Niklas Kaul lag um halb sechs morgens im Pool des Marriott-Marquis-Hotels, die Sonne über Doha war gerade aufgegangen, und der neue Zehnkampf-König genoss "einfach den Moment". Eine Riesenparty gab es nach dem spektakulären WM-Triumph nicht, aber "ein Bier" hat er sich als Belohnung für Gold genehmigt.
Richtig verarbeitet hatte Kaul aber auch am Tag danach noch nicht, dass er nach einer irren Aufholjagd mit nur 21 Jahren und 234 Tagen als jüngster Zehnkampf-Weltmeister der Geschichte seinen Thron bestieg. "Da brauche ich auch noch ein, zwei Tage, um zu verstehen, was das am Ende bedeutet", sagte der Mainzer. Es war ja auch der reine Wahnsinn, was der Shootingstar da im Khalifa-Stadion abgeliefert hatte.
Vom 20. Platz nach der ersten Disziplin pflügte Kaul nach vorne, vor den 1500 m war er nach einem sensationellen Speerwurf auf 79,05 m dann Dritter, Gold geriet plötzlich in Reichweite - und der von seinen Eltern in die Weltspitze geführte Student sagte zu sich: "Diese Chance bekommst Du vielleicht nie wieder in Deinem Leben. Deshalb musst Du sie genau jetzt nutzen, egal, ob sie mich hinterher aus dem Stadion tragen müssen." Kaul ging aufrecht hinaus, mit Tränen in den Augen.
8691 Punkte, WM-Gold, 60.000 Dollar Prämie, Nummer fünf der ewigen deutschen Bestenliste, etwa 900 Nachrichten auf dem Handy, die Nationalhymne bei der Siegerehrung als emotionaler Höhepunkt. "Damit geht ein Kindheitstraum in Erfüllung", sagte Kaul, der als Nobody anreiste und Katar als Star verlässt: "Was jetzt noch kommt, ist Bonus."
Frank Busemann erwartet, dass von Kaul noch so einiges kommt. "Wer mit 21 Jahren fast 8700 Punkte macht, der muss 9000 machen", sagte der Olympiazweite von Atlanta dem SID: "Wer das nicht auf dem Plan hat, der hört mit dem Sport auf." Kaul habe "riesige" Möglichkeiten, sei "abgezockt" und vor allem eine Art Mentalitätsmonster. "Der gewinnt mit dem Kopf", sagte Busemann.
Ashton Eaton voll des Lobes für Niklas Kaul
Auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio will Kaul jetzt "nichts groß anders machen, es funktioniert ja sehr gut", sagte das Supertalent, dem es "großen Spaß" macht, als Erbe von Jürgen Hingsen und Co. "die Geschichte weiter zu schreiben".
Sein Idol ist jedoch nicht etwa der bisher einzige deutsche Weltmeister Torsten Voss, der 1987 Gold für die DDR gewann, sondern Olympiasieger Ashton Eaton. Den Ex-Weltrekordler hatte Kaul 2016 in den USA besucht und einige Tage mit ihm trainiert. "Er hat mir beigebracht, wie man entspannt bleibt und sich vor großen Meisterschaften nicht stressen lässt", sagte Kaul.
Und Kaul war offenbar ein guter Schüler. "Er ist fantastisch", sagte Eaton, Kauls Zukunft werde "sehr aufregend. Er kann eine Ära prägen."
Dafür muss Kaul aber noch die wenigen Schwächen, die er noch hat, abstellen. Im Training gebe es noch "Reserven", sagte Kaul, gerade im Sprint und bei den Sprüngen habe er "noch Nachholbedarf", um es mit einem Kevin Mayer in Topform aufnehmen zu können. In Doha musste der Weltrekordler aus Frankreich wegen einer Achillessehnenverletzung während des Stabhochsprungs aufgeben.
Doch Kaul hat Zeit, er ist ja noch 21 Jahre jung. Sein "ganz großes Ziel" sind Olympia in Paris 2024 und in Los Angeles 2028. Da gibt es sicher auch schöne Pools.