Am Samstag gibt Timo Glock seine Sim-Premiere im BMW M4 GT4 (ab 13 Uhr im LIVESTREAM). Im Interview mit SPOX sprach der frühere Formel-1-Pilot über seine Erwartungen, den Umgang von Audi mit Daniel Abt und den komplizierten Weg in den Motorsport.
Außerdem sprach der 38-Jährige über seinen eigentlichen Beruf und eine Szene mit Lewis Hamilton, die ihm massiven Ärger mit Fans einbrachte.
Herr Glock, am Samstag haben Sie einen ganz besonderen Einsatz: Wie viel Lampenfieber ist bei der Sim-Premiere im BMW M4 GT4 dabei?
Timo Glock: Nicht ganz so viel, ehrlich gesagt. Ich habe zuletzt gemerkt, dass die Fans zwar zuschauen, man selbst das aber gar nicht so realisiert. Deshalb ist das etwas geringer als auf einer echten Rennstrecke. Aber: Für mich ist es eine Premiere auf der Nordschleife. Mal schauen, ob ich den Weg um die Rennstrecke finde und ob ich akzeptable Rundenzeiten hinbekomme. Aber das bezweifle ich, denn für die Nordschleife braucht man ein bisschen länger. Das wird für mich eine große Herausforderung.
BMW hat den virtuellen Renner wie ein echtes Rennauto entwickelt, damit es so realistisch wie möglich wird. Überrascht Sie der Aufwand, der betrieben wird?
Glock: Das ist schon Wahnsinn, da bin ich echt überrascht. Ich habe erst seit wenigen Wochen den Simulator zu Hause stehen und habe noch nicht so extrem viel Zeit investiert. Ich habe noch nie ein Problem mit Simulatoren gehabt, aber für die letzten Zehntel- oder Hundertstelsekunden - und das konstant - braucht es viel Zeit und viel Training. Die Zeit habe ich noch nicht gehabt, dafür aber eine Menge Spaß. Es ist sehr realistisch, die Grafik ist unfassbar gut, genauso wie das Fahrgefühl.
Wollen Sie demnächst noch tiefer in die Materie eintauchen oder reichen die gelegentlichen Ausflüge in die virtuelle Welt?
Glock: Das ist vor allem ein Thema für den Winter. Ich habe da auch schon die eine oder andere Idee im Kopf, über die ich aber noch nicht sprechen kann.
Wie wichtig und hilfreich ist das Thema generell für Sie?
Glock: Es hilft dabei, sich auf Strecken vorzubereiten, die man noch nicht so gut kennt. Der Scan der Strecke, der mit hohem Aufwand betrieben wird, sorgt ja dafür, dass fast jede Bodenwelle dabei ist. Das ist verrückt.
BMWWie geht man als alter Hase, der nicht mit Sim-Racing aufgewachsen ist, mit diesem neuen Hype um, mit Twitch und den ganzen Livestreams?
Glock: Soweit bin ich noch nicht, ich habe noch keine Kamera aufgebaut, um zu streamen. Das wird vielleicht noch kommen.
Haben Sie dabei auch im Hinterkopf, dass Sim-Racing als Säule des Motorsport-Programms auch wichtig für BMW selbst ist?
Glock: Die Leute realisieren immer mehr, dass es eine Plattform und eine gute Möglichkeit sein kann. Durch Corona ist das ein großes Thema geworden. Die Frage ist, was passiert, wenn die Normalität wieder zurückkehrt. Ob es dann immer noch so einen Hype gibt? Ich denke, dass es auch in Zukunft eine gute Alternative bleiben kann. Vor allem, um im Winter den Motorsport im Vordergrund zu halten.
Glock: Abt? "Es war ein Elfmeter für Audi"
Daniel Abt und Audi haben zuletzt für Schlagzeilen gesorgt: Fanden Sie den Plan von Daniel, einen Sim-Racer für sich fahren zu lassen, um dann eine Doku darüber zu zeigen, witzig?
Glock: Schwer zu sagen, ob er es wirklich so geplant hat. Wenn man mit Daniel hätte weitermachen wollen, hätte man die 10.000-Euro-Geldstrafe akzeptiert und gut. Ich würde sagen, es war ein Elfmeter für Audi, um sich von Daniel zu trennen. Und man hat sich entschieden, das so durchzuziehen. Das war relativ offensichtlich.
War die Reaktion von Audi überzogen?
Glock: Klar war das nicht clever von ihm, einen anderen Fahrer fahren zu lassen. Aber das hätte man als Scherz vielleicht noch akzeptieren können. Ob er es wirklich so geplant hat, weiß nur er. Aber so, wie er es rübergebracht hat, nehme ich es ihm ab. Ich finde deshalb, dass die Reaktion überzogen war. Denn bei dieser Rennserie geht es in erster Linie um Spaß. Denn wenn man die Rennen gesehen hat, sah das eher wie Autoscooter aus.
Es gab einige Skandale im Sim-Racing: Haben die Rennprofis das Sim-Racing nicht ernst genug genommen?
Glock: Es geht in erster Linie um den Spaß an der Sache, und die Profi-Rennfahrer haben vor allem deshalb mitgemacht, weil wegen der Coronakrise die Zeit dafür da war. Wenn das Auto zum Beispiel kaputt ist, drücke ich auf Escape und fange wieder von vorne an. Wenn es eine andere Ernsthaftigkeit bekommen würde, würden die Piloten auch anders an die Sache herangehen.
Ist das dann aber nicht respektlos den Sim-Profis gegenüber?
Glock: Für die Sim-Racer ist es ihre Plattform, auf der sie sich einen Standard erarbeiten. Und dann kommen wir um die Ecke und machen teilweise Blödsinn. Klar: Das muss man an gewissen Stellen ernster nehmen, aber die meisten machen das ja auch. Ich gehe ja auch nicht mit dem Ziel in die Rennen, jemanden abzuschießen.
Glock: "War sehr erstaunt, dass ich der beste DTM-Fahrer war"
Wie liefen denn die ersten Rennen seit Ihrem Einstieg?
Glock: Ich war sehr erstaunt, dass ich beim DTM-Rennen auf dem Norisring der beste DTM-Fahrer war. Zuletzt in Bathurst bin ich zudem Zweiter geworden. Es war für den Anfang keine schlechte Ausbeute.
Wenn Sie bei Ihrer realen Karriere mit 38 Jahren mal zurückblicken: Gibt es etwas, dass Sie rückblickend anders machen würden oder bereuen?
Glock: Nein, denn jede Entscheidung hatte zu dem jeweiligen Zeitpunkt ihren Grund. Klar: Mit dem Wissen von heute würde man Dinge vielleicht anders angehen. Aber damals habe ich so gehandelt, und die Entscheidungen waren so richtig, wie ich sie getroffen habe. Ich bereue nichts.
Wie sehr haben Ihnen Ihre Wurzeln bei Ihrer Karriere geholfen?
Glock: Sehr viel. Bis zu meiner Formel-3-Zeit stand ich bei meinem Vater, der Gerüstbauer ist, am Montagmorgen um 6 Uhr im Geschäft. Mit kleinen Augen zwar, aber trotzdem habe ich dann die ganze Woche hart gearbeitet. Egal, wo das Rennen war. Mein Vater sagte dann immer: ‚Wer Rennen fahren kann, kann auch arbeiten.' Auch wenn es am Lausitzring war und ich noch 700 Kilometer fahren musste. Das hat mich immer wieder auf den Boden zurückgebracht. Ich habe den Verlauf meiner Karriere nie als normal angesehen, immer mit dem Wissen im Kopf, dass es ein Geschenk ist, dass ich das machen darf.
Dabei sah es als Kind nicht gut aus. Wie haben Sie es geschafft, Ihre Mutter nach Ihrem Beinbruch beim Motocross noch vom Kartfahren zu überzeugen? Sie war ja strikt dagegen?!
Glock: Das hat ein paar Jahre gedauert. Das haben wir aber relativ geschickt gemacht. Mein Vater sagte vor meiner Konfirmation: Wenn ich genug Geld zusammenbekommen würde, könnte ich mir ein eigenes Kart kaufen. Meine Mutter ging davon aus, dass ich so viel Geld nie zusammenbekommen würde. Hinter ihrem Rücken hat mein Vater dann allerdings die Verwandtschaft angestiftet, etwas mehr zu geben. Am Sonntag habe ich dann mein Geld gezählt und mir am Montag das Kart gekauft. Da konnte meine Mutter nichts mehr sagen, sie hatte sich ja auf die Wette eingelassen.
Lerne etwas Ordentliches, sagen Mütter ja gerne. War die Tatsache, dass sie Gerüstbauer gelernt haben, ein Kompromiss für den Fall, dass es nichts wird mit der Rennfahrer-Karriere?
Glock: Nein, für mich gab es nie etwas anderes, als in der Firma meiner Eltern zu arbeiten und die Firma irgendwann zu übernehmen. Ich hatte mich ja sogar schon zu meiner Meisterprüfung angemeldet, ehe mein Vater sagte, dass könne ich auch später noch machen, ich solle doch erst einmal probieren, wie es mit dem Motorsport weitergeht. Ganz ehrlich: Ich hätte kein Problem damit, heute sofort wieder in meinen alten Beruf zurückzugehen.
Glock: "Mir ist das in die Hände gefallen"
Sie waren damals bei der Prüfung immerhin Jahrgangsbester im Kammerbezirk Ihrer Heimat im Odenwald...
Glock: Mir ist das in die Hände gefallen. Ein Vorteil: Seit meiner Kindheit war ich immer bei meinem Vater dabei, wenn er unterwegs war und von Baustelle zu Baustelle gefahren ist und habe dabei alles Wichtige mitbekommen und aufgesaugt. Ich hatte Spaß daran, für mich waren die Tage auch nie um 17 Uhr beendet. Ich habe mich bei der Prüfung deshalb nicht quälen müssen. Trotzdem war ich mega nervös mit einem Puls von 180. Wir mussten damals einen Würfel bauen. Als ich die letzte Schraube zugezogen habe, wusste ich: Das kann nur 100 Punkte geben. So war es dann auch.
Trotzdem sollte es dann die Rennfahrer-Karriere sein. Die 79.000 Mark Einschreibgebühren für die Formel ADAC haben die Handwerker-Kollegen Ihres Vaters mitbezahlt...
Glock: Wir hatten damals nicht die finanziellen Möglichkeiten und wussten, dass es nur über Sponsoren geht. Wir gründeten damals den Odenwald-Förderkreis und dazu gehörten auch Bekannte und Kollegen aus dem Umkreis. Sie haben mich unterstützt, und so haben wir die ersten beiden Jahre finanziert. Und zu dem einen oder anderen gibt es auch heute noch Kontakt.
Hätten Sie heute noch Chancen auf eine Rennfahrer-Karriere?
Glock: Heute wäre es nicht möglich mit den finanziellen Mitteln, denn inzwischen ist es gefühlt unbezahlbar. Heute braucht man schätzungsweise 750.000 Euro für eine Formel-3-Saison, wir haben damals zwischen 150.000 und 200.000 Euro bezahlt, was bereits verdammt viel Geld ist.
Ein Sieg blieb Ihnen in der Formel 1 verwehrt, Sie haben aber für einen Titelgewinn gesorgt. Stichwort 2. November 2008...
Glock: Da war ich in Brasilien, oder? (lacht)
Genau. Melden sich die Fans immer noch jedes Jahr aufs Neue, um sie Sie zu beschimpfen, dass Sie Lewis Hamilton zum Weltmeister gemacht haben? Er überholte Sie in der letzten Kurve des Rennens und hatte deshalb einen Punkt Vorsprung vor Felipe Massa...
Glock: Ich lache da inzwischen drüber. Es ist deutlich besser geworden, nachdem die Formel 1 vor ein paar Jahren die Onboard-Aufnahmen veröffentlicht hat. Darauf ist deutlich zu sehen, dass es unmöglich war, auf nasser Strecke mit den Trockenreifen schneller zu fahren. Fakt ist aber auch: Ich bin ein fester Teil der Formel-1-Geschichte.
Die Reaktionen damals hatten Sie extrem schockiert, Sie mussten unter anderem unter Polizeischutz zum Flughafen...
Glock: Ja, wie die Fans reagiert haben und wie man mit mir umgegangen ist - das war verrückt, das war ich nicht gewohnt und ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren kann. Nach ein paar Jahren ist das abgekühlt, weshalb es dann einfacher wurde, damit umzugehen. Ich dachte mir immer nur: ‚Haben die keine Augen im Kopf?' Wir hatten ja im Endeffekt alles richtig gemacht und uns sogar verbessert. Trotzdem werfen mir die Leute heute noch vor, dass ich Lewis Hamilton geholfen hätte, den Titel zu gewinnen.
Glock: "Die Zweifel überwiegen"
Nun steht ihre achte DTM-Saison steht vor der Tür: Wird es nach dem Audi-Ausstieg die letzte für die Serie sein?
Glock: Ich will es nicht herbeischreien, aber die Situation ist keine schöne und schwierig. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir einen Weg finden, um die Plattform am Leben zu halten.
Welche Option sehen Sie persönlich als realistisch an?
Glock: Eine Variante wäre es, wenn man eine Art Einheitsauto baut, wo jeder Hersteller nur noch seine Hülle drüber stülpen muss. Mehr in Richtung V8-Supercars. Heißt: Mehr Leistung, da können nochmal 100 PS rein. Dazu sollte man die Autos noch mehr vereinfachen, die ganzen Aeroteile können weg, die richtig Geld kosten. Das kann man deutlich vereinfachen, und die Autos werden deutlich anspruchsvoller. Du kannst so einfacheren und kostengünstigeren Motorsport bieten, mit immer noch einer guten Show. Aber natürlich ist das einfach daher gesagt, denn die Zeit ist zu kurz, um das umzusetzen. Die Zweifel überwiegen, weil ich weiß, wie schwierig die Situation der Wirtschaft durch die Coronakrise ist. Auch die Hersteller sind in einer schwierigen Situation.
2019 war für Sie eine Saison zum Vergessen. Für den Titelkampf 2020 haben Sie sogar Ihr Auto zurück auf Gelb lackieren lassen...
Glock: Ich bin sehr froh, dass das gelbe Auto mit einem neuen Partner zurück ist. (lacht) Es sieht mega gut aus. Ich hoffe, dass 2020 dann auch das Glück zurückkommt, das wir 2019 nicht im Ansatz hatten.
BMW war 2019 am Ende gegen Audi chancenlos. Wie gut ist BMW diesmal gerüstet?
Glock: Wir haben hart gearbeitet, viel analysiert und definitiv Verbesserungen am Auto erzielt. Audi hat aber sicher auch nicht Däumchen gedreht. Wir müssen jetzt sehen, ob die Verbesserungen gut genug sind. Wir haben einen Schritt nach vorne gemacht. Wir müssen jetzt hoffen, dass er groß genug ist.