Einen Gürtel hatte er sich um die Hüften geschnallt. Der zweite hing über der rechten Schulter, Nummer drei über der linken. Dazu beide Hände in die Höhe gereckt, mit dem bekannten Victory-Zeichen, wie es vor ihm schon unzählige Sportler in dieser legendären Arena getan hatten.
So stand Wladimir Klitschko da, im Madison Square Garden, umringt von vielen wichtigen und unwichtigen Personen, die nach einem Boxkampf traditionell den Ring entern. Um dem Sieger zu gratulieren und vielleicht auch selbst noch etwas vom Spotlight abzubekommen.
Es schien das angemessene Ambiente zu sein, kurz nach dem 27. WM-Kampf seiner Karriere (Weltrekord) und der 18. Titelverteidigung in Folge. Ein kurzer Blick auf das Gesicht des Schwergewichts-Königs ließ diese heile Welt jedoch ein wenig zusammenbrechen.
Kein Lachen, keine strahlenden Augen, kein lauter Jubelschrei. Der Weltmeister hatte sein Duell mit Bryant Jennings nach Punkten gewonnen - und doch irgendwie verloren. "Es tut mir leid. Manchmal läuft es nicht so, wie man es sich wünscht", suchte Klitschko fast schon nach entschuldigenden Worten für seinen ersten Auftritt in den USA nach siebenjähriger Abstinenz.
Klitschko lobt Jennings
Dabei lesen sich die nüchternen Fakten des Abends eigentlich wie immer. Klitschko schlug häufiger als sein Gegner (545:376), verbuchte mehr Treffer (133:110) und geriet eigentlich nie wirklich in Gefahr, auch wenn er Jennings kämpferischer Leistung durchaus Respekt zollte: "Jennings hat mir viele Probleme bereitet, mehr als alle Gegner in den letzten Jahren. Er ist ein harter Hund. Er hat schnelle Hände und ist ein guter Athlet."
So verließ Klitschko den Garden, wie er ihn betreten hatte. Als Weltmeister der Verbände WBA, WBO, IBF und IBO - aber ohne eine innere Zufriedenheit.
Um dem Grund für diese Gemütslage auf die Schliche zu kommen, muss man eine kleine Zeitreise machen. Genauer gesagt ins Jahr 2008, als Klitschko zuletzt einen Kampf im Madison Square Garden und damit auch in den USA bestritten hatte.
Die Eroberung der USA
Der Ukrainer gewann damals eine Titelvereinigung gegen Sultan Ibragimov, musste sich im Nachhinein aber trotzdem Pfiffe des Publikums gefallen lassen. Zu nüchtern, zu ergebnisorientiert, ohne Risiko. So lautete das niederschmetternde Urteil über Klitschkos Box-Stil in der amerikanischen Öffentlichkeit, die wie keine andere Spektakel einfordert.
Und genau dieses Bild des "langweiligen Klitschko" wollte der Champ gegen Jennings ändern. Er wollte die USA erobern. Endlich auch jenseits des großen Teichs die Anerkennung finden, die ihm in Europa schon längst zuteil wird.
"Es ist die richtige Zeit, der richtige Ort und der richtige Gegner. Ich weiß, das wird kein Spaziergang, und die Zuschauer werden ihr Geld nicht umsonst ausgegeben haben", kündigte Klitschko im Vorfeld quasi ein K.o.-Ende an - auch mit dem Wissen, mit Alex Leapai und Kubrat Pulev seine letzten beiden Kontrahenten in den Ringstaub geschickt zu haben.
Die Frage nach dem Stil
Jennings erwies sich allerdings als weitaus härterer Brocken, zudem verfiel Klitschko ab Mitte des Kampfes in sein altbekanntes Schema zurück. "Natürlich kann man sich über meinen Box-Stil beschweren", sagte Klitschko vor kurzem gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". "Ich denke aber: Safety first. Ich möchte nicht getroffen werden."
Ein Stil, der die Amerikaner nicht fasziniert. Der sie nicht mitreißt. Dass man den Eindruck gewinnen konnte, als wäre der Kampf um die Krone im Schwergewicht sowieso nur ein kleiner Appetithappen, tat sein Übriges dazu.
Der Hauptgang wird erst am kommenden Wochenende serviert. Oder wie es "ESPN"-Analyst Dan Rafael, der im Garden vor Ort war, bei Twitter zusammenfasste: "Die häufigste Frage, die hier gestellt wird: Wann reist du nach Las Vegas?"
Mayweather vs. Pacquiao
Das Duell zwischen Floyd Mayweather und Manny Pacquiao war auch in den Tagen von New York das Gesprächsthema schlechthin. Selbst Klitschko musste einige Fragen zum Kampf des Jahrhunderts beantworten - und dabei gute Miene zum bösen Spiel machen: "Ich freue mich, dass so ein Event mit so viel Aufmerksamkeit und so viel Geld im Boxsport passiert."
Ein Vergleich beider Kämpfe mag auf den ersten Blick unfair sein. Immerhin ist der Hype um den Fight in Las Vegas jenseits aller Vorstellungskraft. Und doch symbolisieren die nackten Fakten nun mal gut, in welcher Liga Klitschko in den USA spielt.
Der 39-Jährige kassiert für den Fight gegen Jennings sieben Millionen Euro brutto. Am 2. Mai geht es um mindestens 300 Millionen Dollar. Auf der einen Seite kosten Tickets zwischen 100 und 1000 Dollar, auf der anderen gibt es die billigste Karte erst ab 1500 Dollar.
Pacman geht auf Mayweather los
Den einen Fight gibt's im Free-TV zu sehen. Für Mayweather vs. Pacquiao müssen die Amerikaner satte 99,95 Dollar berappen, auch wenn Klitschko-Manager Bernd Bönte anmerkte: "Wladimir können 60 Millionen HBO-Abonnenten regulär sehen. Außerdem wird der Kampf in 150 Ländern gezeigt. Beim Mayweather-Kampf geht man von drei Millionen Pay-per-View-Kunden aus."
Erst Fury, dann Wilder?
Klitschko selbst wird sich den Mega-Fight übrigens am TV anschauen - und danach wohl wieder auf bekanntes Terrain zurückkehren. Als nächstes dürfte ein Aufeinandertreffen mit WBO-Pflichtherausforderer Tyson Fury anstehen, das vor allem auf der Insel auf großes Interesse stoßen wird. "Ich kenne das Ranking nicht genau, aber er ist glaube ich mein nächster Pflichtherausforderer", so der Ukrainer.
Erst danach gibt es wohl Klitschkos nächsten Versuch auf dem amerikanischen Markt - mit einem Duell gegen Deontay Wilder. "Ich wusste, dass Wladimir siegt. Aber Jennings war gut vorbereitet, hat gut ausgependelt, eine gute Beinarbeit. Jetzt will jeder Klitschko gegen Wilder sehen", so der WBC-Champion gegenüber "RTL".
Der Bronze Bomber hält den letzten Gürtel, der Klitschko im Schwergewicht fehlt. Ein Traum, den Klitschko schon lange im Kopf hat. Und der wohl eher in Erfüllung gehen wird als manch anderer im Land der (un)begrenzten Möglichkeiten...