Journalisten und Trainer Pau Gasol vorne sahen. Doch dank des überwältigenden Votums der Fans überholten Sie ihn. Sie bekamen mehr Stimmen als Gasol und Dirk Nowitzki zusammen.
Teodosic: Ich verstehe noch immer nicht, wie das passieren konnte. (lacht) Dass ich überhaupt in einem Atemzug mit Gasol und Nowitzki genannt werde, ist schon unglaublich genug - und dann gewinne ich das Ding auch noch. Damals konnte ich zwei Wochen später noch nicht fassen, dass ich den Award bekam, so gefreut hatte es mich.
SPOX: Albert Einstein sagte vor 100 Jahren: "Das Genie kontrolliert das Chaos." Verstehen Sie, was Einstein meint?
Teodosic: Mit so einer tiefschürfenden Frage habe ich jetzt gar nicht gerechnet. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Ich weiß nur, dass ich kein Genie bin. Pässe zu spielen ist einfach nur ein Talent, das ich besitze. Und bei jedem Spiel versuche ich lediglich, mir etwas neues einfallen zu lassen, um die Fans zu überraschen. Das ist mein Job - that's it.
SPOX: Dennoch: Kaum ein Basketballer ist so kreativ wie Sie. Welchen Ratschlag geben Sie einem Nachwuchsspieler?
Teodosic: Über allem steht Opferbereitschaft. Es geht nicht darum, viel zu trainieren oder sehr viel zu trainieren. Es geht darum, sehr, sehr, sehr, sehr viel zu trainieren. Es geht darum, den Basketball in seiner reinsten Form zu lieben. Wer schon als Zehnjähriger daran denkt, mit dem Basketball Geld zu verdienen, schlägt den falschen Weg ein. Wer nur an Geld, Ruhm oder Titel denkt, baut sich unnötig Druck auf - und die Kreativität leidet darunter zwangsläufig.
SPOX: Ihr Markenzeichen sind die Pässe. War Magic Johnson ein Vorbild in Ihrer Kindheit?
Teodosic: Damals wurde im serbischen Fernsehen leider kaum die NBA gezeigt, daher schaute ich mich in Europa nach Vorbildern um. Ich fand vor allem Predrag Danilovic und Dejan Bodiroga klasse. Sie waren als Basketballer komplett - und sie wussten, wie man gewinnt.
SPOX: An was dachten Sie, als Sie im WM-Viertelfinale 2010 gegen Spanien aus neun Metern den legendären Dreier in Jorge Garbajosas Gesicht trafen?
Teodosic: Nichts, ich dachte einfach an nichts. Ich dachte nicht daran, dass es ein WM-Viertelfinale war, dass der viel größere Garbajosa auf mich zugesprungen kam oder dass in der Arena alle auf mich schauten. Nur wenn man sich frei von solchen Gedanken macht, gehen solche Würfe rein.
SPOX: Mit Ihrer Attitüde und Ihrer Spielweise erinnern Sie an den kroatischen Handball-Superstar Ivano Balic. Verstehen Sie den Vergleich?
Teodosic: Ich habe den Vergleich noch nie gehört - aber er gefällt mir. Mein Vater spielte früher Handball und gab mir die Liebe für die Sportart mit. Daher kenne ich mich sehr gut aus und sehe besonders gerne Ivano Balic zu. Er ist mein Lieblings-Handballer, weil er Handball mit Hirn spielt.
SPOX: Eine weitere Parallele: Sie sind beide Wüteriche, deren Zorn in emotionalen Partien kaum zu bändigen ist.
Teodosic: Bei gewissen Spielertypen gehören solche Episoden zur Karriere. Man will unbedingt einen Sieg erzwingen und reagiert deswegen dumm und kindlich. Ich habe mich in dem Punkt aber deutlich gebessert. Ich lerne immer besser, mich zu kontrollieren.
SPOX: Bekommen Sie Hilfe von einem Mentalcoach oder einem Psychologen?
Teodosic: Nein, das mache ich mit mir selbst aus.
SPOX: Wie tickt Teodosic als Mensch?
Teodosic: Ich bin abseits des Basketballs ein komplett anderer Mensch. Ich bin sehr einfach gestrickt, ich bin sehr ruhig. Ich mag es, zu lachen.
Teil II: Teodosic über seine Ausraster, die NBA und Svetislav Pesic
SPOX: Was sagen Ihre Eltern, wenn Sie einen Ihrer Ausraster sehen? 2010 prügelten Sie sich bei einem Spiel der serbischen Nationalmannschaft mit den griechischen Gegenspielern, 2011 warfen Sie, damals noch bei Olympiakos, während des Athen-Derbys mit einer Flasche auf Panathinaikos-Fans.
Teodosic: Meine Eltern wissen, wie ich ticke, und lassen mich immer einen Tag in Ruhe. Wenn ich mich beruhigt habe, rufen sie mich an und sagen mir, dass mein Verhalten nicht in Ordnung war - wobei sie es eigentlich gar nicht machen müssten. Ich bereue es selbst sofort, wenn ich wieder einen riesigen Fehler begangen habe und nicht professionell auftrat. Manchmal war ich einfach nur dumm. Ich hoffe, dass diese Zeit vorbei ist.
SPOX: Die serbische Basketball-Schule gilt als besonders hart und diszipliniert. Wie kommt es, dass Ihnen Ihre Verrücktheiten in der Ausbildung nicht ausgetrieben wurden?
Teodosic: Ich wurde seit der Jugend immer von Trainern betreut, die mir die Freiheit gaben, mich als Basketballer auszuleben. Ich sehe das als Glücksfall für mich an.
SPOX: Nowitzki-Mentor Holger Geschwindner erklärte im SPOX-Interview, dass der deutsche Basketball mehr Talente ausbilden würde, wenn er sich mehr an Serbien orientieren würde. Wo liegt der Unterschied?
Teodosic: Ich bin selbst überrascht, dass Serbien offenbar nie aufhört, Talente herauszubringen. Der größte Unterschied ist aus meiner Sicht der Trainingsumfang: In Serbien absolvieren die Acht- bis Zehnjährigen zwei, manchmal sogar drei Einheiten - täglich! Und jeder wird dazu gepusht, nur an Basketball zu denken. So wird einem automatisch die nötige Mentalität mitgegeben. Trotzdem ist auch in Serbien nicht alles gut: Die heimische Liga bietet kaum Perspektive, so dass die 18- bis 20-Jährigen ins Ausland gehen müssen, obwohl sie noch nicht fertig ausgebildet sind. So fallen viele durchs Raster, weil der Schritt ins Ausland immer riskant ist.
SPOX: Sie selbst gingen mit 20 aus Serbien zu Olympiakos Piräus. Nach vier Jahren wechselten Sie letzten Sommer zu ZSKA Moskau. Was ist anders?
Teodosic: Es ist ein kleines bisschen kälter. (lacht)
SPOX: Und sonst?
Teodosic: Der Anfang fiel mir schwer. Ich habe eine gewisse Zeit gebraucht, um mich an die neuen Umstände zu gewöhnen, nicht nur an das Wetter, obwohl ich mit Nenad Krstic einen meiner besten Freunde an meiner Seite wusste. Mittlerweile fühle ich mich in Moskau aber sehr wohl.
SPOX: Allerdings wird seit Jahren darüber spekuliert, ob Sie in die NBA gehen könnten. Sprechen Sie mit Krstic und Euroleague-MVP Andrei Kirilenko, beide viele Jahre in der NBA erfolgreich, über eine mögliche Zukunft in den USA?
Teodosic: Natürlich ist die NBA eine Option. Ich denke darüber schon nach, aber ich bin mir unsicher, ob ich es wirklich wagen soll.
SPOX: Warum?
Teodosic: Ich bin kein junger Hüpfer mehr, sondern schon 25.
SPOX: Haben Sie mitbekommen, wie erfolgreich Ricky Rubios Rookie-Saison bis zu seiner Knieverletzung verlief? Und was heißt es für Ihre Karriere?
Teodosic: Klar! Ich freue mich für ihn - aber auch für Goran Dragic. Beide traten den Beweis an, dass europäische Playmaker in der NBA mithalten oder sogar dominieren können.
SPOX: Einige deutsche Nationalspieler träumen davon, in der NBA unterzukommen. Bringen sie die Qualität mit? Sie spielten in der Vergangenheit häufig mit Serbien gegen das DBB-Team.
Teodosic: Man sollte die deutschen Spieler nicht zu kritisch sehen. Sie verfügen über ein großartiges Team, dem man nur Zeit geben muss. Serbien ist in einer ähnlichen Situation. Der DBB hat mit Svetislav Pesic eine sehr kluge Entscheidung getroffen. Pesic weiß genau, wie Talente weiterentwickelt werden. Mit Deutschland wird zu rechnen sein.
SPOX: Pesic trainiert parallel Ihren Lieblingsverein Roter Stern Belgrad. Kennen Sie ihn?
Teodosic: Wir arbeiteten zwar noch nie zusammen, dennoch kenne ich ihn sehr gut. Ich kann den Deutschen sagen: Pesic ist einer der besten Trainer in Europa. Ich hoffe, dass ich so lange spiele, dass wir irgendwann zusammen beim gleichen Verein sind und er mich coacht. Svetislav Pesic hat etwas Besonders an sich.
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