Das deutsche Team musste nicht allzu weit blicken, um zu sehen, was das Ziel für die nächsten Jahre, vielleicht sogar das nächste Jahrzehnt ist. Auf der anderen Seite der Sinan Erdem Arena stand mit Spanien schließlich die Mannschaft, die in Europa so etwas wie der Goldstandard ist. Und das mit einigen Unterbrechungen seit nunmehr 20 Jahren.
Da standen Pau Gasol und Juan Carlos Navarro, mittlerweile beide 37 Jahre alt und doch immer noch Leistungsträger, gerade Gasol. Er hat dreimal die EM gewonnen, eine WM, dazu drei Olympische Medaillen.
Zweimal EM-MVP und einmal WM-MVP war er auch, die beiden NBA-Titel mit den Lakers wollen wir nicht vergessen. Gasol ist der wohl erfolgreichste europäische Basketballer der Neuzeit, einzig Tony Parker kann an dieser Konversation noch teilnehmen.
Gesicht der goldenen Generation
Er ist auch das Gesicht der "goldenen Generation" des spanischen Basketballs. Eine Generation, auf deren Erfolge jede Nation der Welt (die USA ausgenommen) unfassbar stolz wäre. Aber auch eine Generation, die es in der Besetzung nicht mehr lange geben wird. Nicht nur Navarro und Gasol sind ältere Semester - in der Starting Five war der 26-jährige Ricky Rubio das Küken, alle vier anderen Starter waren mindestens 32 Jahre alt.
In der deutschen Mannschaft? Da war Robin Benzing mit 28 Jahren der älteste Spieler, nicht nur in der Starting Five, sondern im ganzen Kader. Das DBB-Team hatte eine der jüngsten Mannschaften bei dieser EM. "Wir sind enttäuscht, aber diese Generation ist sehr jung und wird noch einige Chancen bekommen", sagte Chris Fleming daher richtigerweise.
Der scheidende Coach, der sich von nun an komplett auf seinen Job als Assistant Coach bei den Brooklyn Nets konzentrieren wird, betonte mehrfach, dass er "stolz" auf die Leistung seines Teams sei, und das konnte er auch sein. Denn auch gegen die Spanier auf dem Weg zum zehnten EM-Halbfinale in Folge (!) verkaufte sich sein Team gut und agierte lange auf Augenhöhe.
Gasol lobt deutsche Defense
Es fehlte den Deutschen an Abgezocktheit und bisweilen auch an Präzision, nicht nur an der Dreierlinie, sondern auch an der Freiwurflinie wurde viel liegen gelassen. Sie kompensierten dies aber lange mit guter Defense und viel Einsatz bei den Rebounds, gerade gegen die riesigen Geschwisterpaare Hernangomez und Gasol hielten Thiemann, Theis und Voigtmann stark dagegen.
Mitte des dritten Viertels führte das DBB-Team sogar noch mit 4 Punkten. "Sie haben das Spiel sehr physisch gestaltet und es uns nicht leicht gemacht", erkannte Marc Gasol auf der anschließenden Pressekonferenz an. Aus seinem Mund hätte das eine leere Phrase sein können, schließlich hatte er soeben 28 Punkte bei Mega-Quoten (67 Prozent FG, 67 Prozent 3FG) erzielt und das Spiel entschieden.
Es stimmte aber tatsächlich, dass auch der Grizzlies-Center bei seinem Run im dritten Viertel gut verteidigt wurde. Nur kann man eben nicht viel tun, wenn ein 2,15-m-Mann mit hohem Release jeden Wurf von draußen versenkt. Dass Gasol Anfang des vierten Viertels dann sogar einen Dirk-Nowitzki-Flamingo-Wurf auspackte, passte da natürlich perfekt ins Bild.
Gasol? Ihn zu stoppen ist unmöglich
"Was kann man da sagen? Das war ein großartiger Spieler, der großartige Plays gemacht hat", sagte Fleming. So konnte man es ausdrücken. Wenn jemand wie Gasol so heiß läuft, kann man noch so viel richtigmachen - ihn zu stoppen ist unmöglich. Deswegen sind Superstars im Basketball so wichtig, deswegen ist Spanien seit Jahrzehnten so stark, weil sie gleich mehrere dieser Superstars im Kader haben. Deutschland hat in Dennis Schröder (27 Punkte) derzeit bekanntlich genau einen.
Deswegen konnte Fleming seiner Mannschaft aber eben auch nicht allzu viel vorwerfen. "Ich wäre nicht stolzer auf die Gruppe, wenn sie heute gewonnen hätten. Sie haben alles gegeben", stellte der Coach klar. "In den drei Jahren, die ich hier gecoacht habe, ist das ein Markenzeichen dieses Teams, wie sie füreinander einstehen und kämpfen. Ich bin stolz darauf, ein Teil davon gewesen zu sein."
Auch ohne ihn werde dieses Team nur "besser und besser werden", sagte Fleming, dessen Posten von seinem bisherigen Assistenztrainer Henrik Rödl übernommen werden wird. Die einzige Voraussetzung dafür sei es, dass das Team zusammenbleibt, stets die besten Spieler zur Verfügung hat - etwas, das Fleming nie hatte - und eine gewisse Kontinuität entwickelt.
Fleming: "Sie klopfen bereits an die Tür"
Dann sei es sogar möglich, in nicht allzu ferner Zukunft den "Powerhouse-Status" der Spanier zu erreichen, sagte Fleming: "Sie klopfen bereits an die Tür." In der Tat zeigte Deutschland bei diesem Turnier zum ersten Mal seit langem, dass gegen Top-Teams nicht nur mitgehalten, sondern am richtigen Tag auch gewonnen werden kann.
Nicht nur wegen der Resultate war dies die beste deutsche EM seit zehn Jahren. Wie gut Rödl daran anknüpfen wird, muss sich zeigen - Ende November gibt es für ihn den ersten Ernstfall in der WM-Qualifikation, die aufgrund des Hahnenkampfs zwischen FIBA, NBA und EuroLeague aber wohl ohne viele der Topstars stattfinden wird. Die NBA-Stars werden mit Sicherheit nicht freigestellt.
Dies ist allerdings ein Thema für einen anderen Tag. Für den Moment bleibt folgende Erkenntnis: Die deutsche Mannschaft kann mit diesem Turnier mehr als zufrieden sein, auch wenn jede Niederlage schmerzt. Und wenn sie den Weg beständig weitergehen - wer weiß, vielleicht gehören sie dann zu den Teams, die da sind, wenn Spaniens goldene Generation eines Tages wirklich abtritt.