Tomas 'Shorty' Seyler war lange Zeit der beste deutsche Darts-Spieler und hat in den letzten Jahren als Co-Kommentator einen Kultstatus erreicht. Vor seinem DAZN-Debüt bei den PDC Masters (ab Fr., 20 Uhr live auf DAZN) hat der 42-Jährige über seine flapsige Wortwahl, die Entwicklung in Deutschland und seine eigene Zukunft gesprochen.
SPOX: Herr Seyler, Sie spielen seit über 30 Jahren selbst Darts, kommentieren aber auch seit Jahren Darts und feiern beim Masters ihr Debüt bei DAZN. Sind Sie mehr Darts-Spieler oder Darts-Kommentator?
Tomas Seyler: Im Herzen bin ich Darts-Spieler und das werde ich auch immer bleiben. Allerdings ist das derzeit nicht auf dem höchsten Niveau realisierbar und deshalb bin ich wohl mehr Kommentator. Beides hat seine guten Seiten, wobei ich lieber auf der Bühne stehe.
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SPOX: Sie haben vor über fünf Jahren als TV-Experte angefangen. Wie kam es dazu?
Seyler: Elmar hat mich damals ans Mikrofon gezerrt. Ich habe das Spiel eines Freundes angeschaut, vor mich hin gebrabbelt und plötzlich stand Elmar neben mir. Er hat mir mit dem halben Ohr zugehört und mich gefragt, ob ich das nicht im TV versuchen will. Ich habe zugesagt und mir war von Anfang klar, dass ich eher in die Schiene Scholten gehen werde.
SPOX: Damit meinen Sie Ihre flapsige Wortwahl?
Seyler: Ich will nicht überernst kommentieren, ich bin locker und entspannt - und so kommentiere ich auch. Elmar hat mal zu mir gesagt, dass wir jetzt spontan eine Zuschaueransage per Video machen. Seine Einleitung war: 'Da ist ein Pärchen, das heiraten will. Was sagst du dazu?' Aus dem Impuls heraus habe ich geschrien: 'Lauf weg!' In der Situation war es total lustig, aber hätten wir es davor durchgesprochen, wäre nur Müll herausgekommen. Diese Impulsivität ist mein Markenzeichen: Ich rassele die Sätze teilweise so schnell herunter, dass ich mich selbst überhole.
SPOX: Diese Art stößt nicht nur auf Gegenliebe. Der ARD-Reporter Christian Dexner wurde am Rande der WM 2015 bei Twitter ausfallend. Wie gehen Sie mit solchen Vorfällen um?
Seyler: Ich mache einen Luftsprung mit Salto. Ernsthaft: Wenn jemand mit einer eigenen Lobby meinen Namen twittert, ist das beste Werbung. Das bedeutet doch, dass er selbst eine Leidenschaft für Darts hat und genervt war, dass ich mehr Emotionen gezeigt habe als er. Da wollen doch auch die ARD-Zuschauer wissen, warum sich ihr Sportreporter aufregt. Zack, schon schauen sie Darts. Solange er nicht meine Familie beleidigt, gibt mir das eher noch einen Kick. Zumal er sich danach noch entschuldigt hat. Ich bekomme mehrheitlich positives Feedback und die Stimmen gegen mich werden leiser.
SPOX: Wie ist das bei den Spielern? Nehmen sie die Kritik eines Kollegen auch mal übel?
Seyler: Wir sind eine große Community, aber vor dem Mikro bin ich in einer anderen Welt. Da geht es nicht um mein eigenes Können, sondern um meine Expertise und Erfahrung nach 33 Jahren Darts. Ich bin authentisch und muss als Kommentator die Qualität einschätzen und gegebenenfalls Kritik üben. Und wenn ein fünfmaliger Weltmeister bei einem Double-in-Double-out-Modus 18 Darts braucht, um anfangen zu dürfen, ist er an diesem Tag keine Gefahr. Punkt.
SPOX: Ist es schwierig, die richtige Balance zu finden?
Seyler: Ich lehne mich nie zu weit aus dem Fenster oder vernichte einen Spieler verbal. Aber ja, teilweise ist es ein Drahtseilakt. Wir fiebern ja auch mit deutschen Spielern mit und wollen sie in die nächste Runde kommentieren. Gleichzeitig dürfen wird aber auch nicht nur durch die schwarz-rot-goldene Brille linsen. Es gibt genug unsachliche Leute.
SPOX: Auf wen spielen Sie an?
Seyler: Es gibt wahre Ultras in der Darts-Szene. Sie dreschen verbal auf alles ein - egal, ob sie eine Ahnung haben oder nicht. Die Darts-Ultras hassen dich, wenn du ihren Favoriten kritisierst. Viele frischere Fans kennen mich eh nur als Kommentator und so lange sie sachlich sind, ist das auch okay.
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SPOX: Können Sie davon leben, Darts zu kommentieren?
Seyler: Nein, das mache ich aus purem Enthusiasmus. Da ich meinen Lebensunterhalt nicht von sportlichen Erfolgen abhängig machen will, fange ich demnächst bei der Radikal Darts Turnier Organisation (RDTO) an. Wir wollen Schulen ins Boot ziehen und den Sport mit Vorträgen noch populärer machen. Außerdem wollen wir in Vereinen eine Darts-Abteilung etablieren. Darts kann die zweite Sportart in Deutschland werden und prominente Fans wie die Kroos-Brüder helfen dabei, aber wir haben im Nachwuchsbereich Aufholbedarf. Irgendwo muss es noch mehr Talente wie Max Hopp geben, die Frage lautet also: Wo versteckt sich der Boris Becker des Darts?
SPOX: Das sind ambitionierte Ziele. Welchen Anteil hat Elmar Paulke an der Entwicklung in Deutschland?
Seyler: Phil Taylor hat den Stein ins Rollen gebracht. Elmar hat den Stein aufgehoben und mit seiner Leidenschaft den Sport immer weiter angetrieben. Er hat unter anderem mit Roland Scholten einen sympathischen Weg gefunden, Darts populär zu machen. Oder wer kennt nicht den Ausspruch ‚Elmar, haben wir noch Fragen'? Danach war ich an der Reihe und scheinbar machen wir als Team auch nicht alles falsch, immerhin veranstalten wir den Spaß mittlerweile seit fünf Jahren. Unabhängig von den verantwortlichen Personen ist es unglaublich, welchen Sprung Darts gemacht hat.
SPOX: Absolut, die Zuschauerzahlen werden immer größer, die Preisgelder steigen stetig. Michael van Gerwen etwa hat in den letzten zwei Jahren über 1,8 Millionen Pfund eingespielt. Wird er seinen Durchmarsch 2017 fortsetzen?
Seyler: Van Gerwens letzte Auftritte waren nochmal beeindruckender als die Siege zuvor, für ihn ist die Bühne eine Gelddruckmaschine. Aber: Bei van Gerwen ist noch Luft nach oben. Wenn ihm sein Gegner Feuer macht, wird er antworten und noch bessere Leistungen zeigen als bisher.
SPOX: Van Gerwen hat sich zuletzt - wie auch Max Hopp - dafür ausgesprochen, Darts olympisch zu machen. Was halten Sie von dieser Idee?
Seyler: Was Dopingproben angeht, befindet sich Darts schon auf olympischem Niveau. (lacht) Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob Olympia jetzt der richtige Schritt wäre. Jedes Jahr gibt es mehr Turniere und wir nähern uns langsam der Belastbarkeitsgrenze der Spieler. Snooker muss uns als abschreckendes Beispiel dienen. Da wurde auch immer nur nach mehr gestrebt. Man muss auf die Stimmen der Big Boys warten. Wenn sie sagen, dass es zu viel wird, muss man darauf hören. Da ich bei den meisten Turnieren nicht dabei bin, kann ich das nur aus der Ferne beurteilen.
SPOX: Wie sehen Ihre persönlichen Planungen denn aus? Starten Sie nochmal einen großen Angriff?
Seyler: Auf jeden Fall! Ihr seht mich nochmal bei der WM! Ich weiß, dass ich Darts spielen kann. Leider funktioniert es bei mir derzeit im Kopf nicht wirklich. Deshalb bin ich nächste Woche bei einem Mentaltrainer und dann heißt es: volle Attacke auf die European Tour.
SPOX: Waren Sie deshalb auch am Wochenende nicht bei der PDC Qualifying School?
Seyler: Genau, ich habe mich bewusst zurückgenommen. Solche Reisen kosten sehr viel Geld und ich habe mittlerweile genug Geld verbrannt. Die Flüge, die Unterkünfte, die Teilnahme - das tut dem Geldbeutel weh. Alles, was ich bislang verdient habe, habe ich in den Sport gepumpt und konnte so - auch dank der Unterstützung meiner Lebenspartnerin - meinem Enthusiasmus nachgehen. Aber bevor das ein großes Minusgeschäft wird, muss ich aufhören, gegen die Wand zu rennen. Deshalb brauche ich das Mentaltraining. Ich arbeite hart daran, dass ich 2017 zurückkomme.
SPOX: Wie sieht das im Alltag aus? Wie viel trainieren Sie derzeit und hat sich das Ausmaß im Laufe Ihrer Karriere verändert?
Seyler: Das hat stark variiert. Ich habe mit neun Jahren angefangen und hatte mit zwölf Jahren eine Wachstumsfugen-Operation, weshalb ich zweieinhalb Jahre auf Krücken laufen musste. In dieser Zeit habe ich jeden Tag sechs bis sieben Stunden gespielt. Danach habe ich teilweise nur eine halbe Stunde täglich trainiert, dafür aber in Vereinen gespielt und mit Mitte 20 war ich die Nummer eins in Deutschland. Daraufhin habe ich mein Training intensiviert. Mittlerweile trainiere ich rund zwei bis drei Stunden, wobei ich auch nach zwei Minuten aufhöre, wenn nichts geht. Ich will ja keine Fehler trainieren.
SPOX: Sie sind mehrfacher Deutscher Meister, haben zusammen mit Andree Welge mit den Dutch Open das damals größte Doppel-Turnier gewonnen und bei der WM die erste Runde überstanden. Was war Ihr persönliches Highlight?
Seyler: Es waren viele tolle Momente dabei und ich bin noch nicht unhungrig. Die größte Erfahrung war wohl mein Match gegen Jamie Harvey in der Circus Tavern. Mein sportlicher Höhepunkt kam leider zu früh, heute bekäme ich mehr Geld. (lacht) Aber da spricht weniger der Neid aus mir, als die Freude darüber, dass sich Darts hervorragend entwickelt hat und ein Max Hopp lukrative Sponsoren findet.
SPOX: Sie sprechen Max Hopp an. Wenn er Sie fragen würde, welchen Tipp würden Sie ihm mit auf den Weg geben?
Seyler: Max sollte so viel wie möglich mit den Topspielern trainieren und alles von ihnen aufsaugen. Sein Vorteil war, dass frühzeitig ein paar Leute an ihn geglaubt haben und Max sich Rückschläge erlauben durfte, ohne dass der Geldhahn gleich komplett abgedreht wird. Mittlerweile ist er die Galionsfigur in Deutschland. Er macht sein Ding mehr als ordentlich und ich bin fest davon überzeugt, dass er seinen Weg erfolgreich gehen wird.