Es war ein untypischer Auftritt. Kein Gepöbel. Kein Trash Talk. David Haye schien bei der offiziellen Pressekonferenz für den Kampf gegen Wladimir Klitschko am 2. Juli fast ein bisschen in sich gekehrt. Nachdenklich. Fast zahm.
Vielleicht ist ihm auch bewusst geworden, dass er sich vor dem sechsten Schwergewichtskampf seiner Karriere am Scheideweg befindet. Noch ist der Brite nur einer unter vielen Champions in der Historie des Boxens. Niemand, an den man sich in einigen Jahren als einen der Großen der Zunft erinnern wird. Trotz seines WBA-Gürtels. Oder vielleicht auch deswegen. Schon längst sagt ein Gürtel der vier Weltverbände nur noch wenig über die sportliche Qualität seines Trägers aus.
Karriereende im Herbst?
Die Schuld bei den Haye-Vorgängern John Ruiz, Ruslan Tschagajew und Nikolai Walujew zu suchen, wäre dabei zu einfach. Das Schwergewicht krankt viel mehr an zu wenigen talentierten Fightern und zu vielen verschiedenen Verbänden.
Der Kampf gegen Wladimir Klitschko ist für Haye auch deswegen vielleicht die letzte Chance, seine Duftmarke zu hinterlassen. Nicht zuletzt, weil er immer wieder mit einem zeitnahen Karriereende liebäugelt. "Mein Plan ist es, vor meinem 31. Geburtstag abzutreten", sagte Haye erst im letzten Jahr.
Das wäre nach Adam Riese der 13. Oktober 2011, gut drei Monate nach dem Klitschko-Kampf. Der Fight gegen den Ukrainer könnte für Haye also zugleich Höhepunkt und Schlusspunkt einer Karriere sein, die bereits vor 30 Jahren begann.
Schon als Kind ein Fighter
Es gibt einige Märchen über die ersten Momente und Jahre des heutigen Hayemakers. Wie es sich für das Box-Business gehört, taugen nicht wenige davon vor allem zur Legendenbildung. "Meine Eltern haben mir gesagt, dass ich vom ersten Moment an wie ein Boxer aussah, wie ein Mann, der gerade zwölf Runden mit Mike Tyson im Ring gestanden hatte", erzählte Haye einst über seine Geburt.
"Während andere Kinder die Sesamstraße im Fernsehen sahen, schaute sich der kleine David lieber Filme mit Kampfsportlegende Bruce Lee an", schrieb das Magazin "BoxSport". Ob die Geschichten wirklich der Wahrheit entsprechen, lässt sich nicht mehr überprüfen.
Und trotzdem: Wer schon als Kind pausenlos das Knie seines Vaters mit gezielten Schlägen malträtierte, dessen Weg musste im Boxring enden. Vom heimischen Wohnzimmer aus ging es mit zehn Jahren ins Gym, wo er schon bald seine Gegner das Fürchten lehrte. Bereits damals immer im Gepäck: Ein Sixpack, "der seitdem geblieben ist. Na ja, zumindest die meiste Zeit."
Gelungener Einstieg ins Profi-Boxen
Genauso astrein gestaltet sich nach einer erfolgreichen Amateur-Laufbahn auch seine Bilanz bei den Profis. Bei den ersten 16 Kämpfen gingen seine Gegner 15 Mal in den ersten fünf Runden zu Boden. Die Ausnahme bildet ausgerechnet ein 40-jähriger Landsmann, dessen Zenit 2004 eigentlich schon längst überschritten war.
Gegen Carl Thompson konnte man zum allerersten Mal eine Schwachstelle beim gebürtigen Londoner erkennen. Nachdem er die ersten Runden klar dominiert hatte, wurde ihm in der fünften Runde ein Hauch von Arroganz zum Verhängnis. Zwei Jabs und eine rechte Gerade von Thompson markierten die erste und bisher letzte Niederlage von Haye als Profi-Boxer.
Selbstzweifel bei Haye? Fehlanzeige
Doch schon damals wurde man Zeuge eines besonderen Charakterzuges: Während die meisten Boxer vom ersten Knockout aus der Bahn geworfen worden wären, nahm das Ego von Haye keine Kratzer. "Ich muss nicht von vorne anfangen, nur weil ich einen Kampf verloren habe. Ich gehöre auf dieses Level und will niemanden mit Siegen gegen schwache Boxer an der Nase herumführen. Dazu muss ich Risiken eingehen. Vielleicht bin ich Carl irgendwann dafür dankbar, dass er mir in den Arsch getreten hat", sagte Haye nach diesem Kampf.
Selbstzweifel? Nicht bei Haye, wie sich auch Pat Sheehan von der englischen Tageszeitung "The Sun" gegenüber SPOX erinnerte: "Er war immer schon sehr extrovertiert. Bereits als Amateur hat er rumgetönt, dass er eines Tages Weltmeister sein werde. Er hatte einfach unglaubliches Vertrauen in seine Fähigkeiten."
Niederlage gegen Thompson als Wendepunkt
Dennoch markiert der Kampf gegen Thompson einen Wendepunkt. Diese Niederlage machte David Haye zu dem Boxer, der heutzutage die Massen im positiven wie im negativen Sinne fasziniert. Nach außen der selten um ein Wort verlegende Playboy, hinter verschlossenen Türen ein intensiver und besessener Arbeiter. "Der Knockout von Thompson war genau das, was Haye zu diesem Zeitpunkt gebraucht hat. Er hat ihn wieder auf den Boden geholt", bestätigte Jeff Powell, Box-Experte bei der "Daily Mail", im Gespräch mit SPOX.
Die damals neu gewonnene Bodenhaftung kann aber nicht über den Fakt hinwegtäuschen, dass Haye noch immer ein Charakter mit Ecken und Kanten ist. Und jemand, der auch in der Heimat längst nicht vergöttert wird. "Natürlich wird Haye auch auf der Insel als der laute und dreiste Kerl gesehen, aber wir legen nicht jedes Wort auf die Goldwaage. Es ist nun mal auch eine gehörige Portion Entertainment dabei", so Powell weiter.
Box-Experte Jeff Powell: "Seine Popularität nimmt langsam zu"
Man könne mit ihm noch nicht mitfiebern und mitleiden wie einst bei Ricky Hatton, doch "seine Popularität nimmt langsam aber sicher zu." Dafür sorgt vermutlich schon der explosive Kampfstil unter seinem langjährigen Trainer Adam Booth. "Ihre Zusammenarbeit basiert vor allem auf gegenseitigem Vertrauen. Der Boxer weiß, warum er etwas leisten soll, und der Trainer kann sich sicher sein, dass sein Schützling genau das abliefern wird", erklärt Powell.
Das Mastermind hinter dem WBA-Weltmeister hat in den letzten Jahren aus Haye nicht nur im Ring eine Rampensau geformt, sondern ihm auch die mentale Seite des Boxens näher gebracht.
Meister des Trash-Talk
Und dazu gehört nun mal auch das Einmaleins des Trash Talk. Selbst wenn Haye mittlerweile eigentlich kaum noch Gebrauch davon machen müsste, so war es einige Jahre zuvor vor allem eines: Mittel zum Zweck. "Er hat heutzutage schon das Gefühl, dass ihn insbesondere sein unverschämtes Verhalten und seine Kommentare bekannt gemacht haben", so Sheehan.
Eine kleine Kostprobe wollte der Hayemaker auch den Leuten bei der Pressekonferenz dann doch nicht vorenthalten und verweigerte einem Handshake mit den Worten: "Die gebe ich dir, wenn ich dich am Sonntag im Krankenhaus besuche." Ein echter Haye bleibt sich eben auch am Scheideweg treu.