Guilhermina rannte aus Angst

SID
Usain Bolt war gegenüber Terezinha Guilhermina laut der Brasilianerin ein wenig schüchtern
© getty

Zum Sport führen bekanntlich viele Wege, doch der von Terezinha Guilhermina war gewiss einer der ungewöhnlichsten. Als blindes Mädchen in eine 14-köpfige Familie in einem Armenviertel Brasiliens geboren, wurde sie "von den anderen oft gepiesackt. Vor allem von einer "sehr bösen 14-Jährigen.

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Die jagte mir gleich vom ersten Schultag an immer Angst ein. Also bin ich jedes Mal vor ihr weggerannt. Und da habe ich gemerkt, wie schnell ich bin."

Falls sich dieses Mädchen noch an ihre Tyrannereien von damals erinnert, dürfte sie knapp 30 Jahre später, im April dieses Jahres, ganz schön gestaunt haben. Da absolvierte jene einst so getriezte Terezinha Guilhermina bei einem Sponsoren-Termin in Rio de Janeiro ein Showtraining vor unzähligen Kameras. Ihr Guide: Usain Bolt, der größte Superstar der Leichtathletik, sichtlich beeindruckt.

Am Anfang sei der Jamaikaner etwas schüchtern gewesen, berichtet Guilhermina schmunzelnd: "Er hatte Angst, dass ich fallen oder zu schnell für mich sein könnte." Doch die beiden fanden sich schnell. Und nichts konnte deutlicher zeigen, dass es das blinde Mädchen geschafft hatte zu einer viel beachteten Sportlerin.

"Hauptdarsteller im Film unseres Lebens"

"Gott hat mir diese Gabe geschenkt und diese Möglichkeit eröffnet", sagt sie. Jammern über ihre fehlenden Sehkraft und die langjährige Armut möchte sie nicht mehr: "Ich habe gezeigt, dass man nicht darauf warten darf, dass andere einen glücklich machen. Wir sind der Hauptdarsteller im Film unseres Lebens und haben alles selbst in der Hand."

Dabei war der Weg zur dreimaligen Paralympicssiegerin und einer der größten nationalen Hoffnungen bei den Spielen der Behindertensportler 2016 in Rio weit. Erst mit 20 konnte sie in einen Sportverein - aber nur zum Schwimmen. Ein Badeanzug war das einzige Sportuntensil, das sie besaß.

Ihre Schwester Evania schenkte ihr irgendwann alte Laufschuhe, und von da an hatte Terezinha Guilhermina nur ein Ziel: "Ich wollte die Beste sein. Weil ich ahnte, dass das die Schmerzen, den Hunger und all die anderen Widerstände, die ich in meinen ersten Lebensjahren bewältigen musste, aufwiegen könnte."

Weltrekord in London

In einem Straßenrennen gewann sie bald darauf ein Preisgeld von 80 Reais, das sind umgerechnet 18 Euro. "Ich bin erst einmal auf den Markt gegangen und habe mir einen Joghurt gekauft", erzählt sie: "Ich hatte schon als Kind davon geträumt, irgendwann einmal einen zu essen."

Im Sport, das war ihr spätestens jetzt klar, hatte sie eine Chance, der Armut zu entkommen, "denn ob man rennen kann, hängt nicht davon ab, ob man Augen hat."

2012 bei den Paralympics in London gewann sie über 100 m in Weltrekordzeit von 12,01 Sekunden und fühlte sich am Ziel: "Ich war die schnellste blinde Frau der Welt." Seitdem ist sie in Brasilien ein Star.

Sie hat private Sponsoren, die Regierung zahlt ihr eine monatliche Unterstützung. "Das Coolste von allem sind nicht die Weltrekorde", sagt sie deshalb: "Sondern dass ich mir alles zu essen kaufen kann, was ich will und sogar meine Familie ins Restaurant einladen kann."