"Habe hier nicht so viele gute Spieler erwartet“

Thorben Rybarczik
26. September 201713:11
Jared Cunningham beim Testspiel gegen Real Madridimago
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Der FC Bayern Basketball hat sich mit Jared Cunningham einen Guard mit viel NBA-Erfahrung gesichert. Im Interview mit SPOX sprach der Neuzugang über seine ersten Eindrücke von München und Europa, fehlende Loyalität in der NBA und über die Erwartungshaltung in China.

SPOX: Mr. Cunningham, Sie haben Ihre erste Vorbereitung mit Bayern München hinter sich. Was haben Sie für Eindrücke von ihrem neuen Klub gewonnen?

Jared Cunningham: Zunächst musste ich mich natürlich einfinden, da ich ja direkt aus den USA verpflichtet wurde. Aber das ging schnell - und ich kann inzwischen sagen, dass es keinen Grund gibt, sich über irgendetwas zu beschweren. Das gilt für den Verein und die Stadt gleichermaßen, ich durfte hier schon viel unterwegs sein. Der Basketball mag hier nicht so eine große Rolle spielen wie anderswo, aber man merkt trotzdem, mit welcher Hingabe die Leute dabei sind.

SPOX: Sie mussten große Teile der Vorbereitung ohne Head Coach Sasa Djordjevic absolvieren, der das serbische Team bei der EuroBasket betreut hat...

Cunningham: Stimmt, das war eine ziemlich komische Situation! Denn ich habe ehrlich gesagt gar nicht richtig mit ihm gesprochen, bevor er zurück war. Weder rund um meine Verpflichtung, noch während meiner ersten Wochen in München.

SPOX: Aber hatten Sie denn die Chance, die Serben bei der EM zu verfolgen und sich so ein Bild davon zu machen, was für ein Basketball Sie erwartet?

Cunningham: Das schon, ja. Wir haben einige serbische Spiele als Team in der Kabine geschaut. Da konnte ich erste Eindrücke sammeln. Vor allem das Defensiv-Konzept hat mich beeindruckt.

SPOX: Gehen wir einige Wochen zurück: Es war für die Öffentlichkeit ein durchaus überraschender Move von den Münchnern, als Ihre Verpflichtung bekannt gegeben wurde. Wann hatten Sie denn erstmals Kontakt?

Cunningham: Der Zeitpunkt des ersten Kontakts und die Unterschrift lagen sehr nahe beieinander, das war ein ziemlich schneller Prozess. Ich habe auch gar nicht mitbekommen, dass Bayern mich gescoutet hat, während ich in der Summer League gespielt habe. Das lief alles über meinen Agenten, der mich erst informiert hat, als es sehr konkret war.

SPOX: Und dann haben Sie nicht lange überlegen müssen?

Cunningham: Nein. Mir hat gefallen, was die Verantwortlichen von mir erwarten und was ich für eine Rolle in ihrem System spielen soll. Außerdem habe ich auch schon vorher viel über die Stadt München gehört und habe schnell entschieden, dass dies ein guter Ort wäre, an dem ich mich mit meiner Familie heimisch fühlen kann.

SPOX: Dies ist ein Punkt, der sicher nicht immer einfach für Sie war - schließlich sind Sie mit mittlerweile 26 Jahren schon viel rumgekommen. Aber darauf kommen wir später noch zu sprechen. Zunächst zu Ihrer Karriere: Sie wurden 2012 gedraftet und spielten anschließend für die Mavericks beziehungsweise im D-League-Team von Dallas.

Cunningham: Genau. Damals war ich in einer merkwürdigen Situation, weil ich vor dem Draft verletzt war. Deshalb konnte ich keine Workouts machen, habe also nie mit den Mavs trainiert. Leider hat sich diese Verletzung auch auf meine Rookie-Saison ausgewirkt, sodass ich zunächst in der D-League Spielpraxis sammeln und mich in Form bringen sollte. Das war zwar nicht immer einfach, aber trotzdem eine sehr wichtige Erfahrung für mich - schließlich kam ich zu einem Team, das gerade die Championship gewonnen hatte. Und ich durfte mit Dirk und anderen Spielern trainieren, die ich schon sehr lange verfolgt hatte.

SPOX: Da Sie Dirk schon ansprechen: Es ist für mich in Deutschland ja quasi eine Pflicht, Sie jetzt nach ihm zu fragen...

Cunningham: (lacht) Da kann ich auch nur das bestätigen, was alle sagen, die je mit ihm zu tun hatten: Er ist ein großartiger Kerl, mit dem man viel Spaß hat. Aber er ist halt auch einer der besten - vielleicht der beste - Europäer aller Zeiten und man kann so viel von ihm lernen. Man muss ihm dafür eigentlich nur zuschauen, weil er alles richtig macht und sehr hart arbeitet.

SPOX: Zurück zu Ihnen: Wie bewerten Sie generell das Parallel-System der NBA und D-League? Sie kennen ja beide Ligen sehr gut. Und es gibt ja auch einige Spieler, die in der Entwicklungsliga festhängen, ohne eine wirkliche Perspektive zu haben.

Cunningham: Das mag sein - aber da muss man einfach den Ehrgeiz haben, sich da durchzukämpfen. Man darf nicht vergessen: Die D-League ist eine größere Plattform, als viele denken. Dort sitzen sehr viele Scouts, die sofort merken, wenn du Fortschritte machst oder Potential hast. Es ist sicherlich kein Zufall, dass es viele aktuelle NBA-Spieler gibt, die einen großen Vertrag unterschrieben haben und einst in der D-League waren. Es ist also in erster Linie eine große Chance - vor allem für die vielen jungen Spieler - dort zu spielen.

SPOX: Sie wurden insgesamt viermal in die D-League geschickt. Sie hatten dadurch also nicht die Befürchtung, dass Ihr Profikarriere stockt oder gar in Gefahr gerät?

Cunningham: Nein, nie. Ich weiß, dass ich sehr gut Basketball spielen kann und dass es viele Klubs gibt, die mich dafür bezahlen. Klar, besonders in meiner NBA-Zeit gab es viele Hochs und Tiefs. Aber letztendlich wurde ich doch überall eingesetzt, weil meine Fähigkeiten geschätzt wurden.

SPOX: Wenn man die NBA- und D-League-Teams zusammenzählt, haben Sie während Ihrer NBA-Zeit zehn verschiedene Jerseys getragen. Haben Sie sich daran gewöhnen können, praktisch jederzeit verschoben oder getradet werden zu können?

Cunningham: Das betrifft ja nicht nur mich. Jeder kann getradet werden, auch die Stars, die nicht damit rechnen. Die NBA ist einfach ein Business - auch, wenn es das ist, was jeder sagt. Man muss sich einfach damit abfinden, dass man das nicht selber kontrollieren kann, sondern die Macht in dieser Hinsicht bei den Franchises liegt. Um zu Ihrer Frage zurück zu kommen: Es hat sich irgendwann völlig normal angefühlt, getradet zu werden. Man nimmt es hin.

SPOX: Auf der anderen Seite gibt es viele Fans und Manager, die von ihren Starspielern Loyalität fordern und sauer werden, wenn ein Spieler wechseln will. Bei den Teams hingegen bewertet man es überhaupt nicht kritisch, wenn weniger prominente Spieler als Trade-Masse verwendet werden.

Cunningham: Ganz ehrlich? Zumindest in der NBA glaube ich nicht an den Loyalitäts-Faktor. Die Teams schauen einfach, was das Beste für ihre Organisation ist. Wenn ein Spieler nicht mehr in ein Konzept hineinpasst oder durch einen Trade des Spielers die Situation verbessert werden kann, gibt man ihn ab.

SPOX: Das jüngste Beispiel ist der Irving-Thomas-Trade. Thomas hat immer alles für die Celtics gegeben - und es hat nach dem Trade von außen betrachtet so gewirkt, als hätte es ihn persönlich getroffen.

Cunningham: Das mag sein. Trotzdem war es eine typische Situation, in die er geraten ist. Die Franchise wollte sich in eine bestimmte Richtung entwickeln. Deshalb hat sie einen Top-Spieler abgegeben, um einen anderen Top-Spieler zu bekommen. Ich kenne Thomas nicht, aber er wird sich damit abfinden müssen und einfach weiter das tun, was er liebt: Basketball spielen.

SPOX: Bei Irving war es anders, er hat den Trade gefordert. Sie haben in der Saison 2015/16 für die Cavs mit ihm und LeBron zusammengespielt. Konnten Sie Spannungen zwischen den Beiden feststellen?

Cunningham: Gar nicht. Beide haben großartig gespielt und harmoniert. Es gab keinen Neid oder dergleichen zwischen den Beiden. Sie waren absolut professionell.

SPOX: ...und holten 2016 die Championship. Sie wurden allerdings - nachdem sie 40 Spiele der Regular Season gemacht haben - getradet. Fühlen Sie sich trotzdem als NBA-Champion?

Cunningham: Absolut! Wie Sie schon sagen: Ich habe 40 Spiele für sie gemacht und ihnen geholfen. Ich habe alles für das Team gegeben, dann wurden sie Meister. Dass ich dann plötzlich nicht mehr dabei sein durfte, ist bitter, aber Teil des Geschäfts. Das konnte ich nicht kontrollieren.

SPOX: Wenn man sich Ihre ganzen Karriere-Stationen also anschaut, erscheint es sehr schwierig, sich wirklich irgendwo zu Hause zu fühlen. Wünschen Sie sich manchmal, dass sich das ändert?

Cunningham: Es ist definitiv ein Ziel von mir, einen Platz zu finden, an dem ich für eine längere Zeit bleiben kann. Das wäre auch für meine Familie sehr wichtig. Aber alles, was ich dafür tun kann, ist, gut zu spielen und hart zu arbeiten. Dann ergibt sich der Rest hoffentlich von selbst. Aber eines ist auch klar: Man sollte als Spieler auch auf sich selbst achten dürfen. Wenn man merkt, dass man sich nicht wohl fühlt und es nicht das richtige Umfeld für einen ist, sollte man abwägen dürfen, was das Beste für dich und deine Familie ist. Darum geht es am Ende des Tages. Wir sind Menschen.

SPOX: Könnte München ein Ort sein, an dem Sie langfristig bleiben?

Cunningham: Klar, warum nicht? Ich fühle mich sehr wohl hier, auch wenn ich noch vieles lernen muss. In Deutschland - beziehungsweise in ganz Europa - läuft ja vieles ganz anders ab, als ich es von vorher kannte. Das muss ich alles aufnehmen und verarbeiten.

SPOX: Sie waren ja auch ein Jahr in China, wo sie für Jiangsu letzte Saison 34 Punkte im Schnitt aufgelegt haben. Was war das für eine Erfahrung?

Cunningham: Auf der einen Seite macht es natürlich riesigen Spaß, dort zu spielen. Auf der anderen Seite gibt es aber einen höheren Druck auf die Spieler, als man denkt. Wenn man als ehemaliger NBA-Spieler nach China wechselt, wird praktisch erwartet, dass man jeden Abend 30 Punkte macht. Das Ziel habe ich zum Glück erreicht.

SPOX: In einem Spiel haben sie sogar 74 Punkte erzielt...

Cunningham: Das stimmt. Das war auch kurios: Ich habe mich nicht wirklich fit gefühlt. Alles, was ich an dem Tag gegessen hatte, war etwas Brot mit Tee dazu. Dass dann trotzdem dieses Spiel am Ende herauskam - Wahnsinn.

SPOX: War es für Sie eigentlich von vornherein klar, dass Sie nur eine Saison in China spielen würden?

Cunningham: Nicht wirklich. Es ging für mich eher darum, zu schauen, was auf lange Sicht das Beste für mich sein würde. Es hätte auch sein können, dass ich dort bleibe - ich wäre ja nicht der erste ehemalige NBA-Spieler, der das so macht. Am Ende des Tages hat mir das Engagement in China aber dazu verholfen, nach Europa wechseln zu können und darauf freue ich mich.

SPOX: Was erwarten Sie denn für ein Niveau hier in Europa?

Cunningham: Ich habe schon beim Spiel gegen Real Madrid gemerkt, wie physisch es hier zu geht und was die Refs alles zulassen...

SPOX: ...und dabei war es nur ein Testspiel. Glaube Sie also, dass es in der Saison noch physischer zugeht - also auch härter als in der NBA?

Cunningham: Das nicht unbedingt - ich würde eher sagen, dass sich das Spiel in physischer Hinsicht kaum voneinander unterscheidet. Ich muss aber vielleicht zugeben, dass ich nicht erwartet hätte, dass hier so viele gute Spieler sind. Wenn man in den USA lebt, bekommt man das nicht wirklich mit.

SPOX: Gibt es Bereiche an Ihrem Spiel, die sie umstellen müssen? Sie werden ja sicherlich auch Dinge ausgemacht haben, die Europa spielerisch von den USA unterscheiden.

Cunningham: Es gibt viel weniger Iso-Ball hier. Es geht mehr darum, den nächsten Mann zu finden und immer den Ball in Bewegung zu halten. Klar, es wird auch hier ab und zu Eins-gegen-Eins gespielt - aber viel dosierter als in den USA, wo man viel schneller zum Abschluss kommen will und dafür auch schwierige Würfe aus der Isolation nehmen soll. Das muss ich mir abgewöhnen.