Der heutige Darts-Profi Mensur Suljovic wurde im ehemaligen Jugoslawien geboren. Um dem Krieg zu entgehen, flüchtete der 45-Jährige als junger Mann nach Österreich. Im Interview mit SPOX und DAZN gibt Suljovic emotionale Einblicke in die Flucht nach Österreich und spricht über seine Dartitis und Schlafprobleme in der Vergangenheit.
Außerdem schätzt The Gentle den deutschen Darts-Markt ein und erklärt, warum es seiner Meinung nach die richtige Entscheidung war, einen Premier-League-Spieltag nach Berlin (alle Sessions der Premier League live auf DAZN) zu verlegen.
SPOX/DAZN: Herr Suljovic, lange Zeit war Darts für Sie überhaupt kein Thema. Nachdem Sie in Tutin im heutigen Serbien geboren wurden, sind Sie als junger Mann wegen des Krieges nach Österreich geflohen.
Suljovic: Genau. Ich bin Ende 1992 beziehungsweise 1993 mit 19 Jahren nach Österreich geflüchtet. Das wünsche ich niemandem. Mein Schwager war zwar dabei, aber sonst niemand aus meiner Familie. Vor dem Krieg hatte ich mich freiwillig gemeldet. Als ich dann einberufen wurde, war mein Bruder schon im Krieg. Wir hatten vier Monate keinen Kontakt zu ihm und wussten nicht, ob er noch lebte oder nicht. Da sagte meine Mutter: 'Vielleicht haben wir ihn verloren. Es ist besser, wenn wir ein Kind verlieren als zwei.' Deshalb bin ich über Mazedonien in die Türkei und dann nach Österreich. Wir hofften, dass sich die Lage wieder beruhigt und ich vielleicht zurückkommen könnte, aber leider hat sie sich nicht beruhigt.
SPOX/DAZN: Wie gefährlich war die Flucht?
Suljovic: Der Weg von Serbien nach Mazedonien war gefährlich, weil das Militär überall war. Die Soldaten sind in die Busse rein und haben sich genau angeschaut, wer darin sitzt und wen sie vielleicht herausziehen.
SPOX/DAZN: Wie haben Sie es geschafft?
Suljovic: Als ich den Einberufungsbescheid erhielt, meldete ich mich und sagte, dass ich nur meine Familie besuchen und danach zurückkehren würde. Das war damals für die Behörde in Ordnung. Am Anfang wollte ich unbedingt zurück, aber der Krieg dauerte so lange, dass ich mich fragte: 'Wo willst du da denn eigentlich hin?' Wir haben uns für Österreich entschieden, meine Mutter und mein Vater sind später nachgekommen und jetzt lebt der engste Familienkreis in Wien.
SPOX/DAZN: Wie haben sie sich in Österreich eine Existenz aufgebaut?
Suljovic: Das war gar nicht so schwierig, auch wenn das Heimweh schon groß war. Meine Brüder hatten ein Cafe, in dem ich gleich mitarbeiten und kleinere Aufgaben übernehmen konnte. Dadurch musste ich nicht immer an Zuhause denken. Aber natürlich kommt immer wieder das Heimweh hoch. Heute ist das kein Thema mehr.
SPOX/DAZN: Sie haben relativ schnell in Österreich Fuß gefasst. Wann kam dann Darts in Ihr Leben?
Suljovic: Ich habe schon Ende 1993 begonnen, Darts zu spielen. Früher war E-Darts in den Cafes sehr populär, das hat riesengroßen Spaß gemacht. Die anderen haben zu viert oder fünft gespielt, aber ich spielte allein. Dann hieß es: 'Der ist verrückt, warum spielt er allein?' Aber ich wollte eben die Zahlen treffen und wenn ich ein Turnier verlor, schloss ich mich danach ein und trainierte. Ich habe nie aufgegeben.
SPOX/DAZN: Diese Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt, mittlerweile haben Sie sich unter den besten Darts-Spielern der Welt etabliert. Wo soll die Reise als Nächstes hinführen?
Suljovic: Mein Ziel ist es, dass ich in die Top 8 der Premier League komme und 2018 in den Top 16 bleibe. Top 10 wäre ideal, aber das wird sehr hart.
SPOX/DAZN: Unser Kommentator Elmar Paulke meint, Sie haben mittlerweile auch die Ausstrahlung eines Top-Spielers. Hat sich auch Ihr eigenes Selbstverständnis auch geändert?
Suljovic: Auf jeden Fall. Wir spielen jede Woche und früher war ich auf der Bühne immer nervös. Ich habe lange gebraucht, aber jetzt ist das vorbei. Ich fokussiere mich nur noch auf das Spiel.
SPOX/DAZN: Wann kam dieser Punkt?
Suljovic: Als ich gegen alle gewonnen hatte. Wenn man nicht gegen die Besten gewinnt, hat man kein Selbstvertrauen. Man gewinnt zwar kleine Turniere, aber das ist nicht das Wahre. Man muss gegen den Weltmeister gewinnen.
SPOX/DAZN: Das ist Ihnen bei den PDC Masters im Januar gelungen.
Suljovic: Ich habe eine sehr schlechte WM gespielt und wusste nicht, woran es gelegen hat. Ich habe viel trainiert und trotzdem war mein Average schlecht. Ich war froh, dass ich überhaupt zwei Runden gewann. Dann reduzierte ich das Training und das war sensationell. Ich war im Kopf frei und konnte mit Rob Cross mithalten. Als er eine Schwächephase hatte, war ich zur Stelle. Früher passte ich mich in solchen Situationen noch an und spielte selbst schlecht.
SPOX/DAZN: Vor einiger Zeit litten Sie auch unter erheblichen Schlafproblemen und fühlten sich nach unruhigen Nächten auf der Bühne nicht wohl. Hat sich das mittlerweile gelegt?
Suljovic: Ich brauchte früher oft Schlaftabletten und konnte meine Siege nicht verarbeiten. Jetzt habe ich Waveex-Chips gegen Strahlung und - das glaubt dir keiner - es hilft zu 100 Prozent. Wir haben alles damit ausgestattet: Handy, WLan, Laptop. Seitdem schlafe ich viel besser. Für mich als Darts-Profi ist das wichtig für die Konzentration. Wenn ich schlecht schlafe, würde ich am nächsten Tag am liebsten nicht spielen. Man bemüht sich, aber der Körper macht nicht mit.
SPOX/DAZN: Sie hatten Phasen in Ihrer Karriere, als Ihr Körper überhaupt nicht mitgemacht hat und Sie wegen Dartitis kaum spielen konnten. Wie kamen Sie darüber hinweg?
Suljovic: Ich war sehr verzweifelt und wollte sogar aufhören. Ich habe viele Spieler kennengelernt, die erst mit links und dann mit rechts geworfen haben. Man will immer mehr und mehr und irgendwann blockiert das Gehirn. Dann bekommst du einen Krampf und der Dart fliegt direkt auf den Boden. Ich kann jedem nur empfehlen, zwei Wochen Pause zu machen und danach erst wieder zu werfen. Mir hat auch ein Mentaltrainer sehr geholfen, den ich zwei Jahre hatte.
SPOX/DAZN: Sie hatten bei Ihren bisherigen WM-Teilnahmen Probleme. Obwohl Sie einer der besten Spieler sind, konnten Sie sich mit dem Turnier im Ally Pally nicht anfreunden. Warum will es beim Saison-Highlight nicht klappen?
Suljovic: Ich trainiere fünf bis sechs Stunden vor jedem Spiel, dazu kommen Interviews am Vormittag, Interviews am Nachmittag und damit ist die Arbeit noch nicht getan. Das alles zu vereinbaren, ist schwierig. Gott sei Dank, ist Darts auch in Österreich populär und ich will helfen, den Sport noch größer zu machen, aber das raubt mir Zeit und Kraft. Mittlerweile erwarten alle von mir schon das Halbfinale oder Finale und mit diesem riesengroßen Druck kann ich bei der WM nicht umgehen. Es gibt keine Außenseiter. Ich habe am meisten Angst, dass ich in der ersten Runde ausscheide.
Mensur Suljovics Abschneiden bei der WM
Jahr | Runde | Gegner |
2008 | 2. Runde | John Part (1:4) |
2009 | 2. Runde | Mark Dudbridge (0:4) |
2010 | 1. Runde | Kevin Painter (1:3) |
2011 | 3. Runde | Wes Newton (1:4 |
2012 | 1. Runde | Paul Nicholson (1:3) |
2013 | Nicht qualifiziert | |
2014 | 1. Runde | Mark Webster (2:3) |
2015 | 1. Runde | Michael Smith (1:3) |
2016 | 3. Runde | Adrian Lewis (0:4) |
2017 | 2. Runde | Mark Webster (3:4) |
2018 | 3. Runde | Dimitri van den Bergh (0:4) |
SPOX/DAZN: Auch wenn bei der WM in der dritten Runde Endstation war, blicken Sie auf ein starkes Jahr 2017 zurück. Sie sind nicht nur die Nummer sechs der Welt, sondern geben in dieser Saison ihr Debüt in der Premier League. Da ist der Druck nicht unbedingt geringer...
Suljovic: Das ist etwas Spezielles. Ich empfinde eine gewaltige Anspannung bei diesem Turnier. Es hätten noch zehn andere Spieler verdient, in der Premier League zu spielen, aber das geht leider nicht. Ich wollte zwei, drei Jahre immer vorne dabei sein und jetzt bin ich bereit.
SPOX/DAZN: Die Premier League bedeutet auch, dass Sie viel unterwegs sein werden. Werden Sie wo anders Abstriche machen?
Suljovic: Ich habe mit meiner Familie und meiner Frau alles besprochen. Die Premier League war immer mein Ziel und ich habe entschieden, dass ich nicht alle Players Championships spielen werde. Sonst bräuchte ich gar nicht mehr nach Hause zu fliegen. Darts ist schön, aber die Familie ist das Wichtigste im Leben. Wenn ich zu Hause Probleme habe, brauche ich nicht Darts zu spielen. Viele wollen es erzwingen, aber das wird für mich nie funktionieren.
SPOX/DAZN: Am 22. Februar findet erstmals ein Premier-League-Spieltag in Deutschland statt. Freuen Sie sich auf den Spieltag in Berlin besonders?
Suljovic: Das finde ich super, die Leute in Deutschland sind begeistert von Darts. Am liebsten hätte ich noch einen Spieltag in Deutschland oder auch einen in Österreich.
SPOX/DAZN: Hat Darts in Österreich mittlerweile etwas aufgeholt? Gibt es genug Sponsoren, die bereit sind, Geld zu investieren?
Suljovic: Sponsoren gibt es, aber wir brauchen die richtigen Sponsoren. Sie dürfen nicht zu viel von den Athleten verlangen und zu viel Zeit für sich beanspruchen. Darts zu spielen, ist wie zur Arbeit zu gehen. Es ist ein harter Weg, den viele nicht bis zum Ende gehen.
SPOX/DAZN: Woher bekommen Sie mehr Interviewanfragen, aus Deutschland oder aus Österreich?
Suljovic: Jetzt aus Österreich, aber früher habe ich nur Anfragen aus Deutschland bekommen. Der Markt in Deutschland ist größer, aber er braucht einen Top-Spieler. Die jungen Spieler müssen sich entscheiden, ob sie es professionell betreiben wollen oder nicht. Halbe Sachen bringen nichts. Ich habe alles hinter mir gelassen und - Gott sei Dank - hat es geklappt. Das heißt aber nicht, dass es jeder schaffen kann. Aber: Nicht jeder kann ein Hermann Maier oder Marcel Hirscher sein, um unsere österreichischen Top-Stars als Beispiel zu nennen. (lacht)