"NBA-Scouts wollen Leader sehen"

Christoph Köckeis
08. März 201620:22
Neben 17,5 Punkten kommt Jakob Pöltl bei den Utah Utes auf knapp 2 Blocks pro Spielgetty
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Er wäre Pionier und Paradiesvogel gleichermaßen: Jakob Pöltl steht als erster Österreicher an der Schwelle zur NBA. Im SPOX-Interview erzählt er seine "unglaubliche" Story: Warum er 2015 auf den Draft verzichtete, was er von Nowitzki-Vergleichen hält und wie er sich den Tag der Tage ausmalt.

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Pöltl ist 20 Jahre alt, studiert Wirtschaft. Beinahe täglich fährt er mit Kommilitonen an den Campus. Auch an jenem Dienstag - soweit nicht außergewöhnlich. "Ich habe zwar endlich den Führerschein, aber ein Auto wollte ich mir bis jetzt nicht leisten", erzählt er. Im Hintergrund läuft Hip Hop. Pöltl ist kein gewöhnlicher Hochschüler. Dank eines Stipendiums führte ihn sein Weg 2014 von seiner Heimatstadt Wien in die USA, an die University of Utah.

Dort treibt er seine Ausbildung voran. Nebenbei spielt er Basketball - überaus erfolgreich. Der 2,13 Meter große Hüne gehört zu den besten Prospects des Landes. Eine deutsche, englische, sogar eine finnische Wikipedia-Seite darf er mittlerweile sein Eigen nennen. Und vermutlich schon bald einen fahrbaren Untersatz. "Den", lacht Pöltl, "kaufe ich mir von meinem ersten NBA-Gehalt." Was klingt wie eine Spinnerei, nimmt allmählich konkrete Formen an.

SPOX: Jakob, in den aktuellen Mock Drafts tauchen Sie meist unter den Top 10 auf. Als erster Österreicher könnten Sie sich den Traum von der weltbesten Basketball-Liga erfüllen.

Jakob Pöltl: Das wäre der absolute Wahnsinn. Ich will nicht zu viel darüber nachdenken, was in den zwei Jahren passiert ist und wie ich das geschafft habe. Als ich an das College kam, bin ich davon ausgegangen, vier Jahre hier zu verbringen. Dass es so funktioniert, war keineswegs zu erwarten. Es ist unglaublich. In meinen Überlegungen spielte die NBA noch keine Rolle.

SPOX: Sie gehen getrost als Paradiesvogel durch: Was verschlägt einen in der Alpenrepublik auf den Court?

Pöltl: Ich war als kleiner Junge super aktiv, habe jede Art von Ballsport geliebt. Nachdem ich immer zu den Großgewachsenen gezählt habe, nahmen mich meine Eltern irgendwann zu einem Kids-Tryout mit. Basketball hat mir auf Anhieb gefallen. Ich war mit dem Virus infiziert und es hat sich bald abgezeichnet, dass ich nicht ganz untalentiert bin. (lacht)

SPOX: Eine Meinung, die mehrere College-Trainer teilen.

Pöltl: Ja, sie wurden 2013 bei der U18-EM in Mazedonien auf mich aufmerksam, darunter der Assistant Coach der Utah Utes. Eigentlich war mein Plan, in Europa zu bleiben. Plötzlich wurde ich gefragt, ob ich mir denn vorstellen könnte, in die USA zu gehen. Bis dahin habe ich mich nie damit beschäftigt. Damals konnte ich mir nicht ausmalen, dass ich jetzt in dieser Situation bin. Letzten Sommer wurde ich sogar in Wien von Passanten erkannt. Sie hatten mich davor in der Zeitung gesehen und angesprochen. Das war richtig cool.

SPOX: Ein NBA-Kontrakt würde die Aufmerksamkeit zusätzlich potenzieren. Ist Träumen bereits erlaubt?

Pöltl: Träumen ist erlaubt, ja. Man darf es jedoch nicht kaputt analysieren, sonst wird man verrückt. Ich bin in einem Flow-Zustand, den ich genieße. Das Thema NBA versuche ich, soweit es geht von mir wegzuschieben und mich auf die Utes zu konzentrieren. Trotzdem überlegt man natürlich: was wäre, wenn? Es passiert jetzt häufiger als vor einem Jahr.

SPOX: Als Freshman überzeugten Sie, verzichteten dennoch auf den Draft 2015. Ein Wagnis, oder?

Pöltl: Natürlich war es ein Risiko. Eine Verletzung und alles hätte vorbei sein können. Nur daran habe ich keinen Gedanken verschwendet. Ähnliches könnte mir in den ersten NBA-Games passieren. Mein Ziel ist es nicht, schnell in die Liga zu kommen. Mein Ziel ist es, lange dort zu bleiben. Ich möchte mich etablieren. Darum geht es, nicht um kurzfristigen Erfolg. Aus basketballerischer Sicht hatte ich das Gefühl, noch nicht für diese Herausforderung bereit zu sein.

SPOX: Wie bereit sind Sie neun Monate später?

Pöltl: Mir fällt es schwer, das zu beantworten. NBA-Basketball ist schneller und extrem physisch. Ich wusste, für meine Entwicklung ist es besser, ein weiteres Jahr am College zu verbringen, weil ich gesehen habe, dass ich mich verbessern muss und verbessern kann. Meine Defizite liegen sicherlich im Körperlichen. Ich brauche mehr Muskeln. Um mich durchzusetzen, gilt es in der Kraftkammer robuster zu werden, das Basketball-Verständnis zu schärfen und meine Skills zu verfeinern. Genau das Feedback habe ich bei der NBA Basketball Academy von den Coaches erhalten.

SPOX: Dort trafen Sie auf Größen wie LeBron James, Anthony Davis oder Kevin Durant: Wie fühlte es sich an, mit Ihnen zu spielen?

Pöltl: Es war eine grandiose Erfahrung. Normalerweise mache ich mir keinen Kopf, neben wem ich auf dem Platz stehe. Bei ihnen war es anders. (lacht) Wir trainierten gemeinsam und analysierten Videos. Mit ihnen zu reden und von ihnen zu lernen, hat mich vorangebracht. Sie erklärten uns ihren Alltag. Ich kann mir nun besser vorstellen, was auf mich zukommt - und was gefordert wird. Bei dem Camp wurde mir etwa gesagt, ich müsse aggressiver auftreten. Heißt: In der Offense härter arbeiten, öfter den eigenen Wurf suchen - also eigensinniger sein.

SPOX: Es scheint, als würden Sie den Ratschlag beherzigen: Ihren Punkteschnitt konnten Sie im Vergleich zur Vorsaison fast verdoppeln - von 9,1 auf 17,5.

Pöltl: Zuallererst ist diese Differenz mit dem System zu begründen. Ich bekomme mehr Touches und suche den Abschluss, da geht der Schnitt automatisch hoch. Außerdem lag während der Offseason mein Fokus auf Freiwürfen. Ich habe viel dafür getan, um meine Quote anzuheben. Denn: Obwohl ich wusste, dass ich klar besser bin von der Linie, lief wenig zusammen.

SPOX: Was hat sich konkret an Ihrem Aufgabenprofil bei den Utes geändert?

Pöltl: Im vergangenen Jahr musste ich mich zurechtfinden - in einem neuen Land, auf dem College, im System. Es ging darum, sich einzufühlen. Ich musste Dirty-Work erledigen und war mehr Finisher. Jetzt kenne ich alles. Ich trete konsequenter und intelligenter auf, nehme eine Leader-Rolle ein. So hatten wir das - mein Coach und ich - besprochen.

SPOX: Verantwortung übernehmen, ein Team führen - wollen NBA-Scouts das sehen?

Pöltl: Ja, die Scouts wollen Leader sehen; zumindest was ich gehört habe. Es kann nicht schaden, früh da reinzuwachsen. Aus meiner Vergangenheit in Österreich kenne ich diese Position und komme gut mit ihr zurecht. Ich glaube, ich bin ein guter Leader. Mein Coach, Larry Krystkowiak, ist sehr hilfreich. Alleine durch seine Erfahrungen und Kontakte in die NBA.

SPOX: Der Draft rückt näher: Inwiefern findet ein Austausch mit NBA-Franchises statt?

Pöltl: Um ehrlich zu sein, gibt es den nicht. Ich lese weder die Scouting-Reports, noch bekomme ich Feedback. Es ist ohnehin nicht das, woran ich interessiert bin. Krystkowiak kennt das Geschäft und das Leben als Profi, dadurch kann er mich bestens vorbereiten. Ich weiß aus den Video-Analysen und persönlichen Gesprächen, woran ich feilen muss, um Erfolg zu haben.

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SPOX: Was ist mit den Utes in dieser Saison möglich?

Pöltl: Unser Ziel, unter die Top 4 der Pac-12-Division zu kommen, haben wir mit dem zweiten Platz erreicht und wir hoffen natürlich, beim NCAA Tournament dabei zu sein. Die Liga ist eng beisammen, aber es sieht gut aus. Ich persönlich würde gerne zurück zum March Madness. Daran teilzunehmen, war das Basketball-Erlebnis meines Lebens. Es ist unglaublich, wie es auf den Rängen abgeht. Die Mentalität der Spieler tut ihr Übriges. Verlierst du, bist du raus. Daher spürt man: Jeder gibt 110 Prozent.

SPOX: Hat es Sie überrascht, welchen enormen Stellenwert College-Basketball in den USA genießt?

Pöltl: Auf jeden Fall. Ich komme aus Österreich, einem Land, in dem Basketball keine Lobby hat. Wenn bei uns tausend Fans zu einer Bundesliga-Partie kommen, ist das außergewöhnlich. Das College ist eine andere Dimension. Du läufst vor 15.000 Leuten auf und die Faszination ist gigantisch. Letztlich macht es riesigen Spaß, wenn die ganze Schule hinter dir steht und dich anfeuert.

SPOX: Da fällt es selbst einem besonnenen Österreicher wie Ihnen leichter, aus sich rauszukommen.

Pöltl: (lacht) Mit der Unterstützung im Rücken kann es emotionaler werden. Ich persönlich sauge das Gefühl auf. Haben wir einen Run oder uns gelingt ein Big Play, pusht mich das. Es gibt mir einen Adrenalin-Stoß, den ich in entscheidenden Momenten benötige. Ich versuche, durch meine Aktionen diese Stimmung möglichst am Leben zu halten und die Kollegen extra anzutreiben.

SPOX: Wie schwer fällt es danach, runterzukommen und die Schulbank zu drücken?

Pöltl: Viele unterschätzen, was für eine Herausforderung es ist. Wir sind jede zweite Woche für drei, vier Tage unterwegs und verpassen die Uni. Basketball macht es demzufolge schwerer, ein guter Student zu sein. Dank der Hilfe vom Staff und von den Lehrern ist es allerdings möglich. Sie sind wirklich sehr kooperativ und eine große Unterstützung. Für uns werden Deadlines verschoben und wir erhalten das verpasste Material per E-Mail.

SPOX: Sie nehmen Ihr Studium nicht auf die leichte Schulter. Was passiert, wenn Sie gedraftet werden?

Pöltl: Sofern ich es in die NBA schaffe, wird die Ausbildung auf Eis gelegt. Es wäre kontraproduktiv, neben dem Basketball zu büffeln. Das ließe sich zeitlich wohl nicht vereinbaren. Ich will mir aber die Option offen halten, es nach der Karriere abzuschließen. Daher nehme ich das Studium zu hundert Prozent ernst, wo es andere Talente lockerer sehen, da sie mit dem Kopf schon in der NBA sind und voll auf die eine Karte setzen.

SPOX: Ist die Draft-Anmeldung beschlossene Sache?

Pöltl: Sagen wir mal so: Es deutet alles darauf hin. Ich werde nach der Saison mit meinen Eltern und den Coaches sprechen, ein paar Insider-Informationen einholen, um eine Entscheidung zu treffen. Ich sehe meine Chancen realistisch und versuche, mich von den Lobeshymnen frei zu machen. Hier in den USA wird man schnell gehyped. Davon darf man sich nicht beeinflussen lassen, sonst steigt es einem zu Kopf. Obwohl bei mir nicht unbedingt die Gefahr abzuheben besteht. Ich bin bodenständig.

SPOX: Medien sehen in Ihnen den neuen Dirk Nowitzki. Was lösen solche Vergleiche aus: Druck oder eher Motivation?

Pöltl: Beides. Nowitzki ist der beste europäische Basketballer aller Zeiten. Dementsprechend kann ich mich mit ihm nicht vergleichen. Sowas muss man sich verdienen. Um in einem Atemzug mit ihm genannt zu werden, habe ich einen weiten Weg vor mir.

SPOX: Wem eifern Sie nach?

Pöltl: Ich habe gar kein Vorbild, dessen Moves ich mir explizit abschaue und nachahme. Am meisten beeindruckt mich jedoch Kevin Garnett. Nicht von seiner Spielweise, sondern von der Mentalität. Er ist ein Teamplayer, mit großartiger Energie. Ihm merkt man an, dass er für den Sport lebt. Bei mir das genauso. Stehe ich auf dem Feld, dann opfere ich mich auf. Ich versuche basketballerisch und mental eine Leadership-Rolle anzunehmen.

SPOX: Garnett hält sich seit zwei Dekaden in der NBA. Was braucht es dafür?

Pöltl: Den unbedingten Willen. Und selbstverständlich die Fähigkeiten. Einer der Unterschiede zum College ist, dass es ein Vollprofi-Business ist. Du funktionierst und bringst deine Leistungen - oder du gehst. Die mentale Belastung ist dadurch auf einem wesentlich höheren Level.

SPOX: Und auf Ihre Position runtergebrochen?

Pöltl: Man trifft nun mal auf Erwachsene, teilweise Veteranen über 30, die ausgebufft sind, jeden Move kennen und dich lesen. Grundsätzlich entwickelt sich die NBA meines Erachtens in Richtung Vielseitigkeit. Die Guards übernehmen mehr Verantwortung, die Big Men immer weniger. Dieser typische Center, groß und stark und eine Macht unter dem Korb, stirbt aus. Als Stretch-Big-Man, der werfen kann, hat man hingegen gute Chancen, sich festzusetzen.

SPOX: Wo würden Sie sich gerne festsetzen? Ich habe gelesen, Sie wären Celtics-Fan.

Pöltl: Ja, das stimmt. Wenn ich im Laufe meiner Karriere irgendwann in Boston landen könnte, wäre das unglaublich. Nur es ist kein Platz für Träumereien. Falls ich gedraftet werden sollte, hoffe ich, eine Situation vorzufinden, wo ich mich beweisen kann und bis zu einem gewissen Grad gefördert werde. Mir ist bewusst: Die Zeit ist in der NBA rar. Es ist ein toughes Geschäft. Man kann vom einen auf den anderen Tag plötzlich von der Ost- an die Westküste getradet werden, ohne gefragt zu werden. Man lebt gewissermaßen für den Sport und für den Erfolg. Dem gilt es, alles unterzuordnen. Ich versteife mich daher nicht auf ein paar wenige Teams - ändern kann ich es sowieso nicht.

SPOX: Am 23. Juni steigt der NBA-Draft. Wie malen Sie sich den Tag der Tage aus? Wie wird es sein, auf die Bühne gerufen zu werden?

Pöltl: Es wird der Moment sein, wo ich realisiere, was in den letzten zwei Jahren passiert ist und was ich geschafft habe. Dann bekomme ich Einsicht in die NBA. In das, worüber ich jetzt lediglich spekulieren kann. Aktuell habe ich keine Ahnung, wo ich in einem halben Jahr sein werde. Erst der Draft bringt Klarheit, wie meine Zukunft aussehen könnte.

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