Ohne die Regale voll mit Funktionswäsche, atmungsaktiven Outdoor-Hemden und eigens hergestellten Wanderstöcken für den vitalen Rentner hätte man fast glauben können, dass der Kampf der Kämpfe bereits am Freitag stattfindet.
Ringsprecher Michael Buffer, Kommentator Tobias Drews, Prominente wie etwa Lennox Lewis, Carl Froch oder Fritz Sdunek und nicht zuletzt die beiden Protagonisten, David Haye und Wladimir Klitschko - sie alle fanden sich am Tag vor dem interessantesten Fight der letzten Jahre in der Sportabteilung eines Kaufhauses in Hamburg ein.
Begleitet von einer Heerschar an Journalisten, deren Anzahl sonst nur bei einem Fußball-WM-Spiel übertroffen wird.
Haye-Fans beleidigen Klitschko
Auf dem Programm stand lediglich das obligatorische Wiegen, doch vor allem für Klitschko dürfte es recht aufschlussreich gewesen sein, was ihn in der mit rund 45.000 Zuschauern gefüllten HSV-Arena erwarten könnte.
Denn mehrere hundert Box-Fans aus England verwandelten die sonst ereignislose Formalität vor einem Kampf in eine Zirkusveranstaltung, feuerten Haye inbrünstig an - und beleidigten Klitschko, so oft und so niveaulos wie möglich.
Als erstes schritt der sichtlich amüsierte Haye unter lauten "Ingeland, Ingeland, Ingeland"-Chören auf das Podium. Der kurz nach ihm auftretende Klitschko hingegen wurde derart ausgebuht, dass die zahlenmäßig ohnehin unterlegenen Anhänger des Ukrainers nicht mehr zu hören waren: "Klitschko, Boooooooooh!!!"
Öner: "Bring der Masse den ersten Kopf"
Ahmet Öner, Arena-Boss und Intimfeind von Klitschkos Promoter Bernd Bönte, war nicht unter den Anwesenden. Aber auch er stellte klar, wem seine Sympathien gehören: "David, hau Wladimir ordentlich was auf die Fresse! Ich kann die Arroganz der Klitschkos nicht mehr ertragen, und ich will nicht wieder den schmierigen Bönte feiern und jubeln sehen. Bring der hungrigen Masse den ersten Kopf!"
Dass die Waage bei Haye 96,5 Kilogramm und bei Klitschko 110 Kilogramm anzeigte - nebensächlich. Von wesentlich größerem Belang war die überraschend feindselige Atmosphäre für Klitschko, der sich selbstredend nichts anmerken ließ.
Wobei: "Wladimir hat das natürlich mitbekommen und wird das Gefühl haben, als ob er ganz, ganz weit weg von zu Zuhause wäre. David hingegen genießt die Unterstützung der unglaublich begeisterungsfähigen und lauten Fans aus Großbritannien, die ihn in Hamburg nach vorne pushen werden", sagt Carl Froch, Supermittelgewichts-Weltmeister und Hayes Landsmann, zu SPOX.
Mentaler Vorteil für Haye?
Am Samstag wird es entsprechend interessant zu beobachten sein, wie Klitschko tatsächlich reagiert, wenn er nicht wie sonst gewohnt das gesamte Publikum in seinem Rücken weiß. Insbesondere wenn Haye von Beginn an aggressiv attackiert.
Froch: "Sollte Klitschko in den ersten beiden Runden nicht so souverän auftreten, wird es eine mentale Zerreißprobe für beide. Die Fans werden ausflippen - und das dürfte Haye in die Karten spielen, weil er im Kopf stärker ist."
Spätestens dann wird in der HSV-Arena der gleiche Song angestimmt wie beim Wiegen. Auf die Melodie von "Football's coming home" textete die Haye-Fraktion:
"He's going down,
He's going down,
Klitschko's going down!"
