Seit rund einem Jahr ist Henrik Rödl Basketball-Bundestrainer und hat mit dem DBB-Team nun den Supercup sowie die weitere WM-Qualifikation im Visier. Mit SPOX sprach der EM-Sieger von 1993 über die Entwicklung des deutschen Basketballs und das Potenzial einer neuen goldenen Generation.
Außerdem erklärte Rödl, warum ihm die Fragen nach dem Image von Dennis Schröder sauer aufstoßen - und was er sich von den neuen deutschen NBA-Spielern erhofft.
SPOX: Herr Rödl, Sie sind jetzt seit ziemlich genau einem Jahr Bundestrainer, nachdem Sie auch vorher schon einige Jahre beim DBB gearbeitet haben. Wie gefällt Ihnen der Job bisher?
Henrik Rödl: Sehr gut. Ich bin total begeistert davon, wie sich die Mannschaft bisher präsentiert hat und wie sie annimmt, was ich weiterzugeben versuche. Die Resultate stimmen ja auch und es macht mir sehr großen Spaß.
SPOX: Wie kann man sich Ihren Alltag als Bundestrainer vorstellen, wenn gerade keine Länderspiele anstehen?
Rödl: Ein sehr großer Teil besteht in der Kontaktpflege und auch im Studium von Video-Material. Der Kader ist ja mittlerweile so riesig, dass ich nur so bei allen Spielern einigermaßen auf dem Laufenden bleiben kann. Ich versuche, immer zu wissen, wer wann wie wo spielt, und dazu will ich immer für ein Gespräch verfügbar sein, gerade wenn es mal bei einem Spieler nicht so läuft. Das sind die Hauptaufgaben zwischen den Fenstern, dazu kommen dann noch einige organisatorische Aufgaben und der Versuch, sich um die Jugendbereiche zu kümmern. Für die Kontaktpflege bin ich zudem viel auf Reisen. Ich will jeden Spieler im Kader mindestens einmal im Jahr besuchen, die Spieler in Deutschland noch deutlich häufiger. In Spanien bei Johannes Voigtmann und in Serbien bei Maik Zirbes und Kostja Mushidi war ich letztes Jahr aber auch, genau wie in den USA bei unseren NBA-Spielern, ich komme also viel rum. Das ist zeitlich ein großer Aufwand, aber auch wichtig, da ich aus erster Hand wissen muss, wie es den Spielern geht und wie ihre Situation im Verein aussieht.
SPOX: Schon seit der EM im letzten Jahr scheint es, dass die Entwicklung der Nationalmannschaft in die richtige Richtung geht, nun verlief auch die WM-Qualifikation bisher sehr erfolgreich. Können Sie erklären, was die vergangenen Jahre von der Zeit davor abgrenzt? Was wird besser gemacht?
Rödl: In erster Linie hat das mit der Generation zu tun, die wir jetzt haben. Die Spieler sind nicht nur sehr jung und talentiert, sondern auch motiviert, für die Nationalmannschaft zu spielen, was nicht selbstverständlich ist und vorher nicht immer gegeben war. Die Lehrgänge, die wir anbieten, sind über die Jahre auch optimiert worden, es ist also eine Kombination aus mehreren Dingen. Nun müssen wir konsequent bleiben und den jungen Spielern die Möglichkeit geben, weiter zu wachsen. So wollen wir weiter bei großen Turnieren dabei sein und dort auch für Furore sorgen.
SPOX: Für die WM sieht es gut aus, die Vorrunde der Quali verlief makellos. Der Anspruch muss jetzt sein, dass man sich auch in der Hauptrunde mit Estland, Serbien, Griechenland, Israel und Georgien durchsetzen wird, oder?
Rödl: Bessere Voraussetzungen hätten wir uns nicht schaffen können, richtig. Also wollen wir das jetzt auch durchziehen. Wenn wir weiter bei uns bleiben, dann schaffen wir das auch.
SPOX: Chris Fleming hatte die Mannschaft zwischen der Heim-EM 2015 und 2017 offensichtlich auf einen guten Weg gebracht. Sie hatten bereits als sein Assistent gearbeitet: Was haben Sie von ihm übernommen und was machen Sie jetzt vielleicht anders als er?
Rödl: Ich habe extrem viel von ihm darüber gelernt, wie man als Trainerstab zusammenarbeitet und wie man sich auf Spiele vorbereitet. Grundsätzlich führe ich vieles weiter, was ja auch notwendig ist: Wir konnten seit der EM nur wenig Zeit mit der Mannschaft verbringen, die Vorbereitung auf das jeweilige Fenster waren meist drei oder vier Tage, da wäre es keine gute Idee, auf einmal alles umzuschmeißen. Wir haben stattdessen spielerisch und strukturell viel beibehalten und das hat sich bewährt. Sicher ist aber auch nicht alles gleich. Ich bin zum Beispiel bei den Ansprachen wohl etwas lauter und emotionaler als Chris.
SPOX: Deutschland stellt aktuell mehr NBA-Spieler als jemals zuvor, dazu spielen einige im europäischen Ausland auf Top-Niveau und weitere werden folgen. Haben Sie damit auch mehr Top-Spieler als alle Bundestrainer vor Ihnen zur Verfügung?
Rödl: Man verfügt leider ja nicht unbedingt immer über alle Spieler, weil viele ganz am Anfang ihrer Karriere stehen und die Freistellung durch NBA-Teams nicht so selbstverständlich ist wie bei den etablierten Spielern. Trotzdem ist das aktuell der größte Talentpool, den wir je hatten. Viele Spieler sind aber noch so jung, dass es noch Zeit brauchen wird, bis man alle integriert hat und sich das Potenzial in echte Qualität umwandelt.
SPOX: Haben Sie das Gefühl, dass auch im Zuge der guten EM 2017 eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die deutschen Basketballer entstanden ist?
Rödl: Ja. Die Nationalmannschaft ist weiter ein sehr wichtiges Zugpferd für den deutschen Basketball. Sobald man anfängt, etwas Erfolg zu haben, wird das schnell überregional und über die Grenzen der BBL hinaus wahrgenommen, und das ist eine große Chance, dem Basketball noch mehr zu helfen, als die Vereine das regional hinbekommen. Der Wert der Nationalmannschaft wird einem dadurch wieder vor Augen geführt und das zeigt auch, wie wichtig es ist, dass wir uns entsprechend gut verkaufen. Das erleben wir gerade. Aber natürlich tut sich auch in der Liga viel, die Hallen haben sich vergrößert, die Strukturen und die Möglichkeiten, die Liga medial zu verfolgen und zu erleben, sind deutlich gestiegen. In den Öffentlichen läuft immer noch viel zu wenig Basketball, aber dafür kann man jetzt für wenig Investition so viel Basketball gucken wie noch nie. Natürlich erhoffen wir uns trotzdem noch mehr Aufmerksamkeit, gerade von den Öffentlich-Rechtlichen.
SPOX: Stichwort Zugpferd: Ihre Karriere im DBB-Team neigte sich dem Ende zu, als Dirk Nowitzki gerade "groß" wurde, 2002 holten Sie zusammen WM-Bronze. Nun neigt sich seine Karriere dem Ende zu. Kann man seine Strahlkraft und Wirkung für den europäischen Basketball über die letzten 20 Jahre in Worte fassen?
Rödl: Dirk ist ein Basketball-Phänomen, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Das kann und will ich gar nicht in Worte fassen, er ist nicht einzuordnen oder zu vergleichen. Ein ganz, ganz besonderer Spieler mit einer besonderen Karriere, der außerdem auch noch einen unfassbar sympathischen Charakter hat - das ist eine ganz besondere Sache, die wir alle sehr genossen haben, die daran beteiligt sein durften oder konnten. Ich bin sehr gespannt, was er nach seiner Karriere macht, wobei man aus der Ferne ja den Eindruck bekommt, dass er gar nicht aufhören will. (lacht) Irgendwann ist es sicher so weit, aber bis dahin freue ich mich über jedes weitere Spiel, in dem er noch auf und ab läuft.
SPOX: Das neue Gesicht des deutschen Basketballs ist mit Dennis Schröder ein ganz anderer Typ. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit ihm bisher?
Rödl: Von den drei Fenstern, die wir bisher hatten, war er aus Zeitgründen nur beim letzten dabei. Das war dann direkt sehr spannend, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der solche enormen Fähigkeiten hat. Dadurch dass wir nur ganz selten die Möglichkeit haben, miteinander zu trainieren, ist es dann eine Art learning by doing, aber das war wirklich klasse. Wir haben uns in Braunschweig schnell gefunden und er hat es dann toll geleitet und uns auch in Novi Sad angeführt. Das war ein sehr guter Anfang.
SPOX: Seit der EM 2015 steckt Schröder in Deutschland immer wieder viel Kritik ein, obwohl er beispielsweise 2017 ganz anders auftrat. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Rödl: Ich weiß gar nicht, wie viel das noch stattfindet, um ehrlich zu sein. Dennis hat über die letzten Jahre so viel getan für den DBB, für seinen Heimatverein in Braunschweig, er hat sich in der NBA durchgesetzt. Wie Sie schon gesagt haben, hat er auch bei der letzten EM großartig gespielt und war Dreh- und Angelpunkt unseres Spiels. Ich bin manchmal überrascht, dass Leute immer noch auf dem Image von 2015 herumtreten, zumal es damals schon nicht wirklich gerechtfertigt war und sehr aufgeblasen wurde. Aber jetzt ist das doch längst vorbei. Dennis ist ein ganz wichtiger Spieler von uns und immer da, wenn es möglich ist. Er opfert sich auf und ich hoffe, dass er dafür irgendwann auch flächendeckend die Anerkennung bekommt, die er verdient. Dennis hat sich seit 2015 sehr verändert und das ist ja eigentlich auch das Schöne daran - er hat sich in allen Bereichen weiterentwickelt.
SPOX: Schröder wurde nun zu OKC getradet, wo er wohl nicht mehr starten wird, dafür aber ungleich höhere Erfolgsaussichten hat. Denken Sie, das war ein guter Move für ihn?
Rödl: Das ist am Anfang immer schwer zu beurteilen. Es haben sich sicherlich alle Beteiligten etwas dabei gedacht und sich erhofft, die eigene Situation zu verbessern, auch er hat ja offen geäußert, dass er eine andere Situation wollte als im letzten Jahr. Jetzt ist er wieder bei einem Team, das sehr viele Spiele gewinnen kann. Ich denke auch, dass er und Russell Westbrook durchaus gleichzeitig spielen können, aber das wird sich zeigen, ich habe auch noch nicht mit den dortigen Verantwortlichen gesprochen. Mit Sicherheit hat dieses Team aber viel mehr Talent als die Hawks im letzten Jahr, das sind ja Welten. Und natürlich willst du als Basketballer vor allem Spiele gewinnen. Daher hat die Situation das Potenzial, ihm viel Spaß zu machen.
SPOX: Eine weitere Säule des jungen DBB-Teams ist Daniel Theis. Hat es Sie überrascht, wie gut er sich in seinem ersten Jahr in Boston zurechtgefunden hat?
Rödl: Ja und nein. Ich halte von Daniel extrem viel und er ging ja nicht als Rookie rüber, also nicht als ganz junger Spieler, der sich als Profi erst zurechtfinden musste. Er hatte in Europa in den letzten Jahren schon unheimlich starke Leistungen gezeigt und war auch in der Nationalmannschaft einer der besten Spieler. Trotzdem war es nicht selbstverständlich, dass er bei einem so guten Team wie Boston gleich die Möglichkeit bekommt, diese Fähigkeiten auch zu zeigen. Und ich glaube, dass im zweiten Jahr sogar noch einiges mehr von ihm kommen wird. Daniel hat diese Qualität.
SPOX: Bei den Lakers spielen kommende Saison mit Isaac Bonga und Moritz Wagner gleich zwei neue Deutsche, die auf völlig unterschiedlichen Wegen in die NBA gekommen sind. Wie sehen Sie die Situation der beiden?
Rödl: Es ist sicher Teil des Plans, dass Isaac viel in der G-League spielen wird, aber wie das genau aussehen wird, weiß ich nicht. Bei den Lakers ist ja so viel los, da ist Isaac jetzt wohl nicht die Person, um die sie sich am meisten kümmern werden. Die Lakers sind natürlich trotzdem eine tolle Organisation und man kann beiden daher nur gratulieren. Moritz war nach seiner Verletzung in der Summer League etwas angeschlagen, aber ihm traue ich absolut zu, dass er auch bei den Lakers Spielzeit bekommt, weil er nach seiner Zeit an einem Top-College in Michigan schon ziemlich gut entwickelt ist. Den größten Druck muss er sich trotzdem nicht machen, auch er ist ja noch sehr jung und hat noch viel Zeit in seiner Karriere. Neben LeBron James lernen beide jetzt auf jeden Fall das Rampenlicht der NBA sehr schnell und extrem kennen.
SPOX: Isaiah Hartenstein wiederum hat die G-League schon hinter sich und wurde jetzt "befördert". Glauben Sie, dass er den Rockets direkt helfen kann?
Rödl: Nach allem, was er selbst sagt und was von den Rockets kommuniziert wird, sieht es definitiv danach aus, dass sie sich einiges von ihm erhoffen. Allerdings ist es in Houston ähnlich wie in L.A., vielleicht sogar noch extremer: Das ist ein sehr gutes Team, ein Meisterschaftsanwärter. Wie viel ein junger Spieler da auf den Platz darf, muss man abwarten. Allerdings hat Isaiah das Talent und sie werden ihm bestimmt einige Möglichkeiten geben. Und dann ist es in einem Team mit solchen Passern wie Chris Paul und James Harden natürlich angenehm - eigentlich musst du nur die Hand hochhalten, der Ball wird schon kommen. (lacht) Auch bei ihm gibt es aber keinen Druck, erstmal ist es wichtig, den nächsten Level kennenzulernen. Moritz wird von den Dreien im ersten Jahr wohl die meisten Minuten sehen, aber alle sind noch blutjung und daher sollten wir auch nicht zu ungeduldig sein, sondern ihnen einfach die Daumen drücken.
SPOX: Dadurch, dass jetzt so viele NBA-Spieler dabei sind, stehen Ihnen teilweise für die Länderspiele längst nicht alle Spieler zur Verfügung. Inwieweit macht das Ihren Job schwerer, inwieweit ist es aber vielleicht auch eine Chance?
Rödl: Jeder hätte natürlich immer gerne zu jeder Zeit seine besten Spieler zur Verfügung. Gleichzeitig vergrößert das aktuelle System automatisch unseren Talentpool und wir haben, wenn wir uns qualifizieren, beim nächsten Turnier umso mehr Spieler zur Verfügung, die uns und unser System kennen. Das kann ein riesiger Vorteil sein, zumal man ja immer Ausfälle hat. Bisher hat das bei uns gut funktioniert, weil alle, die eine Chance bekommen haben, diese mit großer Leidenschaft und Begeisterung zu ergreifen versuchten. Es gibt aber auch Länder, die nicht so eine stabile Basis haben wie wir im Moment, und diese leiden sicherlich unter dem neuen Kalender.
SPOX: Wo sehen Sie Deutschland als Basketball-Standort aktuell und in einigen Jahren, verglichen mit den traditionellen Top-Teams Europas wie Spanien, Frankreich oder dem ehemaligen Jugoslawien?
Rödl: Die BBL hat sich extrem entwickelt. Einerseits haben die eigenen Strukturänderungen viel bewegt, andererseits spielt auch die wirtschaftliche Lage im Vergleich zu vielen anderen Nationen eine Rolle. Bei uns steht alles finanziell auf soliden Beinen und bisweilen profitiert man davon, dass es anderswo nicht so ist. Das soll die eigenen guten Leistungen aber nicht schmälern. Die Top-Teams bei uns haben sich den internationalen Top-Teams qualitativ angenähert und wenn man diesen Weg so weitergeht, kann man sich in der Spitzengruppe sicherlich auch festsetzen. Wichtig ist, dass dabei nicht vergessen wird, die Jugend weiter und vielleicht sogar noch stärker zu fördern, damit es auch an dieser Stelle kontinuierlich weiter nach oben geht. Da sollte man jetzt nicht auf einmal anfangen, 6+6 in Frage zu stellen. Es ist sehr wichtig, dass die jungen deutschen Spieler in den Vereinen weiter Chancen bekommen. Wenn man diese Regel anfasst, dann hoffentlich nur, um sie zu erweitern und nicht um sie einzuschränken.
SPOX: Denken Sie, dass es in den kommenden Jahren so weitergehen wird mit der deutschen Welle in der NBA?
Rödl: Ich gehe eigentlich davon aus, dass es eher mehr werden wird. Das Team, das wir letztes Jahr bei der Europameisterschaft hatten, war eins der jüngsten im ganzen Turnier. Wir haben in diesem Sommer mit der U20 Bronze geholt, obwohl einige Spieler verletzt fehlten, die erste Medaille seit vielen Jahren. Da sind in allen Jugendbereichen Spieler dabei, die von vielen Scouts Aufmerksamkeit bekommen.
SPOX: Sie waren Teil der letzten und bisher einzigen goldenen Generation des deutschen Basketballs. Kann diese Generation vielleicht die nächste sein?
Rödl: Ich glaube, wir haben das Potenzial dafür. Ob wir aber dort hinkommen, kann ich noch nicht sagen. Das war 1993 schon eine ganz besondere Sache, bei der auch sehr viel zusammenkam. Aber es kann so viel passieren - warum nicht auch das? Auch die Generation um Dirk war ja durchaus nah dran. Das waren zwei sehr große Sprünge, die wir schon hatten - und jetzt sollte der nächste auch demnächst stattfinden.