"Der Wurf meines Lebens"

Felix Götz
26. März 201416:45
Gary von Waaden gewann mit Ulm 1996 den Pokal
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Am 29. und 30. März steigt in Ulm das Top Four. In der Donaustadt werden deshalb Erinnerungen an den größten Triumph der Vereinsgeschichte wach - und damit an Gary von Waaden. 1996 bescherte ein Buzzerbeater des Deutsch-Amerikaners im Pokalfinale gegen Leverkusen den Ulmern den bisher einzigen Titel. Bei SPOX spricht er über seinen goldenen Wurf und Tränen bei Frank Buschmann.

Berlin, 18. Februar 1996. Im Pokalfinale stehen sich Ulm und der haushohe Favorit Bayer Leverkusen gegenüber. Die Riesen vom Rhein führen 79:78, dann schlägt von Waadens große Stunde. Jarvis Walker hetzt Sekunden vor Schluss mit dem Ball nach vorne, passt auf die linke Seite zu von Waaden - und der wirft freistehend aus der Halbdistanz mit der Schlusssirene zum Sieg.Der 52-Jährige genießt in Ulm seither den Kultstatus eines Pokalhelden.

SPOX: Herr von Waaden, ich möchte mit Ihnen über den 18. Februar 1996 reden. Den Tag, an dem Sie mit Ulm Pokalsieger wurden.

Gary von Waaden (lacht): Daran erinnere ich mich gut und gerne. Schießen Sie los.

SPOX: Es gibt diesen TV-Ausschnitt mit Ihnen im Interview bei Frank Buschmann direkt nach dem Endspiel. Sie konnten kaum sprechen, weil sie hemmungslos geweint haben. Erinnern Sie sich?

Von Waaden: Doch, natürlich. Das waren alles Glückstränen. Ich war damals fix und fertig vor Glück und habe nur noch rumgeschrien. Sie müssen wissen: Das war ein langer Weg dahin, daran haben wir jahrelang gearbeitet. In den beiden Jahren zuvor hatten wir nämlich jeweils im Finale verloren. Einmal gegen Hagen, einmal ganz bitter mit einem Punkt gegen Leverkusen. Und ich war 1996 schon 35 Jahre alt, danach lief die Karriere langsam aus. Ich habe dann noch ein Jahr in Ulm gespielt, danach noch drei Jahre in der 2. Liga. Es war toll, das noch zu erleben und in dem Moment einfach wahnsinnig emotional. Das Beste kam sozusagen zum Schluss.

SPOX: Haben Sie die letzten Sekunden der Partie gegen Leverkusen noch im Gedächtnis? SPOX

Von Waaden: Natürlich! Jarvis Walker lief mit dem Ball nach vorne und wollte den Wurf selbst nehmen. Er wurde aber von zwei Spielern verteidigt, also passte er zu mir rüber. Und ich warf mit Brett, was ich sonst eigentlich nie mache. Höchstens mal im Sommer, wenn draußen gespielt wird. Aber der Winkel hat gepasst und der Ball ist rein gegangen - der Rest ist Geschichte.

SPOX: War das der Wurf ihres Lebens?

Von Waaden (nachdenklich): Ja, das kann man so sagen, es war der Wurf meines Lebens. Es gab noch ein paar andere, kleinere Highlights in meiner Karriere. Aber dieser Wurf und der damit verbundene Pokalsieg: Das ist die Nummer 1.

SPOX: In der Halle war anschließend der Teufel los, auch die in Ulm gebliebenen Fans waren völlig aus dem Häuschen. Wie waren die Stunden danach und die anschließende Party?

Von Waaden: Auf dem Spielfeld wurde ausgiebig gefeiert, Spieler und Fans lagen sich in den Armen. Aber leider bekam ich die anschließende Party in Berlin gar nicht mit. Jarvis Walker und ich sind nämlich nach Stuttgart geflogen, wo wir am Abend in der TV-Sendung Sport im Dritten zu Gast waren.

SPOX: Irgendwie bitter, oder?

Von Waaden (lacht): Naja, einen Vorteil hatte das Ganze. Ich konnte an diesem Abend den Pokal mit nach Hause nehmen, er blieb bei mir über Nacht. Und zu Hause wurde auch noch gefeiert. Meine Nachbarn hatten ein großes Plakat aufgehängt, um mir zu gratulieren. Es war also trotz der verpassten Party sehr erfreulich. Und am nächsten Tag ging es ja weiter.

SPOX: Wie?

Von Waaden: Es gab einen Empfang beim Bürgermeister und wir durften uns ins Goldene Buch der Stadt eintragen. Anschließend fand ein Autokorso statt. Wie beim Fußball war das, ein unglaubliches Freudenfest.

SPOX: Der Pokalsieg 1996 ist bis heute der einzige Titel, den Ulm gewonnen hat. Ihr Name ist dementsprechend in der Klubgeschichte ein sehr wichtiger. Spüren Sie das auch heute noch, wenn Sie nach Ulm kommen?

Von Waaden: Absolut. Die Älteren in der Halle kennen mich noch und sprechen mich an. Bei den Jüngeren wird es schon etwas schwieriger, die haben nur von der Geschichte gehört. Da muss dann schon mal der Vater oder die Mutter auf mich zeigen und sagen: Das ist Gary von Waaden (lacht).

Teil 2: Von Waaden über den Kuhberg und das Top Four

SPOX: Basketball spielt in Ulm eine sehr große Rolle, das ist heute nicht anders als damals. Sie haben sechs Jahre für die Ulmer gespielt. Was war das Besondere an diesem Verein?

Von Waaden: Die Fans! Die Ulmer Fans waren immer sehr, sehr gut und sehr, sehr positiv - und deshalb für mich etwas ganz Besonderes.

SPOX: Was meinen Sie genau?

Von Waaden: Was in der alten Halle auf dem Kuhberg immer los war, war einfach unglaublich. Diese Atmosphäre hat uns oft dabei geholfen, favorisierte Teams zu überraschen. Sie müssen mal Spieler von anderen Klubs von damals fragen - in Ulm hat niemand gerne gespielt. Wir Spieler bekamen durch die Fans sehr viel Selbstvertrauen. Und toll fand ich auch, dass die Kinder in der Kuhberghalle immer die VIP-Plätze hatten. Die saßen direkt am Spielfeldrand, so etwas gab es sonst kaum.

SPOX: Sie, Walker, Jens Kujawa, Bo Dukes, Stephen Arigbabu, Mike Knörr und Brad Dean als Coach: Die Ulmer hatten damals eine schlagkräftige Truppe beisammen. Haben Sie eigentlich noch Kontakt zu Ihren früheren Teamkollegen?

Von Waaden: Leider nicht wirklich. Nur zu Calvin Oldham, der heute Bremerhaven trainiert. Aber der war beim Pokalsieg schon gar nicht mehr dabei - und noch zu Uwe Sauer. Jarvis habe ich einmal getroffen, als er vor ein paar Jahren mal in Deutschland war. Aber sonst - eigentlich schade. Aber so ist das nun mal, alles verläuft sich ein wenig.

SPOX: Früher spielte Ulm in einer Schulsporthalle auf dem Kuhberg, heute in der hoch modernen Ratiopharm-Arena. Der Verein ist viel professioneller geworden, oder?

Von Waaden: Natürlich wurde auch damals versucht, möglichst professionell zu sein. Aber der Unterschied ist schon groß. Die neue Halle mit dem VIP-Raum ist 1A, auch die Stimmung. Ich glaube, dass die anderen Teams noch immer Angst davor haben, nach Ulm zu kommen.

SPOX: Haben Sie im aktuellen Ulmer Team einen Lieblingsspieler?

Von Waaden: Oh, das ist eine schwierige Frage. John Bryant mochte ich sehr, aber der ist ja leider nicht mehr da. Edgar Sosa gefällt mir gut und Keaton Nankivil hat sich gut entwickelt. Insgesamt muss ich sagen, dass ich das Team an sich mag und gerne zuschaue. Die Ulmer haben viel Qualität und ich nach wie vor ein freundschaftliches Verhältnis zum ganzen Verein.

SPOX: Kommen wir zum Top Four. Sie waren als Losfee im Einsatz und haben Ulm die Bayern als Gegner im Halbfinale beschert. Da wird sich Ihr Ex-Klub bedankt haben, oder?

Von Waaden (lacht): Egal welches Team gekommen wäre, irgendjemand wäre immer damit unzufrieden gewesen. Aber ich habe bereits vor der Auslosung gesagt, dass ich Ulm und Bamberg im Finale sehen möchte. Das ist nun möglich, deshalb hab ich doch alles richtig gemacht.

SPOX: Was trauen Sie den Ulmern zu?

Von Waaden: Sie können den Pokal gewinnen. Sie sind jetzt zum dritten Mal in Folge beim Top Four, wie wir damals. Ich kann gewisse Parallelen erkennen. Und wie es 1996 ausgegangen ist, wissen wir ja.

SPOX: Aber Bayern ist stark und mit Bamberg oder Berlin würde im Finale ja gleich der nächste dicke Brocken warten...

Von Waaden: Erst einmal haben die Ulmer Heimvorteil, das ist bei diesem Publikum ein großes Plus. Und dann hat Ulm noch einen Tag mehr Pause, weil Bayern am Donnerstag vor dem Top Four noch in Moskau spielen muss. Das ist eine weite Reise. Ich bin sicher: Die Ulmer sind in der Lage, jeden der Gegner zu schlagen.

SPOX: Werden Sie selbst in der Halle sein?

Von Waaden: Auf jeden Fall! Das lasse ich mir nicht entgehen.

SPOX: Abschließende Frage. Wie sieht Ihr Leben heute aus?

Von Waaden: Ich arbeite bei einer Firma in der Logistik. Außerdem leiten meine Frau und ich gemeinsam ein Damenstudio in Breitengüßbach. Zudem trainiere ich eine Damen- und eine U-18-Mannschaft. Sie sehen also: Basketball ist ein wichtiger Teil meines Lebens geblieben.

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