Ein Beben erschüttert den Motorsport. Der Volkswagen-Konzern verändert sein Motorsport-Engagement radikal: Audi und VW ziehen sich aus ihren Weltmeisterschaften zurück. Was öffentlich als zukunftsgerichtete Neuausrichtung verkauft wird, ist ein Abschied ohne Rücksicht. Der von Ex-Boss Martin Winterkorn formulierte Anspruch des Wolfsburger Megakonzerns, mit allen Mitteln zum größten Automobilhersteller der Welt zu werden, hat ein großes Opfer gefordert.
"Neuausrichtung" heißt das aktuelle Zauberwort im Volkswagen-Konzern. "Einstampfen" wäre passender.
Vier Jahre lang hat Volkswagen die Rallye-WM zuletzt dominiert. Seit dem Einstieg in die WRC zur Saison 2013 fuhren Sebastien Ogier und Julien Ingrassia der Konkurrenz davon. 42 von 51 Rallyes gewannen die VW-Fahrer. Jetzt sind sie vorübergehend arbeitslos. Das Werksprogramm hat ihr Arbeitgeber mit sofortiger Wirkung beendet. Das Saisonfinale in Australien werden die drei Polo R WRC noch absolvieren. Dann ist Schluss. "Das Auto" ist für die Rallye-WM gestorben.
Szenenwechsel: Neuburg bei Ingolstadt. Hier hat Audi im August 2014 sein "Kompetenzzentrum Motorsport" eröffnet. 460 Arbeitsplätze. Ein großer Teil zur Entwicklung der hochmodernen WEC-Renner, der Prototypen für die Langstrecken-WM. "Simply the Best" lautete das Motto für die von Joest-Motorsport eingesetzten Autos. Seit Audi im Jahr 1999 einstieg, sprangen elf Siege bei den 24 Stunden von Le Mans heraus. Doch wie bei VW in Hannover herrscht auch hier Lagerkoller. Am 19. November fahren die beiden R18 in Bahrain ihr letztes Rennen. Ein Ende mit Schrecken.
Der Volkswagen-Konzern hat binnen sieben Tagen zwei seiner drei Werksprogramme zum Ende des Jahres beendet, mit denen er in den Weltmeisterschaften der FIA antrat. Lediglich Porsche bleibt der WEC erhalten.
Einziges Ziel: Geld sparen
Beiden Rückzügen ist eins gemein: Sie erfolgten, obwohl die Autos fürs nächste Jahr bereits entwickelt sind. Seit über einem Jahr hatte VW etwa seinen neuen Polo im Testbetrieb. Ein Ende mit Schrecken. Das einzige Ziel: So viel Geld sparen, wie irgendwie möglich.
Seit Volkswagen am 3. September 2015 gegenüber der US-amerikanischen Unweltbehörde EPA zugab, seine Motorensoftware manipuliert zu haben, kommen die Wolfsburger aus den Negativschlagzeilen nicht mehr heraus.
Gewinnwarnungen, Milliardenrückstellungen für Umrüstungen, Winterkorn-Rücktritt, Betrugsermittlungen in Deutschland, Razzien durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig, Zurückfahren der geplanten Investitionen um mehrere Milliarden Euro, ein vom Kraftfahrbundesamt angeordneter Rückruf aller Autos mit Betrugssoftware, 3,5 Milliarden Euro Verlust vor Steuern und Zinsen im dritten Quartal 2015, Ermittlungen der EU, Klage der US-Regierung, Schadensersatzklagen von Aktionären und Kunden, Einbruch der Aktie auf die Hälfte des Prä-Dieselgate-Werts, 1,5 Milliarden Euro Verlust im Jahr 2015. Minus-Rekord und genug Stoff für eine Fernsehserie von Netflix, Leonardo di Caprio will gar einen Hollywood-Blockbuster auf die Beine stellen.
Wie teuer VW die betrügerische Vorgehensweise wirklich zu stehen kommt, ist noch immer kaum einzuschätzen. Eine grundsätzliche Einigung zwischen Volkswagen und den US-Behörden gab es Ende April 2016. Bundesrichter Charles Breyer verkündete im Oktober den endgültigen Vergleich: Er kostet die Wolfsburger bis zu 15 Milliarden Euro - allein in den USA, allein für die Autos mit manipulierten 2,0-Liter-Dieselmotoren. Für die 3,0-Liter-Motoren steht eine Einigung ebenso aus wie im Streit mit den Aktionären und den Wettbewerbsbehörden.
Abgasskandal führt zu Motorsport-Rückzug
Volkswagen muss sparen. An jeder Ecke. Auch wenn Audis WEC-Engagement pro Jahr "nur" einen Betrag im dreistelligen Bereich und das Rallye-Abenteuer von VW rund 70 Millionen Euro jährlich kosten, fielen sie dem Rotstift zum Opfer. Die Ausgaben wären dem mächtigen Betriebsrat schlicht und ergreifend nicht zu vermitteln, wenn gleichzeitig beim Personal gespart wird.
Statt das zu kommunizieren, probierte Volkswagen die Ausstiege als positive Nachricht zu verkaufen. Insbesondere Audis Rückzug aus der WEC sollte ein neues Bild vom Volkswagen-Konzern nach außen tragen: Die Dieselmarke steigt in die Serie mit Perspektive ein, die rein elektrische Formel E.
Allein, das von den PR-Strategen konstruierte Bild war derart schief zusammen gehämmert, dass es ohne eine einzige Windbö in seine Einzelteile zerfiel. Schon im September hatte Audi angekündigt, sich in der Formel E stärker bei Abt-Schaefflers Elektrorennprojekt einzubringen. Ab der Saison 2017/2018 als Werksteam.
Selbst VW betonte, die fortschreitende Elektrifizierung der Straßenautos sorge dafür, dass die Anstrengungen auf zukunftsträchtige Technologien verlagert werden müssten. Dabei hat die Motorsport-Abteilung dort so viel praktische Erfahrung mit Elektro-Antrieben wie ein Lamborghini von Benzinsparen.
Für die Motorsportler bei Volkswagen ist der Rückzug aus dem Spitzenmotorsport bitter. Sie hatten ihre Serien vor dem Sturz in die Bedeutungslosigkeit gewarnt. VW und Audi haben gesät, dürfen aber nicht ernten.
VW zieht sich zurück, nachdem die Marke der kriselnden WRC neues Leben eingehaucht hatte. Zur Saison 2017 wird das neue Reglement ausgerollt, das mehr technische Freiheiten, mehr Leistung und spektakulärere Optik bietet. Als Wolfsburger Motorsportchef hatte Jost Capito es initiiert, bevor er zu McLaren abwanderte. Mit Citroen und Toyota kehren auch dank Volkswagens Engagement zwei Werksteams in die WM zurück.
Eine Parallele zu Audi. Als die Ingolstädter sich auf die Langstrecke wagten, war die Nulllinie schon erkennbar. Im Jahr 2000 fuhr kein anderes Werksteam mit einem Prototypen die 24 Stunden von Le Mans. Mit Bentley war in den vier folgenden Jahren darauf nur eine weitere Marke des Volkswagen-Konzerns vertreten. Bis zum Rennen im Jahr 2007 fuhr Audi wieder allein, dann stieg Peugeot ein, die Konzerne legten mit der FIA die Grundlage für die anno 2012 neugestartete WEC.
Zwar zog sich Peugeot noch vor dem ersten Rennen zurück, mit Toyota und Porsche stießen aber zwei weitere Marken hinzu, die die Serie auf ein solides Fundament stellten. Scheinbar. Der Automobilweltverband schreibt zur Austragung einer Weltmeisterschaft mindestens drei Konstrukteure vor. In Toyota und Porsche engagieren sich nur mehr zwei in der WEC, ob die FIA die Langstrecken-WM fortschreibt, ist unklar.
Ein Stich ins Herz von Motorsport-Deutschland
Und aus deutscher Sicht? Beide Entscheidungen für sich wären ein Schlag in die Magengrube für den Motorsport im Autoland Deutschland. Beide Entscheidungen zusammen sind ein Stich ins Herz des Motorsport-Michel.
Im Jahr 2017 werden nur zwei Marken in der ersten Liga des Motorsports unter deutscher Flagge fahren: Porsche in der Langstrecken-WM, Mercedes in der Formel 1. Doch die Stuttgarter setzen mit ihren Werken in Brixworth und Brackley auf britisches Knowhow.
Muss auch die DTM dran glauben?
Beide Volkswagen-Marken prüfen nun, sich stärker in der Rallycross-WM zu engagieren. Neben dem schwedischen VW-Team von Marklund Motorsport und Kristoffersson Motorsport geht dort immerhin Mattias Ekstöm mit seinem EKS-Team im Audi S1 an den Start - und sicherte sich gegen in Buxtehude vorzeitig den WM-Titel. Doch in Deutschland steckt der Sport noch in der Nische (Das Saisonfinale der World RX am 25.11.2016 live auf DAZN).
Der deutsche Motorsportfan muss sich wohl der Formel E zuwenden, um seinen Lieblingshersteller anzufeuern. Audi ist schon da, BMW kooperiert mit den US-Amerikanern von Andretti Motorsport, will seine Werksfahrer zur Saison 2018/2019 mit eigenem Auto starten lassen, Mercedes hat sich die Option gesichert zum gleichen Zeitpunkt werksseitig einzusteigen.
Alle drei DTM-Hersteller zieht es voraussichtlich in die Formel E. Ob das etwas für die Zukunft der ehemaligen Tourenwagenserie bedeutet? Die Internationalisierung der DTM-Serie ist wohl endgültig gescheitert. Zur Saison 2017 reduzieren die Hersteller das Starterfeld um sechs Autos. Alle drei haben sich nur bis Ende 2018 zur DTM bekannt.Das neue Reglement, das schon seit Jahren in Kraft sein sollte, lässt weiterhin auf sich warten. Gerüchte besagen, es wird nie kommen, dafür eventuell von der Tourenwagen-WM der FIA umgesetzt.
Das noch vor zwei Wochen äußerlich rosige Bild der Automobilnation Deutschland mit mehreren Spitzenteams und Weltmeisterschaftskandidaten ist verblichen. Vom jahrelang erwarteten Formel-1-Einstieg des VW-Konzerns ganz abgesehen. Der deutsche Motorsport-Fan kann nur hoffen, dass Volkswagen sich letztlich glimpflich aus dem Abgasskandal rettet.