Zirkusfreak auf Yeti-Jagd

Von Roman Ahrens
Nikolai Valuev kassierte im Laufe seiner Profikarriere nur zwei Niederlagen
© getty

Er war eine der imposantesten Erscheinungen der Boxgeschichte, schickte seine Gegner reihenweise vorzeitig auf die Bretter, ehe David Haye ihm den Garaus machte: Nikolai Valuev. Nach der Karriere ist es in Deutschland ruhig um den Russian Giant geworden. Dabei wandelt der 42-Jährige längst auf spannenden Spuren.

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Ein einziger Stuhl in der Duma, der russischen Volkskammer, ist eine Spezialanfertigung. Sein Rücken ist deutlich höher gebaut als der der restlichen Abgeordneten in der wenig prunkvollen Volksvertretung. Er gehört Nikolai Valuev, dem größten und schwersten Box-Weltmeister der Geschichte. So, wie man sich hier auf den 2,13-Mann einstellt, mussten es jahrelang auch seine Gegner im Ring tun.

Allein, es gelang den wenigsten. In den 18 Jahren und 53 Kämpfen seiner Profikarriere durfte The Russian Giant - der Name The Beast from the East sagte ihm aus naheliegenden Gründen weniger zu - nur zweimal seine Faust am Ende nicht in die Höhe recken. 34 Mal schickte er seinen Kontrahenten vorzeitig auf die Bretter.

Sein großer Vorteil war dabei natürlich seine extreme Größe und damit einhergehende Reichweite von 2,16 Metern. Auch der Jab des Russen war bei seinen Gegnern gefürchtet, sogar David Haye gab seinen Respekt vor Valuevs Punch zu.

Besser spät als nie

Geboren 1973 im russischen Leningrad nutzte Valuev seinen unfassbaren Körper zunächst als Diskuswerfer und Basketballspieler. Mit 20 Jahren aber zog er aus, um die Boxringe der Welt zu erobern. Innerhalb von nur sechs Monaten wurde er zum Profi.

Sein früherer Trainer Vladimir Grachev sagte einmal, eine Person mit einer derartigen Physis erlebe man "nur einmal in 100 Jahren". Dass neben ihm sämtliche Schwergewichtsgegner, mithin nicht gerade als klein und schmächtig bekannt, optisch zu Zwergen mutierten, ist allerdings einer Krankheit geschuldet.

Maßen die Eltern Valuevs nur rund 1,70 Meter, war die Ausschüttung von Wachstumshormonen bei Valuev aufgrund einer Dysfunktion der Hirnanhangsdrüse keinerlei Regulation unterworfen. So brachte er es schon mit zwölf Jahren auf 1,96 Meter, sein Kampfgewicht betrug zu Höchstzeiten 146 Kilogramm.

Der Zirkusfreak verliert

2005 war Valuev nach einem umstrittenen Punktsieg gegen den Amerikaner John Ruiz auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Das einzige Problem nach dem Sieg gegen den Don-King-Zögling: Der WBA-Gürtel im Schwergewicht musste extra für Valuev vergrößert werden. Nach 14 ungeschlagenen Jahren im Ring musste er sich 2007 erstmals dem Usbeken Ruslan Chagaev nach Punkten geschlagen geben.

Nachfolgend erboxte sich der Russe eine erneute WM-Chance. Vor dem Kampf im November 2009 gegen den Hayemaker gab es eine Extraportion des für David Haye so typischen Trashtalks. Der Brite beschimpfte seinen Gegner als Zirkusfreak und "das hässlichste Ding, das ich je gesehen habe". Valuev ließ sich nicht provozieren, verlor den Interims-Gürtel aber an Haye - es sollte sein letzter Kampf gewesen sein.

Schon vor dem Auslaufen seines Vertrags bei Sauerland Promotions machte Valuev klar, dass er im Falle eines Wahlerfolgs als Abgeordneter keine Zeit mehr für Profisport haben werde.

Harte Schale, weicher Kern

Wofür er aber wieder Zeit hat, das sind seine Hobbys. Es klingt nach einem Vorurteil, aber wer Valuev sieht, käme wahrscheinlich nicht als erstes auf den Gedanken, dass der Russe ein Faible für die großen Literaten wie Lew Tolstoi und klassische Musik hat. Auch die Gedichte an seine Frau Galina sind ein Kontrast zur Physiognomie des Russen, der recht passabel Deutsch spricht.

"Jede Person ist so viel mehr als die Menschen auf den ersten Blick sehen. Ich finde, eine Person sollte sich für seine Umgebung und die Menschen um ihn herum interessieren, denn der Mensch ist kein Tier", sagte Valuev auf seine für einen Sportler ungewöhnlichen Interessen angesprochen.

Wenn es um seine Familie geht, versteht Valuev allerdings keinen Spaß. 2006 griff der Russe einen Parkplatzwächter an, der vorher seine Frau Galina wegen Falschparkens am Spartak Eispalast beleidigt haben soll. Seine Frau rief ihren Mann zu Hilfe, der sofort herbeieilte.

Die Darstellungen über den Angriff gingen allerdings auseinander. Die Gesichtsverletzungen des 61-Jährigen, so behauptete Valuev, habe dieser erlitten, nachdem er gestürzt sei. Er habe den Mann lediglich am Kragen gepackt und weggeschoben. "Ich bereue das zutiefst, aber ich habe reagiert wie jeder Mann reagieren würde, ganz gleich ob Weltmeister oder einfacher Handwerker."

Vom Ring auf den Stuhl

Seit 2011 vertritt er als Mitglied der Regierungspartei Vereintes Russland tatsächlich die Region Kemerovo in Sibirien, wo auf einer Fläche etwas größer als Österreich 2,8 Millionen Menschen leben. In seiner neuen Rolle profitiert er nicht unerheblich von seiner sportlichen Vergangenheit. "Durch den Sport weiß ich genau, was ich will und wie ich es erreichen kann", sagt Valuev.

Natürlich spiele auch seine Popularität eine Rolle. "Die Leute kennen mich, sie wissen, was ich getan habe. Sie vertrauen mir". Wo er kann, hilft er den Leuten auch mal aus eigener Tasche.

Sein selbst erklärtes Steckenpferd ist aber der Sport- und Sozialbereich für Kinder- und Jugendliche. Außerdem hat er sich als Ziel gesetzt, russische Sportler zu noch mehr Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zu verhelfen - ein heikles Thema in Zeiten schwerer Dopingvorwürfe in Richtung des Riesenreiches im Osten.

Die russische Seele

Auch seine Aussagen über die russische Politik im Allgemeinen mögen für manch westliches Ohr heikel klingen. Es sei "fatal, Russland mit Rest-Europa zu vergleichen. Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge, so wie Feuer und Wasser", sagte Valuev einst.

Schließlich sei der Russe ein ganz anderer Mensch, er sehne sich regelrecht nach "einer starken Führerfigur", befand der selbst erklärte Putin-Bewunderer und empfahl, demokratische Strukturen nur peu a peu zu etablieren.

Auf Jagd nach dem Yeti

Neben der Politik hat Valuev noch ein zweites Herzensthema: den sagenumwobenen Yeti. Um das Schneemonster zu finden, begab er sich sogar schon auf eine mehrtägige Expedition - wenig überraschend war diese nicht von Erfolg gekrömt. Die Existenz des Yetis wäre für den sanften Riesen aber "keine Überraschung".

Seine Hoffnung stützt sich dabei auch auf die Regionalverwaltung von Sibirien, die zu 95 Prozent davon ausgeht, dass der Yeti in der dortigen Region lebt. Natürlich blieben auch die Scherze auf Valuevs Kosten nicht aus. Meist basierten sie auf der nicht unerheblichen Körperbehaarung des Russen. Mal hieß es, er sei auf der Suche nach einem weiblichen Yeti als Partnerin, mal der Yeti sei eigentlich Valuev selbst, der sich beim Skifahren verirrt habe.

Der russische Gigant aber nahm alle billigen Scherze locker hin und bewies damit vielleicht das, was einem nicht angeboren ist: wahre Größe.

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