Wie ein erschrockenes Reh blickte Kevin Münch kurz drein - was ihm eben gelungen war, konnte er selbst kaum glauben. Dann trommelte er sich wild auf die Brust und schrie seine Freude der tobenden Menge im Tollhaus "Ally Pally" entgegen, die wie im Wahn schon minutenlang seinen Namen skandiert hatte.
Mit seinem Erstrundensieg über den zweimaligen Champion Adrian "Jackpot" Lewis schaffte der Bochumer bei der Darts-WM eine Riesensensation.
"Kevin Münch sorgt für die größte Darts-Überraschung aller Zeiten", titelte die englische Zeitung The Mirror anschließend, und nach Ansicht der Sun wurde "Adrian Lewis von einem ehemaligen deutschen Landschaftsgärtner schreiend aus dem Ally Pally befördert".
Ally Pally feiert Underdog Kevin Münch
Münch selbst rang nach seinem Coup um Worte. "Das ist so geil! Ich bin total durch und fertig wie 100 Brote", sagte der 29-Jährige, der sein Geld bislang hauptberuflich mit Spitzhacke statt Pfeilen in der Hand verdient hatte, bei Sport1.
Die bierselige und feierwütige Menge im Londoner Alexandra Palace liebt Außenseiter - und den Bochumer hat sie besonders in ihr Herz geschlossen. "Kevin, Kevin Münch" grölten die 3000 Zuschauer wieder und wieder in der Melodie des Klassikers "Give it up" von KC and the Sunshine Band. "Was die Crowd abgezogen hat, war genial", sagte "The Dragon", wie sich Münch auf dem Darts-Zirkus nennt.
Nach verlorenem ersten Satz spielte sich Münch in den folgenden drei Durchgängen getragen von den Fans in einen wahren Rausch.
Münch kann Darts-Geschichte schreiben
Ein ums andere Mal schallte das berühmte "Onehundredeeeeighty" durch den "Ally Pally" - ganze acht Mal knallte Münch, dem der Weltverband PDC in seinem Liveticker noch nicht einmal ein Bild zugewiesen hatte, dem Weltmeister von 2011 und 2012 die Maximalpunktzahl 180 um die Ohren.
So oft war dies im bisherigen Turnier noch keinem Spieler gelungen.
Nun soll nichts Geringeres als Darts-Geschichte folgen, noch nie hat ein Deutscher beim Saisonhighlight das Achtelfinale erreicht. In der zweiten Runde am 27. Dezember wartet einer der beiden Spanier Cristo Reyes und Antonio Alcinas (alle Sessions live auf DAZN), beide sind keine absoluten Topspieler.
Weihnachten in Bochum
In Abwesenheit der großen deutschen Hoffnung Max Hopp kann sich Münch, der im kommenden Jahr den Sprung zum Vollzeitprofi wagen will, endgültig aus dessen Schatten spielen.
Zunächst stehen für den "Dragon" aber ein paar ruhige Weihnachtstage in Bochum an - sofern das denn möglich ist. "Ich hoffe, dass zu Hause alles abgerissen ist", witzelte Münch am "geilsten Tag" seiner Karriere und blickte mit einem schelmischen Grinsen selbstbewusst voraus: "Aber wer weiß, was am 27. Dezember passiert."