Madison Square Garden, 29. September 2001. Knapp 20.000 Zuschauer blicken in der altehrwürdigen Halle im Herzen New Yorks gebannt auf Bernard Hopkins, vor den TV-Geräten sind es Millionen. Der 36-Jährige liegt inmitten des Seilgevierts auf dem Rücken, geblendet durch das gleißende Licht der Scheinwerfer. Er verschränkt die Arme vor seinem Gesicht, schließt die Augen. Für einen Moment verschwindet alles um ihn herum, es wird ruhig. Der Kampf ist vorbei.
Laute "U-S-A, U-S-A"-Sprechchöre durchbrechen die Stille. Hopkins atmet tief durch, erhebt sich langsam und richtet seinen Blick in die Menge. Noch kann er kaum realisieren, was eigentlich gerade geschehen ist. In einer Stadt, die nur Wochen zuvor ihr dunkelstes Kapitel verkraften musste, wurde Geschichte geschrieben. Er, ein Kind aus einer Sozialsiedlung im Norden Phillys, ein ex-Häftling, war der Autor.
Der falsche Weg
Es waren Bilder, die eine Stunde zuvor wohl niemand erwartet hatte. Zwar versprach der Kampf zwischen dem ungeschlagenen zukünftigen Hall of Famer Felix Trinidad und Hopkins ein Spektakel zu werden, das Resultat schien jedoch bereits vor dem ersten Gong festzustehen. Schließlich hatte der 28-Jährige vor seinem Aufstieg ins Mittelgewicht im Welter- sowie Super-Weltergewicht die Konkurrenz in Grund und Boden geboxt.
Promoter Don King, der zum damaligen Zeitpunkt beide Boxer vertrat, hatte deshalb vorsorglich den Namen Trinidads in den "Sugar Ray Robinson"-Award eingravieren lassen. Sollte der Preis doch nach Kampfende schnellstmöglich an sein bestes Pferd im Stall übergeben werden. Zweifel hatte King keine.
Selbige hatten auch neutrale Beobachter wie Legende Thomas Hearns nicht: "Ich sehe keine Probleme für Trinidad", sagte Hearns vor dem Aufeinandertreffen: "Hopkins ist ein guter Kämpfer, allerdings ist Trinidad ein großartiger. Großartig schlägt gut."
Was im Ring folgte, war jedoch nicht der erwartete Triumph des Goldjungen aus Puerto Rico, sondern das Meisterwerk eines Mannes, der in Philadelphia aufwuchs, Gewalt lebte und dafür fast mit dem Leben bezahlt hätte. Eines Mannes, der sich für den falschen Weg entschied und sich nicht auf der glänzenden Seite des Lebens wiederfand, sondern für Jahre hinter den Mauern eines Gefängnisses - zusammen mit Mördern und Vergewaltigern.
Lehren der Vergangenheit
Es ist jene Vergangenheit, die Hopkins zu dem Menschen werden ließ, der er heute ist. Das innere Feuer und die Lehren der damaligen Zeit nahm er mit in sein zweites Leben. Das Boxen wurde für ihn mehr als ein Geschäft, es wurde zu seiner Bestimmung. Wann immer er in Erscheinung tritt, ist eine fast unheimlich anmutende Intensität allgegenwärtig. So auch im Vorfeld des Kampfes gegen Trinidad, als die Spannungen zwischen beiden Kontrahenten Ausmaße annahmen, die das Gefühl vermittelten, Teil von etwas Großem zu sein.
Hauptverantwortlich war dabei Hopkins' Wille, Grenzen bewusst zu überschreiten. So zum Beispiel als er bei einer Pressekonferenz in New York die puerto-ricanische Flagge zu Boden warf. Eine Handlung, die er bei einem weiteren Auftritt in Puerto Rico vor rund 10.000 Landsleuten Trinidads bereitwillig wiederholte, und die beim zweiten Mal beinahe ernste Konsequenzen nach sich gezogen hätte.
"Ich rannte und kämpfte zur gleichen Zeit. Auf dem Weg habe ich mindestens drei oder vier Knockouts gesetzt", erinnerte sich Hopkins später mit einem Grinsen an den Ausflug nach San Juan. Er, sein Trainer Bouie Fisher und das restliche Team konnten in eine Umkleidekabine des Roberto Clemente Coliseum flüchten. Der wütende Mob versuchte noch über 20 Minuten in den kleinen Raum zu gelangen, letztlich ohne Erfolg.
Hasserfüllt war dabei nicht. Der Junge aus Philly hatte die Spielregeln, denen der Boxsport seit Ewigkeiten unterliegt, schlichtweg verinnerlicht: Schafft man es das Interesse der Menschen zu wecken, so bieten sich einem Chancen, die man sonst vielleicht nie erhalten würde. "Ich entschuldige mich für nichts", blieb Hopkins seiner Linie treu: "Ich denke schließlich nach, bevor ich etwas tue." Ein strahlender Held war er nie, auch lieben musste man Hopkins nicht - respektieren schon.
Meisterwerk in zwölf Akten
Die geforderte Show stimmte. Das tat sie bei Hopkins, der an diesem Abend trotz der Geschehnisse mit einer roten Henkersmaske aus Leder, die seinem damaligen Spitznamen "The Executioner" mehr als gerecht wurde, zum Ring marschierte, immer. Nach dem ersten Gong wurde allerdings schnell deutlich, dass er nicht nur ein großes Mundwerk hatte, sondern auch einen Plan.
Vor allem seine Ringintelligenz übte eine fast schon magische Faszination aus - auch bei Anhängern seines Gegners, die zu Beginn des Kampfes noch mit lauten "Tito, Tito"-Rufen auf sich aufmerksam gemacht hatten. Die lautstarke Kulisse wich mit zunehmender Rundenzahl anerkennender Stille. Niemand wollte auch nur eine Sekunden von dem verpassen, was sich im Ring abspielte. Hopkins dominierte nicht einfach nur, er boxte seinen Gegner auf eine Weise aus, die auch Jahre später noch nichts von ihrer beeindruckenden Art verloren hat. Selbst die größten Legenden des Sports, wie etwa George Foreman, zollten Hopkins höchste Anerkennung.
Foreman war dabei in erster Linie von der Variabilität seines 36-jährigen Landsmannes beeindruckt. In der einen Minute bestimmte Hopkins die Distanz und verschaffte sich mit seinem Jab Vorteile auf den Punktzetteln, in der nächsten befand er sich im Infight und setzte seinem Gegner mit knallharten Uppercuts zu.
Eine Frage der Zeit
Es entwickelte sich eine komplexe Symphonie aus aggressiven und konservativen Elementen, die Trinidad zuweilen wie einen überforderten Schuljungen aussehen ließ. Immer wieder schien Tito zudem an der überzeugenden Defensivarbeit seines Kontrahenten zu verzweifeln. Die Suche nach Antworten musste ihn innerlich zerfressen, finden konnte er sie dennoch nicht.
Also suchte er in seiner Ecke nach Lösungen. In jeder Unterbrechung fragte er, ob er vorne sei. Zwar wurde seine Frage jedes einzelne Mal bejaht, die Blicke sagten dennoch mehr als Worte es in solch einer Situation jemals vermocht hätten. Trotzdem gab er alles, nahm Treffer über Treffer.
Vor allem die zehnte Runde schaffte es in Erinnerung zu bleiben. In einem letzten Ansturm versuchte Trinidad alles, musste jedoch gleich mehrere harte Schläge einstecken. Es waren drei Minuten, die durch das Ring Magazine zur "Runde des Jahres" ausgezeichnet wurden. Minuten, die Trinidad wie eine Ewigkeit vorgekommen sein dürften. Er überstand sie, Hopkins genoss sie.
In Durchgang zwölf war dann endgültig Schluss. Der Puerto Ricaner hatte erneut schwere Aufwärtshaken kassiert, eine krachende Rechte ans Kinn brachte ihn auf den Boden. Getrieben von purer Willenskraft schaffte Trinidad es zwar bis neun wieder auf die Beine, es hatte ihn allerdings alles an Kraft gekostet, was er noch hatte. Seine Augen waren leer, das Feuer erloschen. Auch sein Vater Felix Sr. hatte genug gesehen und traf die einzig richtige Entscheidung, er warf das Handtuch.
Meilenstein der Karriere
Es war der Moment, den Hopkins im Vorfeld immer wieder angekündigt hatte und der beide Kämpfer für immer veränderte. Zum ersten Mal seit Marvin Hagler und somit seit 14 Jahren gab es einen unangefochtenen Weltmeister im Mittelgewicht. "Niemand kann meiner Power widerstehen", zeigte sich der Sieger zufrieden: "Alles was ich brauchte, war eine Gelegenheit."
Zwar legte Hopkins, dem der Sieg zudem den Titel als "Kämpfer des Jahres" einbrachte, fünf Kämpfe später in den Geschichtsbüchern mit einem Erfolg über Oscar de La Hoya nochmals nach und wurde zum ersten Boxer aller Zeiten, der die vier großen Titel auf sich vereinen konnte. Dennoch bleibt der Auftritt gegen Trinidad der bis heute größte Meilenstein seiner Karriere. "Entweder ist man ein Wolf oder ein Schaf", sagte Hopkins einst. An diesem Abend ließ er an der Rollenverteilung keinen Zweifel.