"Musste siegen, um Windeln zu zahlen"

Adrian Fink
03. Februar 201617:03
Gary Anderson gewann 2015 und 2016 die WMgetty
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Gary Anderson hat einen steilen Aufstieg hinter sich. Nach dem enttäuschenden WM-Finale 2011 gegen Adrian Lewis verlor der Schotte die Lust am Pfeile werfen und wurde von der PDC sogar für drei Turniere gesperrt. Ein Karriere-Ende schien möglich, doch Zuwachs in der Familie lotste The Flying Scotsman wieder auf die Bühne - und wie: Der 45-Jährige ist nicht nur Weltmeister, sondern auch Titelverteidiger der Premier League. Vor dem ersten Spieltag spricht Anderson im Interview über den Weg aus der Krise, seine Dominanz im Ally Pally und Max Hopp.

SPOX: Herr Anderson, Ihre Dominanz bei der Weltmeisterschaft war beeindruckend. Insgesamt haben Sie im Turnier nur sieben Sätze abgegeben. Ging es Ihnen so leicht von der Hand, wie es nach außen aussah?

Gary Anderson: Ja, natürlich. (lacht) Nein, ganz im Ernst: Wenn man einen Lauf hat, sieht es vielleicht einfach aus, aber man muss die Konzentration zu jedem Zeitpunkt hoch halten. Sonst ist man ganz schnell weg. Zum Glück ist mir das gelungen.

SPOX: Vor der WM 2015 hatten die meisten Experten mit einem Zweikampf zwischen Michael van Gerwen und Phil Taylor gerechnet. Doch am Ende stemmten Sie die Sid Waddell Trophy in die Luft. War ihr erster WM-Sieg Ihr endgültiger Durchbruch?

Anderson: Man sollte sich nie auf die Favoritenrolle verlassen. Obwohl es natürlich ein riesiger Erfolg für mich war, würde ich nicht behaupten, dass es mein Durchbruch war. Ich glaube eher, dass der Triumph bei der Players Championship kurz zuvor für den weiteren Verlauf meiner Karriere entscheidend war.

SPOX: Aber besonders nach der WM ist die Aufmerksamkeit gestiegen. Hat sich Ihr Leben durch den Gewinn der wichtigsten Darts-Trophäe geändert?

Anderson: Naja, weder beruflich noch privat haben sich grundlegende Dinge geändert. Aber eins war schon auffällig: Plötzlich war ich gefragter und musste deutlich mehr Interviews geben. (lacht)

SPOX: Während bei Ihnen die Karriere steil nach oben geht, hat Phil Taylor so seine Probleme. Besonders im letzten Jahr fand The Power nicht wirklich in die Spur.

Anderson: Phil hatte ein schlechtes Jahr. Trotzdem sollte man das nicht überbewerten, denn das kann schon mal passieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass er mit seiner Erfahrung schon bald wieder zu seiner Top-Form finden wird.

SPOX: In Top-Form war im letzten Jahr Michael van Gerwen - bis zur WM. Wie sehen Sie seine Entwicklung?

Anderson: Er hatte wirklich ein tolles Jahr hinter sich, aber auch er kann nun mal nicht alle Turniere gewinnen. Michael hat nach der WM gesagt, dass er alle Erfolge für die WM-Trophäe hergegeben hätte, weil das sein großes Ziel ist. Und das zu Recht: Die Stimmung im Ally Pally ist einfach fantastisch. Man kann sie kaum in Worte fassen - das muss man einfach erlebt haben. Nächstes Jahr muss ich "nur" dafür sorgen, dass mir die Sid Waddell Trophy immer noch gehört.

SPOX: Auch Max Hopp hat die unfassbare Stimmung im Dezember miterlebt. In einer deutschen TV-Show sagte er, dass er in den nächsten fünf Jahren die Top Ten erreichen will. Ist das realistisch?

Anderson: Ja, die Top Ten sind für Max absolut machbar. Er ist ein wirklich talentierter Spieler, aber er muss dran bleiben, denn der Konkurrenzkampf ist groß: Es gibt viele junge Spieler, die das Zeug haben, große Darts-Spieler zu werden. Das Wichtigste für Max ist harte Arbeit und Entschlossenheit. Wenn er das an den Tag legt, kann er sein Ziel erreichen.

SPOX: Sie sprechen es an. Immer mehr junge Spieler wollen die großen Namen des Sports stürzen. Wie beurteilen Sie die Entwicklung von Darts?

Anderson: Es läuft wirklich sehr gut. Kinder haben schon im jungen Alter tolle Möglichkeiten, sich sportlich zu entwickeln. Deshalb ist das Niveau der Talente in den letzten Jahren unglaublich gestiegen. Darts hat gegenüber anderen Sportarten einen großen Vorteil: Es ist für jeden offen. Alles was du brauchst ist ein Board und Pfeile - und schon kann es losgehen.

SPOX: Sie selbst treiben diese Entwicklung voran und engagieren sich im Nachwuchsbereich. Was genau machen Sie?

Anderson: Wir haben vor ein paar Jahren in Glasgow die "Gary Anderson Darts Academy" gegründet und die Kinder lieben es. Dort können sie ihre Schulpausen verbringen und nach der Schule ihre Freizeit genießen. Der Sport hilft ihnen dabei, sich zu konzentrieren und alles um sich herum auszublenden, außerdem verbessern sie sich in Mathe. Ich weiß zwar nicht, ob wir dort den nächsten Gary Anderson oder MVG finden, aber den Kindern macht es Spaß und das ist ein schönes Gefühl.

SPOX: Sie persönlich haben mit Darts nicht nur Spaß, sondern vor allem großen Erfolg. Sie sind Back-to-Back-Weltmeister und Titelverteidiger der Premier League. Sie gehören auf jeden Fall zum engen Favoritenkreis der Premier League...

Anderson: ...neben Spielern wie van Gerwen, Taylor, Adrian Lewis und vielen anderen. Die Dichte in der Spitze ist mittlerweile enorm. Ich werde einfach auf die Bühne gehen und mein Bestes versuchen. Ich will immer alle meine Titel verteidigen und natürlich auch weitere Trophäen gewinnen, aber der Konkurrenzkampf ist sehr hart. Ich schätze, dass ich die Premier League bei einem von zehn Versuchen gewinne. Es ist schwierig, die Chancen selbst einzuordnen, aber eins kann ich versprechen: Ich werde 199 Prozent dafür geben, um dieses Turnier nach 2011 und 2015 zum dritten Mal zu gewinnen.

SPOX: Als Darts-Profi reist man von Turnier zu Turnier und ist deshalb auf die Unterstützung durch Sponsoren angewiesen. Verändert das den Druck als Spieler?

Anderson: Ich persönlich hatte eigentlich nie Probleme damit, Sponsoren zu finden. Mit Rix, Unicorn und Arthur McKay arbeite ich beispielsweise schon ein paar Jahre zusammen und erst kürzlich ist Car Finance 24-7 dazu gekommen. Es ist ein großartiges Gefühl, wenn ich ihr Vertrauen mit Erfolgen zurückzahlen kann. Aber besonders gerne gewinne ich für meine zahlreichen Fans, auf die ich sehr stolz bin. Meine Anhänger in ganz Europa und natürlich besonders in Schottland sind mir gegenüber loyal und haben mich zu jedem Zeitpunkt meiner Karriere unterstützt.

SPOX: Durch Ihre großen Erfolge steigt natürlich auch die Erwartungshaltung. Wie gehen Sie damit um?

Anderson: In meinem Umgang mit dem Druck hat sich im Vergleich zum Beginn meiner Karriere eigentlich nichts geändert. Ich sehe das ganz locker und spiele einfach Darts: Wenn ich gewinne, gewinne ich - wenn ich verliere, dann verliere ich halt. So funktioniert ein sportlicher Wettbewerb. Aber ich gewinne schon lieber. (lacht)

SPOX: In den letzten Jahren haben Sie viel gewonnen, aber zum Sport gehören auch Rückschläge. Sie mussten das 2012 erleben, als Sie für drei Turniere gesperrt wurden. Überhaupt fielen Ihre Leistungen nach privaten Schicksalsschlägen in dieser Zeit ab. Wie haben Sie sich aus dieser schwierigen Phase befreit?

Anderson: Ein wichtiger Faktor war, dass ich mit Rachel meinen dritten Sohn bekam. Durch die Geburt von Tai hat sich meine Sichtweise verändert. Plötzlich musste ich siegen, um die Windeln bezahlen zu können. Neben dem familiären Rückhalt hat es mir erleichtert, dass ich ein sehr gutes Team um mich herum hatte und immer noch habe, das mich immer unterstützt und Verständnis für mich aufbringt.

SPOX: Als einer der erfolgreichsten Darts-Spieler müssen Sie viele öffentliche Termine wahrnehmen und stehen im Fokus der Medien. Was machen Sie in Ihrer freien Zeit, um von diesem Rummel Abstand zu gewinnen?

Anderson: Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie - Rachel und den drei Jungs. Außerdem reise ich oft nach Schottland und besuche dort meine Mutter und meinen Bruder. Diese Zeit tut mir immer gut. Ab und zu muss man einfach seine Füße zu Hause hochlegen und im eigenen Bett schlafen.