Außerdem erzählt die 21-Jährige von Anfeindungen und ihrem Kampf für Toleranz, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung.
Was bedeutet Berlin-Kreuzberg für Sie?
Zeina Nassar: Sehr viel. Da kann ich der sein, der ich sein möchte, da bin ich aufgewachsen und habe ich mir alles aufgebaut. Ich finde es schön, dass man in Kreuzberg so bunt sein kann und dass es egal ist, woher man kommt. Ich war nach der Schule stundenlang im Park und habe viele Sportarten ausprobiert, lange Basketball und Fußball gespielt. Einfach alles mal ausprobiert und sich auch behaupten müssen. Für die älteren Jungs war ich später "Junior Ronaldinho", weil ich ganz gut im Fußball war. Das hat mir gezeigt, dass ich alles dafür tun muss, wenn ich etwas bekommen will. Das hat auch in gewisser Weise abgehärtet und seitdem nehme ich mir das, was ich will. Dafür war Kreuzberg genau der richtige Ort.
Wie sind Sie dann zum Boxen gekommen?
Nassar: Ich war schon immer sportbegeistert und habe irgendwann Videos von boxenden Frauen gesehen. Das hat mich total fasziniert und inspiriert. Ich bin dann zum Probetraining gegangen und von da an war klar: Das ist das, was ich brauche. Damals war ich 13.
Wie haben Ihre Eltern reagiert?
Nassar: Die waren geschockt. Aber sie wussten auch, dass ich das machen werde, worauf ich Lust habe. Ich habe ihnen dann regelrechte Vorträge gehalten, wie gut Boxen auch für die Entwicklung sei und dass davon auch meine schulischen Leistungen profitieren könnten. Mir war wichtig ihnen zu zeigen, worum es wirklich im Boxen geht. Dass das kein Prügeln ist, sondern ein sehr kontrollierter Sport ist. Sie stehen längst voll hinter dem, was ich mache und unterstützen mich dabei.
Zeina Nassar: "Mein Vater findet es cool"
Wie denken Ihre Eltern mittlerweile übers Boxen?
Nassar: Jetzt sind sie super stolz auf mich. Meine Mutter kann die Kämpfe leider immer noch nicht sehen, sie findet das weiterhin viel zu gefährlich. Ein Schlag in mein Gesicht fühlt sich für sie immer noch an wie ein Schlag in ihr Herz. Aber mein Vater findet es cool. Wir analysieren die Kämpfe auch gemeinsam.
Beim Boxen spielt sich sehr viel im Kopf ab. Sind Sie körperlich oder mental stärker?
Nassar: Sowohl als auch. Die Taktik ist sehr wichtig. Dafür habe ich meine Emotionen sehr unter Kontrolle. Das ist wichtig im Boxen! Sich schnell auf neue Gegebenheiten einstellen, Dinge abspeichern und ändern, einfach schnell und präzise zu reagieren: Das erfordert der Kampf.
Sie sind nicht nur im Ring aktiv, sondern auch auf der Bühne. Wie sind Sie zum Theater gekommen?
Nassar: Ich habe in der Oberschule schon Theater gespielt und wurde dann von der Regisseurin angesprochen, ob ich nicht auch mal in einem professionellen Stück mitspielen wollte. Da habe ich gemerkt, dass das eine Leidenschaft von mir ist. Ich finde es spannend, jemand sein zu können, ohne ich selbst zu sein.
Gibt es Parallelen zwischen Theater und Boxen?
Nassar: Durchaus. Ich stelle mir immer vor, dass das jetzt meine Show ist - egal ob auf der Bühne oder im Ring. Die Leute sind wegen mir da, also zeige ich ihnen, was ich drauf habe. Ich stelle mich aber erst dann auf die Bühne oder in den Ring, wenn ich weiß, dass ich gut in dem bin, was ich da mache.
Zaina Nassar: "Leistungssport ist immer ein Risiko verbunden"
So ganz nebenbei studieren Sie auch. War ein Studium immer wichtig für Sie?
Nassar: Ja. Meine Eltern haben sich das immer gewünscht. Ich interessiere mich aber auch für bestimmte Dinge und möchte mich da weiterbilden. Deshalb habe ich mich entschieden, zu studieren. Es war wichtig, dass es etwas ist, das mich total interessiert - damit ich auch mit Leidenschaft dabei sein kann.
Es gab nie den Gedanken, alles auf die Karte Boxen zu setzen?
Nassar: Leistungssport ist immer ein Risiko und mit viel Druck verbunden. Sich nur darauf zu konzentrieren, finde ich schwierig. Ich finde das super: Im Sport kann ich mich auspowern, zum Ausgleich gehe ich zur Uni. Aber der Sport genießt höchste Priorität.
Können Sie sich vorstellen, später auch im Bereich Soziologie zu arbeiten?
Nassar: Das ist ein weites Feld, ich weiß es nicht. Ich probiere gerne Sachen aus, bin offen. Das Wichtigste ist, immer selbstständige Entscheidungen zu treffen.
Zeina Nassar über die Mehrfachbelastung
Wie reagieren Ihre Kommilitonen auf Sie?
Nassar: Viele sind neugierig, kommen auf mich zu und sprechen mich an. Auch einige Dozenten oder Professoren tun das. Das finde ich schön, dass sie sich für mich und das was ich tue interessieren.
Sind Sie vor Prüfungen aufgeregt?
Nassar: Der Schlüssel ist die Vorbereitung. Wenn ich gut vorbereitet bin, dann kann ich gar nicht aufgeregt sein. Kurz vor einem Kampf oder einer Prüfung bin ich einen Moment aufgeregt, vom Tapen der Boxhandschuhe über den Weg zum Ring etwa. Aber wenn ich dann oben stehe, bin ich total fokussiert und blende alles andere aus. Im Großen und Ganzen bin ich wohl doch relativ entspannt.
Ist die Mehrfachbelastung nicht sehr kräftezehrend?
Nassar: Durch den Sport sammele ich immer wieder neue Energie und fühle mich danach besser, stärker und frei. Ich mache das, was ich liebe. Für mich ist es keine Arbeit im herkömmlichen Sinn, sondern es sind meine Leidenschaften.