Patrick Femerling ist Rekordnationalspieler der deutschen Nationalmannschaft und spielte bereits mit Chris Kaman für Deutschland. SPOX erklärt er, weshalb die DBB-Auswahl den Center nicht braucht. Außerdem: Besondere Momente mit Alba Berlin, die Nachwuchsförderung in Deutschland, die Herausforderung als Jugendcoach und Dennis Schröders Rolle.
SPOX: Herr Femerling, zum 25-jährigen Jubiläum hat Alba Berlin eine Chronik herausgebracht, in der die Geschichte des Klubs beschrieben wird. Sie haben doch sicherlich auch eine bekommen.
Patrick Femerling: Ja, ich habe gerade eine bekommen. Ich habe auch schon mal durchgeblättert und fand das Ganze sehr ansprechend.
SPOX: Wie ist das als ehemaliger Spieler, wenn man sich all die Bilder aus der guten alten Zeit ansieht. Kommen da Emotionen hoch?
Femerling: Definitiv. Aber noch intensiver war es, als wir uns alle auf der Feier getroffen haben. Da tauscht man wieder die alten Kamellen aus und hat einfach eine gute Zeit. Das ist wirklich etwas Besonderes und Schönes, wenn man sich nach so langer Zeit wieder sieht und immer noch etwas gemeinsam hat.
SPOX: Sie sagten, dass Sie bereits einen Blick in die Chronik geworfen haben. Ist Ihr Lieblingsmoment denn verewigt?
Femerling: Das ist nicht einfach. Ganz bewusst würde ich wohl die 2008er Meisterschaft nehmen. Die ist noch sehr präsent, weil wir nach einer solch langen Durststrecke wieder den Titel geholt haben. Zudem war es auch mein erstes Jahr nach meiner Rückkehr, nachdem ich zuvor sieben Jahre im Ausland war. Das war definitiv etwas besonderes.
SPOX: Und während Ihrer ersten Zeit bei Alba?
Femerling: Auch da gab es große Momente. Gerade in Europa, wo wir mit dem Rücken zur Wand standen und uns doch noch irgendwie rausgezogen haben. Da gab es Spiele wie in Zadar, wo die Halle voll war und wir mit Zigarettenstummeln beschmissen wurden - und trotzdem gewonnen haben. Es gab schon viele Momente, die einem im Kopf geblieben sind und die wieder wachgerufen wurden. Am Ende macht man es dann aber doch mehr an den Personen fest, mit denen man das Ganze erlebt hat.
SPOX: Alba verfolgt ja seit Jahren die Philosophie, wichtige Positionen mit ehemaligen Spielern zu besetzen. Emir Mutapcic begann als Spieler und wurde später Coach, Hendrik Rödel ebenso. Heute bilden Sasa Obradovic und Mithat Demirel das Trainer-Manager-Gespann. Hilft das, die Philosophie des Vereins zu bewahren?
Femerling: Nicht nur das. Es besteht auch eine gewisse Form von Loyalität. Man fühlt sich wohl, war selbst mit dem Verein erfolgreich. Ich denke deshalb schon, dass das hilft, die Philosophie zu wahren. Allgemein ist das etwas sehr Positives, was eine zusätzliche Qualität bringt.
SPOX: Sie selbst arbeiten nach Ihrer aktiven Karriere ebenfalls wieder bei Alba, trainieren die U 16. Wie schwer fiel Ihnen der Umstieg vom Court auf die Bank?
Femerling: Ich gewöhne mich immer noch dran. Das ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen vonstattengehen kann. Es macht aber unglaublich viel Spaß. Denn am Ende ist es eine sehr luxuriöse Situation, mit derart hochtalentierten Jungs zusammenzuarbeiten. Dazu steht ein Verein dahinter, der die Sache voll und ganz unterstützt, der seine Jugendarbeit weiterbringen möchte. Es macht Spaß, aber es ist ein Lernprozess - nicht nur für die Kinder, auch für mich als Coach.
SPOX: Wo liegt die Hauptschwierigkeit?
Femerling: Die Nerven zu behalten (lacht). Das ist tatsächlich schwer. Ich war als Spieler schon sehr sehr emotional und hier und da auch nicht immer objektiv. Aber es ist schon schwer, immer ruhig zu bleiben und sich die Dinge einfach anzuschauen. Manchmal gebe ich da noch zu viel Gas (lacht).
SPOX: In welche Richtung geht das dann?
Femerling: Natürlich mehr in Richtung Offizielle und Schiedsrichter. Ich versuche immer, meinen Jungs mit Respekt zu begegnen. Das ist extrem wichtig. Schließlich sind das Heranwachsende im Alter von 14, 15 oder 16 Jahren und die benötigen einfach einen bestimmten Umgang und diesen Respekt. Andererseits bin ich immer mit sehr viel Emotion dabei, was das Ganze natürlich ein wenig erschwert (lacht).
SPOX: Inwiefern hat sich Ihre Perspektive auf das Spiel inzwischen verändert?
Femerling: Man ist ein wenig gefangen. Einerseits hat man einen Überblick, die Möglichkeit der Draufsicht und damit die Chance, etwas zu ändern, was natürlich schwierig ist, wenn man selbst auf dem Feld steht. Andererseits verlangt man manchmal ein wenig zu viel - von sich selbst, aber auch von den Jungs. Das ist eine Gradwanderung.
SPOX: Sicherlich keine einfache Situation.
Femerling: So lange man aber allen Fehlern zugesteht, ist die ganze Sache sehr ergiebig und bereichernd - menschlich wie sportlich. Aber natürlich ist es eine Herausforderung und auch eine andere Verantwortung. Früher war man nur für die eigene Leistung und die Mannschaft verantwortlich. Jetzt hat man die Verantwortung für 17 heranwachsende, pubertierende Jungs (lacht). Das kann mitunter auch ein wenig anstrengend sein, aber immer im positivsten Sinn.
SPOX: Was ist der zentralste Punkte, den Sie ihren Jungs nach all Ihren Erfahrungen im Ausland, aber auch hier in Deutschland, weitergeben können?
Femerling: Gerade in diesem Alter ist es wichtig, mit einer gewissen Freiheit an das Spiel heranzugehen - zumindest offensiv. Defensiv muss man heutzutage einen gewissen Standard haben, um überhaupt auf gutem Niveau spielen zu können. Offensiv zwar auch, aber wer verteidigen kann, kann zumindest schon einmal spielen und in der Offense frei und kreativ an das Spiel herangehen. Natürlich aber immer im vorgegebenen Rahmen.
SPOX: Mittlerweile haben Sie sicher einen sehr guten Einblick in die heutige Jugendarbeit gewonnen. Wie groß ist der Unterschied zwischen heute und damals, als sie begannen? Wie Tag und Nacht?
Femerling:(lacht) Das kann man durchaus so sehen. Allein die Kapazitäten, wie oft man trainiert - all das war früher gar nicht möglich. Sie sind heute alle auf einer Ganztags- oder Sportschule. Da ist der Tag ziemlich durchgetaktet. Erst Schule, dann Training, nach Hause, Essen, Hausaufgaben und dann war's das auch. Teilweise trainieren wir sogar vor der Schule. Das ist nicht ohne. Das Pensum ist ein ganz anderes als damals, aber dafür hat man eben auch ganz andere Möglichkeiten.
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SPOX: Und wie war es bei Ihnen damals?
Femerling: Bei mir ging das alles relativ zügig. Ich habe in der B-Jugend mit zwei Mal Training pro Woche angefangen. Das hat sich dann gesteigert auf drei Mal, vier Mal, bis ich mit 17 dann in die erste Herrenmannschaft von ART Düsseldorf gerutscht bin, die in der zweiten Liga gespielt haben. Dort haben mir Leute wie Arvid Kramer, der ja auch schon Bundesligaerfahrung hatte, gezeigt, wo ich wirklich stehe. Es ging alles relativ schnell und deshalb unbewusst, was aber in einigen Situationen nicht unbedingt schlecht ist. Man macht sich dann nicht so einen Kopf, um die Dinge, die eigentlich passieren müssten oder sollten. Man gibt einfach alles und schaut, wo man steht. Das macht es vielleicht sogar ein wenig leichter.
SPOX: Wie beurteilen Sie die Nachwuchssituation im deutschen Basketball?
Femerling: Erst einmal ist wahnsinnig viel Talent vorhanden. Wir haben viele Jungs, die richtig Lust haben, etwas zu erreichen und sich zu verbessern. Die Quote in der BBL hilft natürlich. Dazu ist die Situation in anderen europäischen Ländern nicht mehr so rosig wie noch vor einigen Jahren. So profitiert die BBL ungemein.
SPOX: Dabei wurde die Quote zunächst nicht überall positiv gesehen.
Femerling: Richtig. Viele haben gemeckert und geunkt, dass man nun keine Spieler mehr bekommen würde, was an sich schon mal eine Frechheit ist. Denn, wenn du einen guten Spieler haben möchtest, musst du auch Geld hinlegen. Das ist im Profisport nun mal so. Mittlerweile steht die Liga national besser da, aber auch international. Andererseits bedienen wir derzeit aber wahrscheinlich noch nicht all die vorhandenen Talente. Dazu brauchen wir eine flächendeckendere Förderung mit mehr Sponsoring, besserer Logistik. Der eingeschlagene Weg ist in meinen Augen aber richtig. Nun muss man dran bleiben.
SPOX: Ist das abseits der großen Vereine überhaupt möglich?
Femerling: Sicherlich. Auch in kleinen Vereinen wird gut gearbeitet, auch dort gibt es gute Trainer. Es steht und fällt mit den Trainern und der Zeit, die sie investieren können - und wollen. Wenn sie aber genügend Zeit haben, um den Kindern dabei zu helfen, den nächsten Schritt zu tun und vielleicht zu einem größeren Verein zu gehen, profitieren alle. Gerade der deutsche Basketball. Dann hätte man eine ganz andere Masse und Qualität an Spielern. Dann könnte die Nationalmannschaft aus einem viel größeren Talentepool schöpfen - und plötzlich hat man ein Luxusproblem. Das dauert natürlich noch, aber ich glaube, dass es durchaus möglich ist.
SPOX: Sie haben die internationalen Ligen bereits angesprochen. Wo stehen die deutschen Vereine international derzeit? Geht es schon in Richtung Elite oder ist der Weg noch weit?
Femerling: Man muss sich mit den internationalen Vereinen messen und will das natürlich auch. Ich persönlich mag es nicht so, wenn man die Dinge immer nur auf das Geld reduziert. Denn Geld allein gewinnt keine Meisterschaft - und auch keine Euroleague. Natürlich hat man mit Grundvoraussetzungen, wie Moskau, Barca oder Real sie haben, einen kleinen Wettbewerbsvorteil. Den kann man auch nicht wegdiskutieren. Man darf das aber nicht als Ausrede verwenden. Es heißt nämlich nicht, dass wir in Deutschland deshalb weniger machen müssen. Rein leistungsmäßig hat die BBL einen großen Schritt gemacht. Chris Fleming hat in Bamberg beispielsweise gezeigt, was mit Kontinuität alles zu erreichen ist.
SPOX: Sie selbst haben ja bereits für den einen oder anderen Topverein gespielt. Tibor Pleiß hat nun wie Sie 2002 den Schritt zu Barca gewagt. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?
Femerling: Er entwickelt sich wirklich gut. In großen europäischen Klubs zu spielen, ist nämlich alles andere als einfach. Tibor hat aber bereits bei Laboral Kutxa gute Leistungen gebracht und so Barcas Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Am Ende muss man immer in neue Rollen hineinwachsen, aber er wird auch dieser neuen Aufgabe gewachsen sein und alles dafür tun, sich zu behaupten.
SPOX: Inwieweit haben sich denn die Anforderungen an einen Center, verglichen mit Ihrer Zeit in Barcelona, geändert?
Femerling: Das Spiel wird immer athletischer. Du musst mittlerweile den Tempowechsel beherrschen und laufen können. Wenn du als Big Man mitlaufen kannst, kannst du auch mitspielen. Zudem ist das Spiel taktisch immer anspruchsvoller geworden. Und gerade diese Mischung aus Athletik und Taktik macht es immer schwerer. Es wird schneller gespielt, dennoch muss man taktisch clever sein. Alles in allem ist es schon anspruchsvoller geworden. Andererseits wachsen die Jungs aber auch so auf. Sie trainieren täglich auf diesem Niveau - und das bereits über einen längeren Zeitraum. Da gewöhnt man sich an diese Anforderungen.
SPOX: Apropos, anspruchsvoll: Im kommenden Jahr steht die nächste EM an. Die DBB-Auswahl wird die Vorrunde in Berlin absolvieren und Sie haben die Gruppen mit ausgelost. Hat man da im Nachhinein ein schlechtes Gewissen, dass Deutschland nun unter anderem auf Serbien und Spanien trifft?
Femerling:(lacht) Ich habe das natürlich extra so gemacht, um für eine noch spannendere Vorrunde zu sorgen. So können sich die Jungs direkt gegen die großen Teams behaupten sind gleich drin im Turnier.
SPOX: Spaß beiseite: Wie schätzen Sie Chancen der DBB-Auswahl auf ein erfolgreiches Turnier ein?
Femerling: Eigentlich gar nicht so schlecht. Es kommt natürlich darauf an, wie die Vorbereitung läuft, ob alle fit sind, dass man gleich einen guten Rhythmus findet. Ich denke nicht, dass wir uns verstecken müssen. Klar spielen in der Gruppe fast nur Mitfavoriten, andererseits braucht es da keine zusätzliche Motivation mehr.
SPOX: Sollten wirklich alle dabei sein - Dirk Nowitzki, Dennis Schröder, etc. besäße der DBB bei dieser EM dann die talentierteste Nationalmannschaften seit langem?
Femerling: Mit Sicherheit. Wir sind sehr gut ausbalanciert. Es geht dann natürlich darum, das alles auch zusammenzubringen. Allerdings sollte man nicht den Fehler machen und gerade von Dennis zu viel erwarten. Er ist ja noch ein Basketballküken, extrem jung. Er hat gerade erst den Schritt in die beste Liga der Welt gemacht, sucht dort seinen Platz und behauptet sich in diesem Jahr gut. Da sollte man die Erwartungen an ihn ein wenig zurückschrauben und ihm Ruhe gönnen. Bei Dirk ist das natürlich etwas anderes. Er ist das gewohnt.
SPOX: Würde Schröder angesichts dessen vielleicht sogar am meisten von Nowitzki profitieren?
Femerling: Sicherlich. Dirk zieht so viel Aufmerksamkeit auf sich und kann damit bestens umgehen. Davon profitieren alle.
SPOX: Inwieweit würde die Nationalmannschaft von einer Zusage Chris Kamans profitieren? Sie haben ja selbst mit ihm gespielt.
Femerling: Ich denke nicht, dass Kaman wichtig für die Mannschaft ist. Klar kommt es darauf an, wie man ihn einsetzt. Offensiv ist er ein grandioser Spieler, aber auf den großen Positionen haben wir in Deutschland in meinen Augen relativ wenige Probleme. Deshalb sehe ich nicht die Notwendigkeit, ihn zu holen. Chris ist ein netter Typ, war ein guter Teamkolleg. Aber mit Daniel Theis, Tibor Pleiß, Maik Zirbes oder Andreas Seiferth haben wir so viele gute Jungs, die sich zeigen wollen. Und wenn Dirk dabei ist, wird es ohnehin schon eng. Deshalb denke ich nicht, dass die Nationalmannschaft Kaman braucht.
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