Das Warten hat endlich ein Ende. Am heutigen Freitag startet im Londoner Ally Pally die Darts-WM 2020 (alle Sessions live auf DAZN). Ist Gabriel Clemens die größere deutsche Hoffnung als Max Hopp? Wer sind die größten Herausforderer für Michael van Gerwen?
DAZN-Kommentator Elmar Paulke und SPOX-Chefreporter Florian Regelmann machen den Favoritencheck und stellen ein Power Ranking auf.
Die Deutschen: Max Hopp, Gabriel Clemens und Nico Kurz
Max Hopp (PDC Order of Merit: 24)
Max Hopp ging auf Rang 32 klassiert im vergangenen Jahr zum ersten Mal als gesetzter Spieler in eine WM. Es war damals die Belohnung für ein starkes Jahr mit dem großen Highlight des Turniersieges bei der German Darts Open in Saarbrücken und einem Erfolg bei einem Players-Championship-Event. 2019 kam in Runde drei das erwartbare Aus (1:4) gegen Michael van Gerwen, was ist dieses Mal drin für den immer noch erst 23-Jährigen, der sich im Ranking inzwischen auf Rang 24 nach vorne gearbeitet hat?
Die Auslosung der Darts-WM im Überblick
Die Auslosung meint es mit Hopp gleichzeitig gut und schlecht. Schlecht, weil es in Runde 2 ziemlich sicher zum deutschen Prestigeduell mit dem brutal formstarken Gabriel Clemens kommen wird. Gut, weil der Sieger in Runde drei im Draw auf Ian "Diamond" White zuläuft. White hat zwar mal wieder ein starkes Jahr hinter sich (fünftbester Average übers Jahr gesehen aller Spieler) und er hat mit dem Halbfinale bei den Players Championship Finals zuletzt sein erstes Major-Halbfinale erreicht, aber seien wir ehrlich: Es bleibt immer noch Ian White. Wenn du gerade bei der WM dir einen gesetzten Spieler der Top 10 in Runde drei aussuchen kannst, dann nimmst du auf jeden Fall White.
Insgesamt hat Hopp ein durchwachsenes Jahr gespielt, im Gegensatz zu 2018 fehlten die Ausreißer nach oben. Hopps beste Ergebnisse waren ein Halbfinale beim German Darts Grand Prix und ein Finale bei einem Players-Championship-Event.
Elmar Paulke: "Max hat kein schlechtes Jahr hinter sich, es war aber auch kein herausragendes Jahr. Es war ein Jahr ohne das große Highlight. Klar ist, dass Max mehr Druck haben wird als Gabriel. Gaga kann relativ entspannt in das Match gehen, für ihn ist es die einfachere Partie. Bei Max bin ich sicher, dass er dieses deutsche Duell schon sehr gerne gewinnen würde. Er wird sich da ein bisschen mehr Druck machen. Hinzu kommt, dass er vor zwei Jahren nicht bei der WM war. Er hat also nichts zu verteidigen und könnte mit einem Achtelfinale den Schritt Richtung Top 20 machen, das wäre der nächste große Schritt für ihn. Die Frage ist, ob ihn das beflügelt, oder eher hemmt?"
gettyGabriel Clemens (PDC Order of Merit: 42)
Anfang 2019 hat Clemens den Sprung zum Profi gewagt - und es hat sich voll ausgezahlt. In der Order of Merit steht der 36-Jährige aktuell zwar noch knapp außerhalb der Top 40, aber gefühlt ist er der Weltspitze schon verdammt nahe gekommen. Das beweist auch ein Blick auf die Averages im Kalenderjahr 2019, denn danach gehört Clemens bereits zu den Top 16 der Welt (95,08). Seine Checkout-Quote von 41,61 Prozent reicht sogar für die Top 5.
Nach zwei Final-Teilnahmen auf der Pro Tour erreichte Clemens 2019 auch das Finale beim German Darts Masters auf der World Series. Nach Siegen gegen seinen Lieblingsspieler Raymond van Barneveld, Rob Cross und Mensur Suljovic verlor Clemens erst im Finale knapp gegen Peter Wright (6:8).
Auch beim Grand Slam of Darts (110er Average in einem Match!) und den Players Championship Finals klopfte Clemens zuletzt zweimal an die Tür zur Weltspitze, ehe er jeweils im Achtelfinale die Segel streichen musste. Fakt ist: Die Konkurrenz hat enormen Respekt vor dem German Giant und er geht mittlerweile mit einem ganz anderen Selbstvertrauen auf die Bühne. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis Clemens bei einem Major ganz weit kommt. Vielleicht ist es bei der WM schon soweit. Bei einem Match gegen Hopp muss man Clemens eigentlich als Favorit ansehen - und auch danach wäre er in Runde drei potenziell gegen White oder im Achtelfinale potenziell gegen James Wade sicherlich nicht chancenlos. Da geht was für Gaga!
Elmar Paulke: "Gabriel spielt ein richtig gutes Jahr, gar keine Frage. Er spielt wahrscheinlich aktuell die besten Darts, die er je auf dem Circuit gespielt hat. Seine Form ist konstant stark und er hat jetzt auch das Momentum auf seiner Seite. Und sein Selbstverständnis ist ein ganz anderes geworden. Als er jetzt mit mir beim Grand Slam kommentiert hat, war das ein ganz anderer Gabriel Clemens als noch beim ersten Mal. Inzwischen weiß er wirklich auch selbst um seine große Stärke und hat auch richtig was zu erzählen. Er spürt natürlich auch, wie der Respekt in der Szene gewachsen ist, jeder hat ihn auf dem Zettel. Egal, wer das hoffentlich deutsche Duell gewinnt, ich traue dem Sieger dann das Achtelfinale zu."
Nico Kurz (PDC Order of Merit: 222)
Kurz qualifizierte sich durch einen Erfolg bei der Super League (10:6 im Finale gegen Martin Schindler) für die WM und feiert sein Debüt im Ally Pally. Der 22-Jährige ist so etwas wie der neue heiße Name in der deutschen Darts-Szene. Als Sohn von erfolgreichen E-Darts-Spielern wurde Kurz das Talent in die Wiege gelegt, aber erst vor fünf Jahren wurde er schließlich doch mit dem Darts-Virus infiziert. Vorher zählte für den Hardcore-Eintracht-Frankfurt-Fan nur der Fußball.
Auf großer Bühne machte Kurz bereits 2018 beim German Darts Masters auf sich aufmerksam, als er nur knapp Jamie Lewis unterlag. In diesem Jahr setzte er in Köln noch gewaltig einen drauf und bezwang keinen Geringeren als Gary Anderson. Danach zog er zwar knapp gegen Peter Wright den Kürzeren (6:8), aber das große Talent (gerade im Scoring) war auch dort augenscheinlich.
Wer mit Kurz spricht, erlebt einen extrem ruhigen Typen, der einen sehr nüchternen Blick auf seine Karriere hat. Aktuell arbeitet Kurz noch als Industriemechaniker, aber auf Sicht dürfte bei ihm auch der Traum vom Profi wahr werden. Ein guter Auftritt bei der WM könnte dabei natürlich helfen. James Wilson in Runde eins ist für Kurz definitiv schlagbar, wenn er seine Leistung abrufen kann, danach würde Joe Cullen (PDC: 15) warten.
Elmar Paulke: "Nico ist wirklich ein ganz abgezockter Hund. Wer Gary Anderson vor 9000 Fans in Köln schlägt, der wird sich auch im Ally Pally wohlfühlen. Er weiß, dass er auf großen Bühnen sehr gut spielen kann. Und James Wilson zum Auftakt? Den kann er packen. Nico ist ein cooler Zocker. Wenn es um die Wurst geht, ist er da. Lasst uns mal schauen, was er so macht. Ich bin total gespannt auf ihn."
gettyDie Sonderfälle: Gary Anderson und Raymond van Barneveld
Gary Anderson (PDC Order of Merit: 5)
2018 stand Anderson hier im Power Ranking nach einem überragenden Jahr noch an der Eins, jetzt müssen selbst die größten Fans des Flying Scotsmans einsehen, dass er vor dieser WM nicht mal in den Top 8 etwas zu suchen hat. Wer auf die nackten Averages schaut, findet Anderson (96,24) 2019 zwar in den Top 10, aber die entscheidende Zahl steht in einer anderen Spalte. 52.
Das ist nämlich die Anzahl der Matches. Anderson hat nach dem Halbfinal-Debakel (1:6) bei der letzten WM gegen MVG 2019 einfach viel zu wenig gespielt. Die Premier League sagte er wegen seiner ewigen Rückenprobleme ab und bis auf den Sieg beim World Cup of Darts an der Seite von Peter Wright gewann der Schotte 2019 absolut gar nichts.
Es bleibt zwar die kleine Hoffnung, dass Anderson bei der WM vielleicht doch noch etwas Form finden kann. Zumal ihm der Set-Modus so liegt. Aber die Zweifel sind definitiv größer. Anderson wird am 22. Dezember 49 Jahre alt. Bei seinem Match gegen Danny Noppert bei den World Series of Darts Finals Anfang November wirkte er wie 94 (71er Average!). Alle Anderson-Fans werden schon bei seinem ersten Auftritt (wahrscheinlich gegen den History Maker Brendan Dolan) mächtig zittern...
Elmar Paulke: "Ich glaube, dass es Anderson in diesem Jahr früh erwischen wird. Dieses Mal wird er nicht rechtzeitig zur WM da sein, er hat einfach viel zu wenige Matches gespielt. Er kann ein Match gut spielen und Form andeuten, dann läuft es aber im nächsten Match wieder gar nicht. Und so bist du bei einer WM ganz schnell raus. Da verlierst du gegen ganz viele. Vielleicht belehrt er uns eines Besseren, es ist immer noch Gary Anderson, aber ich sehe eine große Gefahr, dass er nicht weit kommt."
Raymond van Barneveld (PDC Order of Merit: 40)
Der Abschied von Barney ist natürlich das große Thema bei der WM. Der 52-Jährige hat zuletzt mit zwei Viertelfinal-Teilnahmen (World Series of Darts Finals & Players Championship Finals) auf den letzten Metern seiner Karriere noch einmal aufsteigende Tendenz gezeigt, aber hat er a la Phil Taylor zum Abschluss einer legendären Karriere wirklich einen tiefen und magischen WM-Run in sich?
Raymond van Barneveld exklusiv: "Ich habe mich geschämt"
Die Antwortet lautet aller Voraussicht nach: nein. Barney wird in Runde eins den US-Amerikaner Darin Young bezwingen, danach winkt ein Duell mit seinem niederländischen Landsmann Jeffrey de Zwaan. Barney sind ein, zwei große Auftritte noch absolut zuzutrauen, aber selbst wenn er de Zwaan schlägt, würde dann wohl Dave Chisnall warten. Eher schwer vorstellbar, dass er da auch noch durchkommt...
Elmar Paulke: "Ich glaube eher nicht, dass es für Barney ganz weit gehen kann bei der WM, aber ich bin mir auch nicht zu hundert Prozent sicher. Um bei seiner letzten WM einen Abschied a la Taylor hinzulegen, fehlt ihm die Konstanz. Dafür fehlen ihm auch in diesem Jahr die Matches auf großen Bühnen. Dazu kommt, dass er viel sensibler ist als Taylor. Wenn er hinten liegen sollte und der Gedanke aufkommt, dass es hier gerade für ihn zu Ende geht, dann war es das. Er darf nicht melancholisch werden, das ist eine große Gefahr. Auf der anderen Seite ist es ihm absolut zuzutrauen, dass er einen Guten aus dem Turnier wirft. Er hat ja auch zuletzt immer wieder mal gute Matches gespielt. Es wäre schön, wenn er nach Weihnachten noch im Turnier wäre."
Das Power Ranking zur Darts-WM: Die Top 8
8. Rob Cross (PDC Order of Merit: 2)
Cross hat 2019 "nur" zwei Turniere gewonnen. Aber Cross versteht es, zum richtigen Zeitpunkt da zu sein und zuzuschlagen. Beide Turniersiege kamen bei Majors, im Matchplay-Finale schlug der Engländer Michael Smith, bei der European Championship setzte er sich gegen Gerwyn Price durch. Für den Weltmeister von 2018 waren es die Major-Siege Nummer zwei und drei.
Für Cross wird der Druck im Ally Pally extrem sein. Er muss in der Order of Merit das Geld von seinem WM-Titel verteidigen und kommt nach zuletzt eher schwachen Auftritten nicht gerade mit dem größten Selbstvertrauen zur WM. Gerade zu Beginn des Turniers könnte das ein Faktor sein, zumal Cross' erster Gegner gleich unangenehm sein wird. Kim Huybrechts hat zwar gefühlt (oder nicht mal nur gefühlt!) seit einer Ewigkeit nichts mehr gerissen, ist aber immer gefährlich. Und der junge Niederländer Geert Nentjes ist ein kommender Star auf dem Circuit. Cross muss aufpassen!
Elmar Paulke: "Der Sieg bei der European Championship war extrem wichtig für Cross. Der Erfolg hat ihm einen Puffer gegeben, sodass er in der Rangliste nicht komplett runtergeschmettert wird, wenn er bei der WM früh ausscheidet. Das ist wichtig für seinen Kopf. Dennoch wirkt er insgesamt für mich nicht sonderlich stabil. Selbst beim Sieg bei der European Championship hat er ja nicht seine besten Darts gespielt. Er kommt auf jeden Fall nicht in totaler Topform in den Ally Pally."
7. Peter Wright (PDC Order of Merit: 7)
Wright hat wahrlich kein schlechtes Jahr hinter sich. Im Gegenteil: Er ist nach dem desaströsen WM-Aus im Weihnachtsmannkostüm gegen Toni Alcinas und einer echten "Müll-Saison" stark zurückgekommen. 2019 war ein gutes Jahr für den Schotten inklusive fünf Turniersiegen, darunter dem World Cup of Darts. In allen Statistiken gehört Snakebite so auch zu den Top-Leuten des Jahres. Und auf der Pro-Tour stellte er mit einem Average von 123,5 einen neuen Weltrekord auf!
Peter Wright exklusiv: "Ich bin der beste Zweite aller Zeiten!"
Aber: Wenn wir den World Cup mal außen vor lassen, war 2019 in gewisser Weise auch wieder ein Jahr der Frustration für Wright. Frustrierend deshalb, weil er wieder zwei Major-Finals (Champions League of Darts, Grand Slam of Darts) verlor und damit weiterhin bei nur einem einzigen Einzel-Major (UK Open 2017) und einer 1-11-Bilanz in Major-Finals steht. Bei der Qualität von Wright eine erschreckende Bilanz. Der WM-Finalist von 2014 könnte es im Achtelfinale mit Dave Chisnall oder Raymond van Barneveld zu tun bekommen.
Elmar Paulke: "Die dramatische 10:11-Niederlage gegen MvG mit den vergebenen Match-Darts hat ihn im Herbst komplett rausgerissen. Diese Pleite war ein extremer Bremser, auch wenn er es versucht hat, herunterzuspielen. Aber was soll er auch anderes machen. Danach ging bei den nächsten Turnieren gar nichts mehr. Das war eine brutale Niederlage für ihn. Aber: Wright hat 2018 teilweise auch echt gut gespielt. Er stand schon mal im WM-Finale. Abschreiben darf man ihn natürlich auf keinen Fall."
6. Michael Smith (PDC Order of Merit: 4)
Smith sollte im Ranking normalerweise höher stehen. Er stand bei der letzten WM im Finale. Er stand 2019 auch noch im Matchplay-Finale. Er ist sicherlich der beste Spieler, der noch kein Major gewonnen hat. Die Frage, die sich stellt: Warum gewinnt dieser Bully Boy, der so unfassbar Darts spielen kann, wenn er on fire ist, kein Major (0-4 jetzt in Finals)?
Und warum hat er 2019 nicht ein einziges Turnier gewonnen, obwohl er in typischer Smith-Manier über 300 180er geworfen hat? Die Antwort weiß er wohl selbst nicht so genau. Klar ist, dass Smith reihenweise gute Resultate einfährt und generell zu allem und damit auch zum WM-Titel fähig ist. Klar ist aber auch, dass er es bis jetzt nicht bewiesen hat, dass er diesen letzten Schritt im entscheidenden Moment auch gehen kann. Wird es bei dieser WM anders? Zumindest hat es die Auslosung gut mit Smith gemeint. Dimitri van den Bergh ist sicherlich ein gefährlicher Gegner in Runde drei, aber insgesamt sieht der Weg bis ins Viertelfinale nicht so steinig aus wie bei anderen Stars.
Elmar Paulke: "Es bleibt dabei: Die große Schwäche des Bully Boy ist sein schlechtes B-Game. Sein A-Game ist gut genug, um alles zu gewinnen. Damit kann er auch Weltmeister werden. Aber um die großen Dinger am Ende auch zu holen, musst du auch Matches gewinnen, bei denen es nicht perfekt läuft. Und da ist mir seine Körpersprache immer noch zu negativ, da ist er mental echt nicht gut. Er deutet es immer wieder an, dass es Klick gemacht hat und jetzt die großen Titel kommen, aber bis jetzt warten wir und er noch darauf."
5. Glen Durrant (PDC Order of Merit: 27)
Durrant ist offiziell nur die 27 in der Order of Merit, aber das liegt nun mal ausschließlich daran, dass der BDO-Weltmeister der letzten drei Jahre seine Premieren-Saison bei der PDC spielt. De facto gehört Duzza in die Top 10, das steht völlig außer Frage und das beweisen sowohl seine Ergebnisse 2019 (Halbfinale World Matchplay, Halbfinale World Grand Prix, Halbfinale Grand Slam of Darts) als auch sein Jahres-Average (97.03, Rang 6).
Der Weg für Durrant ist allerdings hart. Schon seine zweite Runde könnte unangenehm sein, denn dort könnte er auf den portugiesischen Senkrechtstarter Jose de Sousa treffen, der zuletzt mit mehreren Siegen auf der Pro Tour für Furore sorgte. Dennoch würde Durrant natürlich als klarer Favorit in die Partie gehen. Im Achtelfinale könnte es gegen Daryl Gurney zu einem Match des Turniers kommen.
Elmar Paulke: "Durrant weiß, wie man eine WM gewinnt. Wie man sich durch so ein Turnier spielt. Das ist wirklich ein nicht zu unterschätzender Faktor. Er hat diesen Erfahrungsschatz auf seiner Seite und er ist echt ein geiler Beißer. Ich glaube auch, dass ihm der Set-Modus liegen wird. Duzza ist sehr gefährlich."
4. Mensur Suljovic (PDC Order of Merit: 11)
Suljovic auf der 4? Das scheint durchaus gewagt, wenn wir bedenken, dass der Österreicher kein berühmtes Jahr hinter sich hat und in der Order of Merit aus den Top 10 gefallen ist. Und im Ally Pally fühlt sich Suljovic doch eh nicht wohl, drei Achtelfinal-Teilnahmen waren bei der WM bislang das Höchste der Gefühle.
Aber: Suljovic hat sich in den letzten Monaten, nachdem er die Anstrengungen der Premier-League-Teilnahme verarbeitet hatte, wieder gefangen. Der Heimsieg bei der Austrian Darts Championship und ein Erfolg auf der Pro Tour waren erste Anzeichen dafür, dass mit Suljovic wieder zu rechnen ist.
Viel wichtiger aber noch: Als SPOX und DAZN "The Gentle" jetzt vor der WM zum Interview trafen und einen wie immer tiefstapelnden Mensur erwarteten, schockte dieser alle (wohl auch sein Umfeld) mit der Ansage, dass er bei dieser WM jetzt total angreifen wolle und alles andere als ein Viertel- oder sogar Halbfinale quasi eine Enttäuschung wäre. War das wirklich Mensur?
Elmar Paulke: "Mensur hat mich bei unserem Interview jetzt vor der WM komplett überrascht. Und nicht nur mich. Seine Haltung ist eine komplett andere geworden. Ich wollte ihn eigentlich fragen, ob er Lust hat, das Halbfinale und Finale mit mir zu begleiten. Da habe ich schon gemerkt, dass er etwas rumdruckst. Nach dem Interview wusste ich auch, warum das so war. Er will das Halbfinale nicht mit mir kommentieren, er will das Halbfinale spielen. Seine Erwartungshaltung ist eine ganz andere als sonst vor einer WM. Mensur ist richtig gierig. Das Gute für ihn ist auch, dass ihn diesmal viele gar nicht so auf der Rechnung haben, das wird ihn entspannter ins Turnier gehen lassen."
getty3. Nathan Aspinall (PDC Order of Merit: 12)
Wir setzen keinen Cross an die 3. Keinen Wright. Keinen Smith. Sondern Nathan Aspinall! Der Mann, der 2015 im World Youth Final gegen Max Hopp verlor, ist inzwischen die 12 der Welt und damit lange noch nicht am Ende der Entwicklung angekommen. Nach seiner sensationellen Halbfinal-Teilnahme (3:6 gegen Smith) bei der letzten WM holte sich Aspinall bei den UK Open (Finalsieg gegen Cross) seinen ersten Major-Titel. Im Sommer ließ der 28-Jährige den Titel beim US Darts Masters (Finalsieg gegen Smith) folgen.
Zuletzt wirkten die Ergebnisse zwar überschaubar, aber das lag auch daran, dass Aspinall einige Male Matches verlor, obwohl er einen Average über 100 spielte. Shit happens! Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass mit Aspinall zu rechnen ist. Sein potenzielles Drittrunden-Match ist zwar extrem tricky (Krzysztof Ratajski), aber danach würde Anderson warten (falls dieser eben überhaupt soweit kommt), danach eventuell der Bully Boy. Ein weiteres WM-Halbfinale für Aspinall wäre da keine Überraschung, nicht im Geringsten.
Elmar Paulke: "Aspinall an der 3 mag viele überraschen, aber ich halte extrem viel von ihm. Für mich ist er 2019 der Spieler, der nach Price die beste Entwicklung genommen hat. Er ist dran an den Top 10, er wird denke ich Premier League spielen im nächsten Jahr - und er ist bereit dafür. Aspinall hat eine tolle Präsenz auf der Bühne bekommen. An dem musst du erstmal vorbeikommen. Er kommt in den Ally Pally zurück, an den Ort, der mit dem WM-Halbfinale sein Leben verändert hat. Ich traue ihm sehr viel zu."
2. Gerwyn Price (PDC Order of Merit: 3)
So klar wie van Gerwen aktuell die Nummer eins ist, so klar ist Price die Nummer zwei. Der Iceman ist heiß, extrem heiß! Erst verteidigte er seinen Titel beim Grand Slam of Darts, dann zog er bei den Players Championship Finals ins Endspiel ein.
Wichtiger noch als der Titel beim Grand Slam war dabei sicher der Halbfinalsieg gegen van Gerwen. Zum ersten Mal konnte Price MvG bezwingen. Die Bilanz ist immer noch eine Katastrophe (1:19), aber diesen einen Sieg musste Price vor der WM haben, damit er wirklich an einen WM-Titel glauben kann. Price hat 2019 den zweitbesten Average (98.23) hinter van Gerwen und die beste Doppelquote auf der Tour (42.97%) vorzuweisen.
Sein Weg in ein mögliches Finale gegen MvG wird steinig (Runde 3: Henderson, Achtelfinale: Whitlock, Viertelfinale: Suljovic/Gurney/Durrant/Dobey, Halbfinale: Cross/Wright/Chisnall), aber es spricht sehr viel dafür, dass Price diesen Weg gehen kann und wird.
Wie gut es für Price läuft? Zuletzt wurde der Buhmann der Szene sogar von den Fans gefeiert. Es ist zwar nicht davon auszugehen, dass wir hier schon einen echten Umschwung erlebt haben, im Ally Pally ist die Situation eine andere, aber dennoch war es bemerkenswert und auch das dürfte Price zusätzlichen Auftrieb gegeben haben.
Elmar Paulke: "Price hat 2019 die tollste Entwicklung von allen Spielern genommen und ist klar der Nummer-eins-Herausforderer für MvG, er war 2019 stärker als der Rest. Er stand ja bereits in den Top 10, da geht es nur um Nuancen, aber er hat es geschafft, diese paar Prozentpunkte draufzulegen, die ihn die engen Matches jetzt so oft gewinnen lassen. Er geht nicht mehr ganz so steil wie in den Jahren zuvor, er hat sich jetzt aber auch nicht komplett zurückgenommen. Das ist auch gut so, weil er diese Art für sein Spiel braucht. Damit beweist er auch Haltung. Ich bin gespannt, wie die Fans reagieren. In Minehead waren viele Waliser da, ich könnte mir vorstellen, dass er im Ally Pally nicht diese Unterstützung bekommen wird. Die Fans im Ally Pally lieben es ja auch, diesen Bad Guy zu haben. Price ist nach außen zwar eine Maschine, aber er reagiert sehr wohl sehr sensibel auf das Feedback der Fans. Es hat ihn genervt, dass er so ausgebuht wurde überall. Umso mehr hat er es jetzt genossen, als alle hinter ihm standen. Generell traue ich ihm den WM-Titel auch zu, aber es gibt auch noch ein paar Unbekannte, einfach auch, weil die WM und der Set-Modus nochmal eine andere Geschichte sind. Im Set-Modus hat Price noch nicht viel Erfolg gehabt."
1. Michael van Gerwen (PDC Order of Merit: 1)
Es gibt keinen Zweifel, wer vor dieser WM im Power Ranking an der 1 stehen muss. MvG hat nach seinem WM-Titel am 1. Januar 2019 14 Turniere gewonnen. Das sind neun mehr als Gerwyn Price, Peter Wright und James Wade (alle 5), die in dieser Statistik Platz zwei belegen.
Van Gerwen hat 2019 eine unfassbare Siegquote von knapp 84 Prozent aufzuweisen, er hat unfassbare 388 180er geworfen (65 mehr als Rob Cross auf Rang zwei), er ist der einzige Spieler, der übers Jahr am 100er Average kratzt (99.95). Mighty Mike ist mal wieder ganz klar das Nonplusultra. Das zeigten auch seine 14 perfekten Darts bei den Players Championship Finals im Match gegen Adrian Lewis, die in einem ansonsten ausnahmsweise miesen Match völlig aus dem Nichts kamen.
Was noch für ihn spricht (neben so vielen Dingen): Er hat sich von seiner ganz kurzen Schwächephase im Herbst (Erstrundenaus bei der European Championship) sofort wieder erholt und bei der WM-Generalprobe bei den Players Championship Finals mit seinem Finalsieg gegen seinen aktuell schärfsten Widersacher Price ein Statement gesetzt, das ihn mit einer Extra-Portion Rückenwind in die WM kommen lässt.
Stolpersteine sind bei einem Blick auf die Auslosung auch nicht wirklich zu erkennen. Clayton im Achtelfinale? Wade oder White (oder Clemens!) im Viertelfinale? Erst im Halbfinale könnte es krachen (Smith oder Aspinall).
Elmar Paulke: "MvG hatte im September eine kurze Phase, als er für mich angeschlagen und erstaunlich bezwingbar wirkte. Da verlor er ein paar Finals auf der European Tour und spielte in den Events danach nicht so gut. Aber dann gewinnt der Kerl eben vier der nächsten sechs Turniere und weist jeden Anflug von Schwäche komplett von sich. Mit dem Sieg gegen Price bei den Players Championship Finals hat er auch nochmal gezeigt, wer der Chef ist. Das ist eine große Stärke von van Gerwen. Wenn es auf bestimmte Duelle hinläuft, in denen die Frage geklärt werden soll, wer denn nun der Beste ist, ist er extrem gut. Das war auch gegen Anderson schon so. Was mich aber wirklich am meisten beeindruckt: Er hat gelernt, dass er auch mal Matches verlieren wird. Er ist unglaublich souverän in der Niederlage. Und er hat gelernt, dass er nicht in jedem Match diesen unglaublichen Standard spielen kann. Er ist so verwöhnt von seinen Leistungen. Dann zu akzeptieren, dass es mal nicht läuft, nicht abzuschenken, nicht frustriert zu werden, sondern sich durch die Matches zu kämpfen und sie am Ende zu gewinnen, ist eine herausragende Fähigkeit. Das macht eine Nummer eins, einen großen Champion auch aus. Ähnlich ist es bei jemandem wie Roger Federer im Tennis. Der kann einen schlechten Tag haben, macht aber dann irgendwie das eine Break zur richtigen Zeit und kommt durch. So ist es bei van Gerwen auch."