"Und dann so ein Mist! Eine Katastrophe!"

SPOX
01. Juni 201214:55
Dariusz "Tiger" Michalczewski mit den beiden Fan Scouts Andre (l.) und MartinHyundai Fan Scout
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Ein peinlicher EM-Song als Symbol: Box-Legende Dariusz Michalczewski fürchtet bei der EM 2012 eine polnische Blamage. Die Hyundai Fan Scouts trafen den "Tiger" während ihrer Polen-Tour in seiner Heimatstadt Danzig und sprachen mit ihm über Klischees, Klitschko und das Leben als Energydrink-Superstar. Die spannende Tour der Fan Scouts gibt es zum Nachlesen auf der Facebook-Seite.

Frage: Herr Michalczewski, vor einem Monat fand der Hamburg-Marathon statt. Hatten Sie keine Lust, Ihre Zeit von 3:57 Stunden aus dem Jahr 2010 zu toppen?

Dariusz Michalczewski: Nein, ich habe ein bisschen zugenommen. Ich wollte, wenn ich antrete, unter vier Stunden laufen, aber dafür war ich nicht fit genug. Ich hatte eine Meniskusoperation und bin danach nicht rechtzeitig wieder in Form gekommen. Aber ich gehe aktuell wieder jeden Tag laufen und möchte beim nächsten Mal erneut in Hamburg antreten.

Frage:Stattdessen sorgen Sie mit Ihrem Energy-Drink "Tiger" in Polen für Furore. Ist es Ihr einziges berufliches Standbein?

Michalczewski: Nein, ich bringe neben Tiger-Energy auch Kosmetikartikel heraus, um die Marke weiter auszubauen. Mein Sohn Michael ist aus Amerika zurückgekommen und arbeitet für mich an diesen Themen.

Frage: Ihr Name ist dabei sicherlich nicht von Nachteil.

Michalczewski: Viele junge Leute in Polen wissen nicht, wer der "Tiger" ist. Nicht alle Leute bringen die Marke mit mir in Verbindung. Es ist auch nicht so viel Arbeit, ich gebe nur die Lizenz. Aber es bringt Geld und wir haben Erfolg. Wir sind stark im Kommen in Rumänien, Bulgarien und Litauen - Tiger ist eine Weltmarke!

Frage: Wer weiß, vielleicht kaufen Sie eines Tages auch einen Fußballverein...

Michalczewski: Ich glaube nicht. Ich habe eine gute Karriere gehabt und jetzt eine Stiftung für junge Sportler gegründet, aber ich habe keine Ambitionen, einen eigenen Fußballverein zu besitzen. Ich habe in meiner Karriere genug Stress gehabt. Um jetzt noch einmal angespannt zu sein, ob mein Team gewinnt oder verliert, ohne selbst Einfluss darauf zu haben, habe ich keine Nerven. Ich habe ein tolles Leben, eine neue Frau, ein zwei Jahre altes Kind. Da brauche ich den Stress nicht. (lacht)

Frage: In rund einer Woche beginnt die EM in Polen. Haben Sie ein Team, dem Sie die Daumen drücken?

Michalczewski: Ich bin natürlich für Polen. Aber wenn wir ausscheiden, drücke ich den Deutschen die Daumen, sie sind der große Titelfavorit. Polen hingegen hat keine gute Mannschaft. Ich hoffe, dass Polen wenigstens die Gruppenphase übersteht, damit sich das Land nicht blamiert. Es ist meine größte Sorge, dass das Turnier eine Anti-Werbung für Polen wird. Haben Sie die polnische EM-Hymne ("Koko Euro Spoko", Anm. d. Red.) gehört? Die ist in meinen Augen eine Katastrophe! Wir wollen aus dem Spargelstecher- und Erdbeerensammler-Klischee herauskommen, und jetzt kommen da diese alten Frauen. Katastrophal! Polen ist nicht mehr so! Polen ist ein junges Land, es wird immer moderner und junge Polen arbeiten erfolgreich in der ganzen Welt. Und dann so ein Mist! Das hat mich enttäuscht.

Frage:Aber ist die EM nicht auch eine Chance für eine gute Außendarstellung, etwa durch die neuen Stadien?

Michalczewski: Na ja, wenn die Leute zwei oder drei Stunden im Stau stehen, um nach dem Spiel nach Hause zu kommen, befürchte ich gleich wieder negative Kritiken. Vielleicht bin ich zu kritisch, weil ich in Deutschland gelebt habe.

Frage:Werden Sie bei der EM auch Spiele im Stadion besuchen?

Michalczewski: Ja, ich fahre zum Eröffnungsspiel, habe Tickets für ein Halbfinale und bin zum Finale eingeladen, aber da werde ich erst mal schauen, wer spielt.

Frage:Wer hat denn Ihrer Meinung nach die größten Chancen auf das Finale?

Michalczewski: Deutschland. Natürlich drücke ich auch Polen die Daumen. Man hält immer für die Schwächeren, aber wenn man logisch denkt, wird es schwierig für Polen, die Gruppenphase zu überstehen, denn sie sind das schwächste Team der Gruppe - zumindest nach dem UEFA-Ranking.

Frage:Neben Fußball hat auch Boxen eine große Tradition in Polen mit großen Namen wie Ihnen, Tomasz Adamek oder Andrzej Golota. Welchen Platz nimmt Boxen in der Gunst der polnischen Zuschauer ein?

Michalczewski: Polen hat keine Erfolge und derzeit keinen Nachwuchs. Zum ersten Mal in unserer Geschichte hat sich kein polnischer Boxer für die Olympischen Spiele qualifiziert. Das ist ein großes Problem.

Frage:Mit Andrzej Wawrzyk, Mariusz Wach und Artur Szpilka hat Polen drei ungeschlagene junge Talente im Schwergewicht am Start. Kennen Sie die drei und wie schätzen Sie sie ein? Wer ist der stärkste?

Michalczewski: Darüber möchte ich nicht reden. Von Begriff "Talent" halte ich nicht viel. In jeder Altersklasse, die ich durchlief, waren zehn Jungs dabei, die größere Talente waren als ich. Es wird viel über sie geredet, aber sie haben noch nix gezeigt. Da wird der Durchbruch ausbleiben.

Frage:Fehlt Polen also eine strukturierte Nachwuchsförderung?

Michalczewski: Ja, wir haben keine Vereine, keine Gelder und die Nachwuchsboxer haben zu wenige Turniere.

Frage:Hätten Sie nicht Lust, dem Boxen in Polen auf die Beine zu helfen?

Michalczewski: Nein, ich habe die Nase voll vom Boxen, ich habe immerhin 25 Jahre geboxt. Dennoch bin ich nicht ganz weg: Ich habe meine Stiftung, in die ich jedes Jahr 250.000 Euro stecke, vergebe Stipendien und unterstütze Vereine mit Geld.

Frage:Mit Mateusz Masternak steht ein schlagstarker junger Mann in den Cruisergewichts-Rankings weit oben. Er steht bei Sauerland unter Vertrag, was trauen Sie ihm zu?

Michalczewski: Masternak ist ein guter Junge. Er ist wohl der Einzige, der die Möglichkeit hat, ein Großer zu werden.

Teil II: Tiger über Universum, Rocchigiani und die Klitschkos

Frage:Ihr ehemaliger Stall Universum hat in den letzten Jahren einen drastischen Niedergang erlebt. Haben Sie noch Kontakt zu Klaus-Peter Kohl?

Michalczewski: Nein, zu Kohl habe ich keinen Kontakt. Wir sind in ganz schlechtem Stil auseinandergegangen.

Frage:Wie konnte es soweit kommen?

Michalczewski: Kohl hat sich überschätzt und so sein Lebenswerk kaputt gemacht. Das tut ihm wahrscheinlich weh, aber er hat falsche Entscheidungen getroffen.

Frage:Welche meinen Sie?

Michalczewski: Er hat seinen Schwiegersohn da rein gebracht, der keine Ahnung vom Boxen hat. Kohl hat Peter Hanraths entlassen und hat Angebote zur Zusammenarbeit, unter anderem von mir, nicht angenommen. Später wollte er wieder, aber da war das Schiff schon gesunken.

Frage:Also hätten Sie doch noch Lust auf einen Job im Boxsport?

Michalczewski: Als Sportdirektor wäre ich ideal. Ich kenne die Leute, ich weiß, wie die Szene funktioniert.

Frage:Sie haben in der Vergangenheit öfter mit einem Comeback als aktiver Boxer geliebäugelt, zuletzt hieß es, sie wollen gegen den ehemaligen Superstar Roy Jones Jr. ran. Ist da was dran?

Michalczewski: Angebote waren da, aber ich habe gesagt, dass ich nicht für unter zehn Millionen Euro boxen werde. Ich muss entscheiden, was für mich als Ex-Sportler lukrativ ist. Boxe ich für zwei Millionen, blamiere mich vielleicht in der Öffentlichkeit und schade damit meiner Marke?

Frage:Ihr Erzrivale aus vergangenen Tagen, Graciano Rocchigiani, hat Ihnen Anfang des Jahres einen Vorwurf erneuert: Sie hätten gekniffen, als es darum ging, eine dritte Auflage ihres Duells zu inszenieren.

Michalczewski: Ich wollte nicht boxen, weil das Geld nicht gestimmt hat. Ich bin kein Idiot. Ich muss nicht für kleines Geld boxen. Ich bin ein Geschäftsmann und habe meinen Preis. Wenn das Geld stimmt, boxe ich morgen gegen Graciano. Aber nicht für 600.000 Euro. Graciano hat das Geld gebraucht, der hätte sogar für 100.000 geboxt, aber ich nicht.

Frage:In seinem Buch "Durchgeboxt" hat Ihr ehemaliger Trainer Fritz Sdunek behauptet, Sie hätten beim ersten Kampf gegen Rocky eine Verletzung vorgetäuscht, um so die Disqualifizierung Ihres Erzrivalen zu provozieren.

Michalczewski: Ich habe mit Fritz gesprochen. Er hat gesagt, es sei falsch interpretiert worden. Ich habe das Buch selbst nicht gelesen. Die "Bild"-Zeitung hat das wohl aus dem Kontext gerissen. Aber mich juckt das ohnehin überhaupt nicht. Letztlich war es sicher nur PR, um das Buch besser zu verkaufen. Ich bin da nicht sauer. Ich habe meinen Titel 23 Mal verteidigt, war in drei Verbänden und zwei Gewichtsklassen Weltmeister. Wer meine Karriere madig machen will, hat einfach keine Ahnung. Ich weiß, was ich geschafft habe, wie viele Leute zu meinen Kämpfen gekommen sind und welche Einschaltquoten ich erzielt habe. Ich finde, ich habe eine super Karriere gehabt.

Frage:Sie waren mehrfacher Weltmeister, trotzdem hat man Ihnen immer wieder vorgeworfen, Sie hätten nur schwache Gegner geboxt. Ein Vorwurf, mit dem auch die Klitschkos zu kämpfen haben. Zu Recht?

Michalczewski: Die Klitschkos dominieren das Schwergewicht. Sie haben einfach keine Konkurrenz. Der letzte Kampf von Wladimir gegen den kleinen Franzosen Mormeck hat das wieder gezeigt. Aber da können die Klitschkos nichts dafür. Sie haben große Kämpfe gezeigt, wie Witali gegen Lennox Lewis. Sie sind beide Top-Athleten und clevere Jungs, die super Werbung für den Boxsport machen.

Frage:Rocchigiani kritisierte, dass Boxen heute ziemlich "stinke". Es gebe zu viele Verbände mit zu vielen wertlosen Titeln. Hat er Recht?

Michalczewski: Das Boxen hat immer gestunken. Graciano hat sich immer nur beschwert. Für ihn war immer alles Scheiße und Betrug. Er war derjenige, der es nicht geschafft hat. Da muss er sich an die eigene Nase fassen. In meinem letzten Kampf wurde ich auch betrogen, aber ich meckere nicht rum. Aber prinzipiell schaden die vielen wertlosen Titel. MMA wird immer populärer, weil es echter ist. Die Leute lassen sich nicht verarschen.

Frage:Was denken Sie, wenn Sie hören, dass ein Marco Huck aus dem Cruisergewicht ins Schwergewicht aufsteigt und sofort eine WM-Chance erhält?

Michalczewski: Ich bin auch vom Halbschwergewicht ins Cruisergewicht gegangen und habe den Gürtel geholt. Also kann ich nichts Schlechtes darüber sagen. Das ist absolut legitim. Beide Boxer waren bei Sauerland, und dann bekommt man eben die Chance.

Frage:Auch der Kampf zwischen David Haye und Dereck Chisora schlug große Wellen. Was halten Sie davon?

Michalczewski: Das wird interessant. Das wichtigste ist eben, was die Zuschauer sehen wollen. Boxen ist nun mal ein Geschäft.