Die World Hockey League steht vor der Tür (ab Donnerstag Live auf DAZN). Vor dem Start des Turnieres spricht Hockey-Legende und DAZN-Experte Moritz Fürste im Interview über den Zustand der deutschen Mannschaft. Zudem äußert sich der 32-jährige Olympiasieger von 2008 und 2012 zu Tennis-Matches mit den Zverev-Brüdern, Erlebnisse in Indien und seine ganz eigene Meinung zum WM-Wirbel um Eishockey-Nationaltorhüter Thomas Greiss.
SPOX: Herr Fürste, haben Sie sich eigentlich jemals gedacht: Wenn ich Fußballer geworden wäre und ein ähnliches Niveau wie im Hockey erreicht hätte, wäre ich ein absoluter Superstar?
Moritz Fürste: Von diesem Gedanken habe ich mich immer frei gemacht. Das hätte ohnehin nicht funktioniert, ich bin nicht beidfüßig. (lacht) Im Ernst: Ich bin sehr glücklich darüber, wie es bei mir gelaufen ist. Eher gab es mal den Gedanken, was denn gewesen wäre, wenn ich weiter Tennis gespielt hätte.
SPOX: Waren Sie darin so gut?
Fürste: Bis ich 16 war, habe ich jedenfalls sehr intensiv Tennis gespielt. Unter anderem war der Vater der Zverev-Brüder mal in Hamburg mein Trainer. Mit Mischa spielte ich beispielsweise lange gemeinsam Doppel. Ihm habe ich in unserem letzten Match einen Satz abgenommen. Und gegen Sascha habe ich sogar gewonnen - wobei der damals sechs Jahre alt gewesen sein muss. (lacht) Ich hoffe trotzdem, dass sich die beiden noch daran erinnern. Bevor ein falscher Eindruck entsteht, möchte ich an dieser Stelle aber ganz deutlich sagen: Eine Profi-Karriere war nicht denkbar.
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SPOX: Ganz im Gegensatz zum Hockey. Sie sind im vergangenen Jahr nach einer grandiosen Laufbahn aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, wirken sehr relaxed. Ist in Ihrem Leben derzeit Füße hochlegen angesagt?
Fürste: Nein, das würde ich nicht sagen. Meine internationale Karriere habe ich nach Olympia in Rio beendet. Aber ich spielte noch die ganze Saison Bundesliga und war in der Champions League aktiv. Außerdem habe ich mich beruflich selbstständig gemacht und bekomme eine zweite Tochter.
SPOX: Was waren letztlich die Gründe für das Ende der Nationalmannschaftskarriere?
Fürste: Es war ein Mix. Mir war bereits früh klar, dass ich nach Rio zumindest darüber nachdenken werde, aufzuhören. Im Hockey rechnet man extrem in Abschnitten von vier oder zwei Jahren, von Weltmeisterschaft zu Olympischen Spielen. Vor Rio war mir klar, dass es eng wird für Tokio 2020. Da wäre ich schließlich fast 36 Jahre alt. Dass der Abschied aber nach dem Spiel um Bronze kam, hat sich erst in Rio endgültig ergeben. Ich hatte noch einmal eine emotionale Achterbahnfahrt, privat und sportlich. Meine Tochter und meine Frau waren dabei, das waren unglaubliche Momente. Nach dem verlorenen Halbfinale war für mich plötzlich glasklar: Das funktioniert nicht noch einmal mit dem Aufwand, dem ganzen Training, dem ständig von zu Hause weg sein. Ich habe für mich eine relativ radikale Entscheidung getroffen.
SPOX: Immerhin spielten Sie bis zuletzt auf ganz hohem Niveau. Sie waren beispielsweise wieder einmal in Indien aktiv. Können Sie uns erklären, wie das System mit Indien und den europäischen Spielern funktioniert?
Fürste: Zum Verständnis: Indien ist im Hockey Rekord-Olympiasieger. Die waren in den 60er und 70er Jahren die Hockeynation schlechthin. Mitte der 80er sind sie dann in ein Tal gefallen. Genau in dem Moment, als man begann, Hockey auf Plätzen zu spielen, wie sie heute üblich sind. Es wurde von Rasen auf Kunstrasen gewechselt, die Inder verloren komplett den Anschluss. Das Spiel wurde ihnen zu schnell, zu taktisch, war nicht mehr alleine auf individuelle Fähigkeiten ausgelegt, worin sie sehr, sehr gut sind. Irgendwann überlegten sie, wie sie aus dieser Krise herauskommen.
SPOX: Nämlich?
Fürste: Ihnen war klar: Niemand würde aus Europa nach Indien wechseln, um dort ganz normal in der Liga zu spielen. Also erfanden sie ein Kunstprodukt, ein Franchisesystem. Das ist ein bisschen mit dem System im US-Sport zu vergleichen. Es wurden sieben Franchises gegründet und sie sagten sich: Wir zahlen für einen kurzen Zeitraum in der Winterpause der europäischen Ligen Spielern verhältnismäßig sehr viel Geld, um nach Indien zu kommen und für einen Zeitraum von sechs bis sieben Wochen dort Hockey zu spielen.
SPOX: Wie sieht das konkret aus?
Fürste: Die Teams sind so zusammengestellt, dass es pro Mannschaft acht Ausländer und 12 Inder gibt. Die Spieler werden auf einer klassischen Auktion versteigert. Es gibt eine Liste mit Spielern drauf, jedes Team hat einen Salary Cap, also gleich viel Geld zur Verfügung. Daraus ergibt sich ein Ligasystem mit relativ ausgeglichenen Mannschaften. Das Ergebnis ist spektakulär, weil es die Inder innerhalb weniger Jahre geschafft haben, aus der Versenkung in die Top 6 der Welt zurückzukehren.
SPOX: Sie waren jetzt zum vierten Mal dabei. Wie haben Sie das ganze System persönlich erlebt?
Fürste: Die Auktion läuft wirklich so ab, wie man sich das vorstellt. Es wird ein Name vorgelesen und dann melden sich die Teams bei Interesse so lange, bis sie den gewünschten Spieler haben. Das Geld, für das man ersteigert wird, ist am Ende auch dein Gehalt. Man hofft also die ganze Zeit, dass sich der nette Herr mit dem Turban nochmal meldet, damit das Gehalt nach oben geht. (lacht)
SPOX: Und dann kommt man zu einer Mannschaft, von der man nichts weiß?
Fürste: So ungefähr ist das. In meinem Fall war es so, dass mir die Mannschaft einen Monat vor Beginn mitgeteilt hat, dass sie mich zum Kapitän machen wollen. Dann kommst du da an. Die meisten Spieler kennst du, aber sechs, sieben junge Inder hast du nie zuvor gesehen. Der Prozess vom ersten Mal Händeschütteln, wenn sie dich gar nicht anschauen und Angst davor haben, auch nur in deiner Nähe zu sein, bis hin zu nach drei Wochen zusammen im Zimmer liegen und Fußball zu schauen und den Mannschaftssport zu genießen, der ist extrem spannend.
SPOX: Es ist also nicht nur Business as usual für Sie?
Fürste: Bei den Mannschaften, bei denen ich in Indien war, haben wir immer sehr viel Wert auf den Teamprozess gelegt. Drei Mal von den vier Mal war ich mit meinen Teams im Finale, zwei Mal haben wir gewonnen. Der Erfolg hat uns also Recht gegeben. Gerade in diesem Jahr hatten wir von der individuellen Klasse her das wohl zweitschlechteste Team und wurden Meister. Wir haben es geschafft, als Team in den entscheidenden Momenten perfekt zu funktionieren.
SPOX: In den entscheidenden Momenten perfekt zu funktionieren, ist besonders für die Nationalmannschaft enorm wichtig. Es gab nach Olympia einen großen Umbruch, außer Ihnen sind weitere erfahrene Akteure zurückgetreten. Wie ist das deutsche Team wenige Tage vor Beginn der World Hockey League aufgestellt?
Fürste: Das Team befindet sich in einer spannenden Phase. Die Qualität ist nach wie vor enorm hoch, der Kader ist breit besetzt und mit wahnsinnig starken Talenten gespickt. Das deutsche Hockey muss sich also derzeit um den Nachwuchs keine Sorgen machen. Die Frage ist, wie es die Mannschaft schafft, schnellstmöglich eine Teamstruktur aufzubauen, mit der man in der Lage ist, so ein Turnier erfolgreich zu überstehen. Das hat auch immer etwas mit Hierarchie zu tun. Und wenn wie jetzt viele erfahrene Spieler weg sind, ist das nicht so einfach. Gerade wenn man bedenkt, wie wichtig die World Hockey League ist, über die man sich letztlich ja für die WM qualifizieren muss. Ich denke aber, dass die Mannschaft auf einem guten Weg ist, um in Johannesburg stark aufzutreten.
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SPOX: Sie sprechen die Hierarchie an, in der Sie als Führungsspieler und später auch als Kapitän immer weit oben standen. Wie haben Sie diese Führungsrolle für sich interpretiert? Waren Sie eher lautstark, oder haben Sie versucht, diszipliniert auf dem Platz ein Vorbild zu sein?
Fürste: Ich war nie jemand, der Dienst nach Vorschrift abgeliefert hat, sondern war eher für kreativere Momente da. Ich habe meine Führungsrolle auf dem Platz gesehen. Ich war eher der emotionale Leader, der versucht hat, alle mitzureißen und der bis zur letzten Sekunde kämpft. Neben dem Platz alles perfekt vorzuleben, war nicht mein Ding. Wir hatten immer ein Führungsteam und nicht die eine Person, die alles abdeckt. Es gab Leute, die sich total strukturiert Gedanken gemacht haben, wie neben dem Platz die Abläufe auszusehen haben. Da war ich nicht einmal als Kapitän involviert. Und wir hatten Leute, die sich konkret bei der Spielvorbereitung mit dem Trainerteam austauschten. Da war ich dann dabei.
SPOX: Haben Sie aus ihrer Position als Führungsspieler auch eigenes Selbstvertrauen getankt?
Fürste: Durchaus, das gibt einem noch einmal einen Extra-Push. Für die Nationalmannschaft die Kapitänsbinde zu tragen, war sehr emotional für mich, das hat mich unglaublich stolz gemacht. Auf der anderen Seite hat die Binde nichts daran geändert, wie ich meine Rolle auf dem Platz ausgeführt habe. Ich war auch in den Jahren davor, als ich nicht Kapitän war, ein Führungsspieler.
SPOX: Und ein Spieler, der grundsätzlich eine klare Meinung zu verschiedenen Themen hat und diese auch äußert. Während der Eishockey-WM, als Nationaltorhüter Thomas Greiss mit Likes unter Hitler-Clinton-Vergleichen für Aufsehen sorgte, hatten Sie beispielsweise eine sehr differenzierte Meinung dazu.
Fürste: Ich habe damals klargemacht, dass ich mich von seiner politischen Meinung, oder was auch immer er mit diesen Likes zum Ausdruck bringen wollte, distanziere, beziehungsweise dass das, was ich dazu sagen möchte, völlig unabhängig davon zu sehen ist. Ich glaube einfach, dass man sich davon freimachen muss, nur Meinungen hören zu wollen, die man selbst vertritt. Man muss bereit sein, in einer gewissen Form in den Dialog zu treten. Auch, wenn völlig unverständliche Meinungen durch das Liken eines Bildes zum Ausdruck gebracht wurden. Das kann man schlecht finden, okay. Aber ich finde nicht, dass man es ihm verbieten kann.
SPOX: Wie sollte man stattdessen mit so einer Situation umgehen?
Fürste: Es gibt eine Meinungsfreiheit und davon hat er Gebrauch gemacht. Einfach zu sagen: Das geht nicht und fertig, finde ich in unserer Gesellschaft ein großes Problem. Wir leben alle irgendwie in unserer eigenen Social-Media-Blase. Die Leute, die sagen, sie haben den Brexit oder Donald Trump nicht kommen sehen, haben es teilweise deshalb nicht kommen sehen, weil sie sich nur in ihrem eigenen Social-Media-Profil bewegen. Und dort sehen 90 Prozent der Leute die Dinge genauso, wie man sie selbst sieht. Wenn man sich nur mit sich beschäftigt, bekommt man nicht mit, dass - um beim Beispiel Trump zu bleiben - den viele Leute gut finden und ihn auch gewählt haben.
SPOX: Man muss sich also auch mit für einen persönlich vielleicht unangenehmen Meinungen auseinandersetzen?
Fürste: Ja. Man kann nicht einfach nur sagen, der darf das nicht machen. Man müsste viel eher mit ihm in die Diskussion treten und vielleicht fragen: Was willst du denn damit sagen? Wie kommst du denn darauf? Wenn dieses Gespräch völlig unsachlich wird, kann man immer noch sagen: Mit dem möchte ich mich nicht unterhalten. Ich würde mir einfach wünschen, dass man mehr in den vernünftigen Dialog tritt und den Leuten eine Meinung zugesteht, auch wenn man diese selbst nicht vertritt.
SPOX: Mit MoSports haben Sie einen Podcast gestartet. Spielte auch dabei der Gedanke eine Rolle, mit unterschiedlichen Menschen, in diesem Fall Sportlern, in den Dialog zu treten?
Fürste: Durchaus. MoSports ist mehr oder weniger auf der Idee eines Freundes von mir gegründet worden. Der erzählte mir vom in den USA sehr erfolgreichen und populären Podcast von NBA-Spieler J.J. Redick von den Los Angeles Clippers. Der war so ein bisschen das Vorbild in dieser Sache für mich. Ich war schon immer jemand, der sich sehr viel mit Sport allgemein beschäftigt hat. Ich stehe auch immer mit anderen Sportlern im Austausch und informiere mich, wie die beispielsweise ihren Trainingsprozess so machen, wie die ihr Leben gestalten. Ich bin sehr froh, den Podcast gegründet zu haben. Es macht mir unheimlich viel Spaß, mich mit anderen Sportlern zu unterhalten und zu erfahren, wie die so ticken. Dabei bin ich längst nicht immer gleicher Meinung wie mein Gegenüber, aber der Austausch macht Spaß.
SPOX: Sie schlüpfen dabei in eine ganz andere Rolle, als Sie es als Sportler getan haben. Ein Lernprozess?
Fürste: Auf jeden Fall. Es ist ein großes Problem von Profisportlern, nicht darauf vorbereitet zu sein, nach der Karriere eben nicht mehr der ewig gefeierte Held zu sein. Man muss sich darauf vorbereiten, dass die wenigsten Sportler für immer von ihrem Namen, ihrem Ruf und ihrem Geld leben können. Mir war das ohnehin früh klar, weil es im Hockey diesen Ruhm und das Geld in dieser Ausprägung nicht gibt. Deshalb habe ich mich früh um die Karriere nach der Karriere gekümmert. Es ist jetzt mit dem Podcast beispielsweise witzig, auf der anderen Seite zu stehen. Mittlerweile muss ich bei irgendeinem Manager anrufen und fragen, ob dieser oder jener Sportler bei meinem Podcast mitmachen möchte.
SPOX: Gibt es bei Ihnen eigentlich den Gedanken, Sie könnten nach einer erfolgreichen Sportlerkarriere im normalen Leben scheitern?
Fürste: Ich mache mir grundsätzlich sehr selten Gedanken über das Scheitern - und damit bin ich meistens gut gefahren. Im Sport zu scheitern heißt ja ohnehin nur, zu verlieren. Das ist blöd, aber kein Drama. Ich habe beispielsweise alleine acht Mal im Finale der deutschen Meisterschaft verloren. Jetzt beruflich mache ich mir darüber ebenso kaum Gedanken, damit tut man sich keinen Gefallen. Natürlich muss man abwägen. Ich mache keine großen Risikoinvestments und dann ist es mir völlig egal, ob das ganze Geld weg ist. Es geht eher um strategische Entscheidungen. In dieser Hinsicht sehe ich das Glas fast immer halb voll.