The Landing Scotsman

Gary Anderson krönte sich gegen Phil Taylor erstmals zum Weltmeister
© getty

In einem irren Finale gegen Phil Taylor krönt sich Gary Anderson erstmals zum Weltmeister. Der Jubel des Flying Scotsman fällt verhalten aus, er kann es alles noch gar nicht fassen. Auch die Enttäuschung von The Power hält sich in Grenzen. Lediglich grausame Fehler auf die Doppelfelder nerven den Rekordchampion.

Cookie-Einstellungen

Matchdarts auf die Doppel-12? Treffer! Die schottischen Fans im mit 3000 Zuschauern ausverkauften Alexandra Palace flippten aus, bei Andersons Frau Rachel kullerten die Freudentränen über die Wangen.

Und wie reagierte der Flying Scotsman? In etwa so, als habe er gerade ein x-beliebiges Wald- und Wiesen-Turnier im Hinterzimmer einer britischen Vorstadtkneipe gewonnen. Der 44-Jährige drehte sich zum Publikum um, streckte verhalten, geradezu cool die Hände nach oben und genehmigte sich erst einmal einen großen Schluck Wasser.

So feiert also ein Weltmeister. Einer, der eben in einem der besten und dramatischsten Finals der WM-Geschichte Phil Taylor mit 7:6 bezwungen hat. Einer, der zuvor im Halbfinale Titelverteidiger Michael van Gerwen ausgeschaltet hatte. Einer, der sich in den elitären Kreis der PDC-Champions Taylor, van Gerwen, Dennis Priestley, Raymond van Barneveld, John Part und Adrian Lewis katapultierte. Einer, der mal eben um rund 320.000 Euro reicher geworden ist.

Die legendärsten WM-Finals aller Zeiten: Circus HalliGalli

Andersons Weg aus der Lebenskrise

"Es wird wohl eine Weile dauern, um das alles zu begreifen. Das muss ich erst mal sacken lassen", sagte Anderson, nachdem er Minuten später die nach einem legendären Fernsehkommentator ("The Voice of Darts") benannte Sid-Waddell-Trophy entgegen genommen hatte.

Vielleicht dachte er einfach nur an die vergangenen Jahre, an den steinigen Weg, den er meistern musste, um endlich auf den Thron zu gelangen. 2011 hatte Anderson schon einmal das WM-Finale erreicht, damals unterlag er Jackpot Lewis.

In der Zeit danach starben Andersons Bruder und sein Vater, der Flying Scotsman fiel in ein Loch und verlor die Lust daran, mit Pfeilen auf eine Scheibe zu werfen. Er rutsche in der Weltrangliste immer weiter ab. Es dauerte seine Zeit, bis das Feuer wieder entfacht wurde.

Nun stand er im Ally Pally im Konfettiregen. Er sagte kaum etwas - da schnappte sich Taylor das Mikrofon. "Gary hat es gut gemacht, er ist ein hervorragender Spieler und er hat es verdient. Einfach großartig", meinte The Power. Erst jetzt, nachdem der Godfather of Darts seine Glückwünsche ausgesprochen hatte, zeigte Anderson eine emotionalere Regung. Seine Augen wurden glasig.

Eine absolute Weltklasse-Vorstellung

Auf eine Stufe mit Taylor wollte sich der in den Scottish Borders geborene Anderson allerdings nicht stellen lassen. Es war ihm wichtig, das klarzustellen. "Phil ist der Beste und er wird immer der Beste bleiben. Das wird auch in 100 Jahren noch so sein", erklärte die Nummer drei der Welt.

Sympathisch bodenständig, dieser Gary Anderson. Aber Ehre, wem Ehre gebührt. Der Premier-League-Darts-Champion von 2011 zeigte während der gesamten WM, speziell aber im Finale, eine absolute Weltklasse-Vorstellung.

Andersons erster WM-Titel im RE-LIVE

19 Mal die 180 (insgesamt 64 180er, was ein neuer WM-Rekord bedeutet), gut auf die Doppelfelder (39,39 Prozent) und durch nichts aus der Bahn zu werfen. Mit 3:1-Sätzen lag Anderson vorne, ehe Taylor mit einem 9:1-Legs-Lauf das Match drehte.

Völlig verrückter neunter Satz

Im achten Satz hatte Taylor (Average 100,69) die große Chance, auf 5:3 zu stellen. Es wäre womöglich die Entscheidung gewesen. Doch der Engländer verpasste drei Darts in Folge auf die Doppel-12, Anderson bestrafte diese Nachlässigkeit eiskalt und glich aus.

Noch verrückter wurde es im neunten Durchgang. Anderson (Average 97,68) eröffnete und feuerte mit seinem dritten Versuch alle seine Pfeile aus der Scheibe - No-Score. Anschließend wurde der Schotte durch zwei Pfiffe eines Zuschauers aus dem Konzept gebracht, Taylor führte mit 2:0-Legs. Mit einer unfassbaren Nervenstärke schlug Anderson zurück und holte sich den Satz noch.

Er erhöhte auf 6:4 und gab beim Gang von der Bühne in die Pause seiner Frau das klare Zeichen, dass er es nun zu Ende bringen werde. Entschlossenheit pur! Es kam anders: Taylor hatte die passende Antwort und kämpfte sich erneut zurück. 6:6 - erstmals seit 2007 ging wieder ein WM-Finale in den alles entscheidenden 13. Satz.

"Als Phil zurückkam und die beiden Sätze zum 6:6 gewann, dachte ich, dass es das war. Er hat hier schon so oft gespielt und weiß, wie man mit solchen Situationen umgeht. Aber ich bin stark rausgekommen", sagte Anderson: "Phil und ich haben uns in den letzten Jahren immer wieder duelliert. Er hat viel gewonnen, aber heute war es mein Sieg." Mit 3:0 machte er alles klar.

Taylors grausame Doppelquote

Andersons Jubel fiel wie beschrieben verhalten aus. Auch Taylors Enttäuschung hielt sich in Grenzen. Bei der 22. PDC-WM stand der 54-Jährige zum 18. Mal im Finale. 14 Mal schnappte er sich dabei den Titel. Taylor hat allen bewiesen, dass er noch immer das Zeug hat, den 17. Streich zu schaffen. Auch wenn es in Zukunft aufgrund seines Alters und der immer stärker werdenden Konkurrenz nicht einfacher werden dürfte.

"Ich bin zufrieden, dass ich das Finale erreicht habe. Ich habe eine gute WM gespielt", so Taylor. Gegen Anderson nutzte die Nummer zwei der Welt nur die Möglichkeiten nicht konsequent aus.

Die Doppelquote von 32,93 Prozent ist für einen Spieler vom Kaliber Taylors äußerst mäßig. "Die Fehler auf die Doppel-8 und Doppel-16 waren das größte Problem", analysierte The Power: "Um ehrlich zu sein: Es war teilweise grausam." Kurioserweise wurde so ausgerechnet Andersons altes Problem, die Würfe auf die Doppelfelder, zu Taylors Schwäche.

Teilnehmerfeld für Premier League steht fest

WM nicht mehr im Ally Pally?

Werden wir Taylor, der für seinen zweiten Rang immerhin noch gut 150.000 Euro kassierte, noch einmal in einem WM-Finale sehen? Auszuschließen ist das nicht. Genauso wenig wie die Möglichkeit, dass es eines der letzten WM-Finals im Ally Pally überhaupt war.

PDC-Boss Barry Hearn bestätigte nämlich Überlegungen, in Zukunft in eine größere Halle zu wechseln, um dem steigenden Zuspruch der Zuschauer gerecht zu werden. Allerdings ist sich Hearn der Bedeutung des Ally Pally für den Dartssport bewusst. Mit dem Finale zwischen Anderson und Taylor kam ein legendäres Kapitel hinzu.

Wer übrigens dachte, der Flying Scotsman würde wenigstens im Nachhinein die Puppen tanzen lassen, täuschte sich gewaltig. "Viel gefeiert wird nicht. Ich werde jetzt meinen Kaffee trinken und dann schnell nach Hause. Schließlich will ich zu meinem kleinen Jungen, den habe ich seit Weihnachten nicht mehr gesehen", sagte Anderson bei "Sport1".

Artikel und Videos zum Thema