Nach neun WRC-Titeln in Folge zog der neunfache Weltmeister Sebastien Loeb einen Schlussstrich unter seine Rallye-Karriere. Im Interview spricht der erfolgreichste Fahrer aller Zeiten über fehlende Motivation, seine Schwächen auf der Rundstrecke und blickt auf seinen gescheiterten Formel-1-Ausflug zurück.
SPOX: Herr Loeb, jeder Motorsportinteressierte kennt Sie als neunmaligen Rallye-Weltmeister. Zuletzt sind Sie mit Peugeot bei der Dakar 2016 gestartet. Wie groß ist der Unterschied zwischen dem, was Sie in Ihrer Karriere zuvor gemacht haben und der Raid?
Loeb: Es ist komplett anders. Man muss fahren, ohne zu wissen, wohin. Ich habe mich wohlgefühlt, weil das instinktive Fahren auf den Straßen wichtig ist. Ich hatte aber zu kämpfen, als wir komplett offroad, in der Wüste, im Sand, in den Dünen waren. Darin hatte ich überhaupt keine Erfahrung, deshalb habe ich einige Fehler gemacht. Ich und mein Beifahrer Daniel Elena müssen uns da verbessern. Der Rest war schon gut. Es hat Spaß gemacht, dort zu fahren.
SPOX: Es gab einige Leute, die überrascht waren, dass Sie bei Ihrer ersten Teilnahme drei Etappensiege holten. Sie sind ziemlich selbstkritisch. Bis zu einem Unfall auf der achten von dreizehn Etappen führten Sie die Gesamtwertung als Rookie an. Ziemlich gut.
Loeb: Nicht gut genug. (lacht) Es waren zu viele Fehler. Wir blieben stecken. Wir hatten Reifenschäden. Wir haben uns überschlagen. Wir haben einfach zu viel Zeit durch kleine Fehler verloren. Ich hoffe, ich habe genug Erfahrung gesammelt, damit sich diese Fehler nicht wiederholen. Die Erfahrung ist heikel. Wenn man 500 Kilometer ohne Informationen zu den Zwischenzeiten fährt, weiß man nicht, ob man 20 Minuten verliert oder 5 Minuten gewinnt. Auf der Straße kann ich das erahnen, aber offroad weiß ich nicht, ob ich Vollgas geben muss oder nicht, wie schnell ich überhaupt fahren kann. Das versteht man nur mit ausreichender Erfahrung.
SPOX: Sie starten mittlerweile zudem in der Rallycross-WM. In Deutschland ist die Serie beinahe unbekannt, obwohl sie sich einer wachsenden Anhängerschaft erfreut. Warum haben Sie sich zur Teilnahme an der World RX entschieden?
Loeb: Welche Serien sind denn bekannter? Die WRC, aber da bin ich vor Jahren zurückgetreten. Ich wollte einfach Spaß haben und nochmal etwas komplett anderes machen. Ich tue das nicht für die Öffentlichkeit, sondern ausschließlich, weil ich es genieße. Rallycross ist aufregend, die Autos sind umwerfend, sehr leistungsstark. Sie fühlen sich in etwa wie Rallye-Autos an, haben aber viel mehr PS. Deshalb muss man seinen Fahrstil anpassen. Man muss mit dem Gaspedal aufpassen. Man kann zwar etwas mehr sliden, aber der Grat ist sehr schmal. Es ist sehr schwierig, dabei die richtige Balance zu finden.
SPOX: Wie würden Sie die Sportart jemandem beschreiben, der noch nie ein Rallycross-Event gesehen hat?
Loeb: Es ist eine großartige Show für jeden Zuschauer. Als ich 2013 als Gaststarter im französischen Loheac gefahren bin, war ich überrascht, dass 50.000 Zuschauer vor Ort waren. Die Atmosphäre ist sehr freundlich, die Rennen sind kurz und sehr hart - ziemlich extrem. Es sind Sprintrennen, bei denen kein Zuschauer einschläft wie bei anderen Serien mit länger andauernden Rennen.
SPOX: Als Rookie haben Sie bei den X Games 2012 in Los Angeles die Goldmedaille gewonnen. Der Auftakt in diese Saison verlief dagegen ziemlich schleppend. In Portugal war das Wetter sehr schlecht, die Strecke durch Regen sehr matschig. Für den Sieg hat es nicht gereicht, Sie wurden im Halbfinale Zweiter und kamen im Finale auf Platz 5, in Hockenheim verpassten Sie das Finale. Anschließend folgten Platz 2 in Belgien und ein weiteres verpasstes Finale in Norwegen. Sind Sie damit zufrieden?
Loeb: Das Niveau in der WM ist wesentlich höher als bei den X Games. Hier fahren vorne nur starke Fahrer mit Erfahrung. Es ist nicht so einfach, wie es in Amerika war. Das Ergebnis in Portugal war kein Pech. Ich bin glücklich, dass ich es ins Finale geschafft habe. Ich wollte dort ein gutes Gefühl bekommen und mich verbessern. Ich hoffe, dass ich dieses Jahr noch an der Spitze mit den besten Fahrern mitkämpfen kann. Es ist ziemlich schwer zu beurteilen, was ich hier erwarten kann. Ich muss erstmal die Strecken kennenlernen, das kostet etwas Zeit. Wenn ich soweit bin, werde ich vorne angreifen. Es wird schwierig, den Titel zu gewinnen, aber ich hoffe, dass ich darum kämpfen werde.
SPOX: In der WRX treffen Sie auf Ihren früheren Rivalen Petter Solberg. In der Saison 2003 wurden Sie mit nur einem Punkt Rückstand in der WRC-Fahrerwertung Zweiter, er gewann die Weltmeisterschaft. Ein Jahr später begann Ihre Serie, die nach neun WM-Titeln in Folge erst durch Ihren Rücktritt vom Rallye-Sport endete. Hat diese Niederlage etwas an Ihrer Herangehensweise geändert?
Loeb: Ja, das stimmt. Weil ich den Titel nur um einen Punkt verpasst hatte, wurde ich hungriger auf jeden einzelnen. Ich wurde aggressiver und habe immer bis zum Schluss gekämpft, um so viele Punkte wie möglich einzufahren.
SPOX: Entscheidet am Ende die mentale Stärke über Sieg oder Niederlage?
Loeb: Nicht nur. Es gehört natürlich dazu. Nur so kann man sein Können am Limit auch unter Druck nutzen. Es geht vor allem ums Gefühl. Instinktives Gefühl ist für mich die Basis des Fahrens. Damit kann man arbeiten und sich verbessern. Sebastien Ogier ist den anderen überlegen. Er gewinnt aber nicht, weil er mehr arbeitet, sondern weil er das bessere Gefühl für das Auto hat. So war es zu meiner Zeit auch. Zusätzlich muss man in der Lage sein nachzudenken, alles zusammenzusetzen und sich bestmöglich vorzubereiten.
SPOX: Einen Teil des Erfolgs macht auch die Vorbereitung des Beifahrers aus, der die nachfolgenden Kurven ansagt. Elena hat an Ihrer Seite alle Titel gewonnen. Gab es jemals einen Punkt, an dem die Freundschaft zwischen Ihnen auf die Probe gestellt wurde?
Loeb: Natürlich gibt es mal Spannungen, wenn man über eine lange Zeit im selben Auto sitzt und zusammen arbeitet. Er wollte aber wie ich immer nur seinen Job machen. Das hat er getan. Als ich mich für den Start bei der Dakar entschieden habe, war nicht von Anfang an klar, dass wir es zusammen machen würden. Aber am Ende hat er es bei der Vorbereitung und den Tests großartig gemacht.
SPOX: Sie haben die Rallye-WM von 2004 bis 2012 neunmal in Folge gewonnen, danach Ihren Rücktritt erklärt. Warum hat es Sie nicht gereizt, den zehnten Titel nacheinander zu holen?
Loeb: Irgendwann muss man sich entscheiden aufzuhören. Ich bekam das Gefühl, dass es genug war und wollte andere Erfahrungen machen. Der größte Teil meiner Karriere war im Rallye-Sport und ich hatte viel Spaß dabei. Mich haben damals aber die Rundstreckenrennen interessiert. Ich war glücklicher, wenn ich zu einem Rennen des Porsche Carrera Cups gekommen bin als zu einer Rallye in Argentinien. Auch wenn Rallyes an sich wohl die Disziplin ist, die einem Fahrer mehr Spaß bringt, hatte ich es 15 Jahre am Stück gemacht. Ich wollte mal etwas anderes sehen.
SPOX: Sebastien Ogier sagte zuletzt, die WRC werde durch die Regularien mehr und mehr zum Witz. Er bezog sich vor allem darauf, dass er als Weltmeister und Meisterschaftsführender zumeist als Erster starten muss. Stimmen Sie ihm zu?
Loeb: Auf jeden Fall stimme ich seinen Aussagen zu. Man kann sich darüber streiten, ob es gut ist, das öffentlich zu sagen. Die Regularien wirken sich für ihn nachteilig aus. Er fährt die Strecke sauber und das ist schwer. Er verliert dabei Zeit und kann nichts dagegen tun. Er muss große Risiken eingehen, damit er um den Sieg kämpft. Trotz dieser Regeln ist er dazu immer noch in der Lage, was sein Können beweist. Was will man mit der ganzen Sache erreichen? Will man, dass die Meisterschaft bis zum Ende offen ist, oder will man, dass der beste Fahrer Weltmeister wird? Aus meiner Sicht sollte jeder mit den gleichen Voraussetzungen starten. Wer besser ist, sollte gewinnen können. Darum geht es für mich und nicht darum, den Führenden der Meisterschaft zu bestrafen.
SPOX: Während Ihrer Zeit bei Citroen hatten Sie durch Ihren langjährigen Sponsor Red Bull zudem die Möglichkeit, die Formel-1-Autos zu testen. Beim Wintertest vor der Saison 2009 waren Sie direkt unter den besten Fahrern. Sie wollten sogar beim Saisonfinale in Abu Dhabi das Rennen fahren. Warum hat das nicht funktioniert?
Loeb: Ich weiß es bis heute nicht genau. Ich habe die Lizenz nicht bekommen, die ich für die Formel 1 gebraucht hätte. Es war auch nicht meine Priorität. Ich wollte es aus Spaß machen. Sicherlich hat es mich gereizt. Ich habe mich auch physisch darauf vorbereitet, weil die Formel 1 andere Anforderungen stellt. Im Endeffekt hat es nicht geklappt, ich hätte aber sowieso nicht gewonnen. Ich bin überhaupt immer noch glücklich, dass ich die Möglichkeit hatte, diese Autos zu fahren. Sie sind erstaunlich - die Geschwindigkeit in den Kurven, das Bremsen. Das war sensationell. Selbst Red Bull war überrascht, dass ich beim ersten Versuch bei den Tests in Barcelona direkt im Mittelfeld war.
SPOX: Sie haben nach Ihrer Zeit in der WRC den Schritt auf die Rundstrecke gewagt und sind mit dem Citroen-Werksteam in die Tourenwagen-WM eingestiegen. Schon beim zweiten Rennen feierten Sie Ihren ersten Sieg, Sie wurden in beiden Saisons Dritter der Gesamtwertung. Es scheint, als könnten Sie in jedes Auto klettern und direkt an der Spitze mitfahren.
Loeb: Schnell schon, aber bei den Besten dabei zu sein, ist schwer. Das Fahrgefühl von den Rallyes hat mich auf der Rundstrecke ziemlich schnell gemacht, aber um alle Details richtig hinzubekommen, muss man anders arbeiten. Für mich war das nicht mehr natürlich. Es ging nur noch ums Kopieren und die Daten zu checken. Das hat mir den Spaß etwas genommen. Die ganze Zeit war mit viel Arbeit verbunden, viele Meetings. Das war nicht gerade das, wonach ich gesucht hatte. Ich hoffe, dass ich beim Rallycross das Fahren mit Instinkt wiederfinde. Man muss dabei zwar mehr mit Daten arbeiten als bei den Rallyes, weil es immer dieselben Kurven sind und man sehr präzise fahren muss. Ich glaube, dass ich nicht so talentiert darin bin, Sachen immer zu wiederholen. Diese Art der Präzision ist nicht gerade meine Stärke. Ich fahre nach Gefühl.
SPOX: Gab es in Ihrer Karriere überhaupt einmal Punkt, an dem Sie an sich gezweifelt haben und dachten, dass Sie es nicht an die Spitze schaffen würden?
Loeb: Nicht wirklich. Bei den Rallyes habe ich es schließlich immer geschafft. Als ich in die WTCC gewechselt bin, hatte ich ein Programm vor mir, das auf drei Jahre ausgelegt war. Es wäre auch im dritten Jahr schwierig geworden, die Besten zu besiegen. Aber so ist das Leben. Natürlich gewinne ich lieber. (lacht) Aber wenn es nicht möglich ist, muss man das akzeptieren. Ich bin zufrieden, dass ich mit einem Yvan Muller gekämpft habe, der vierfacher Champion ist. Für einen Rookie dieser Disziplin, wie ich es war, ist das ziemlich gut. Dann gibt es aber noch Fahrer wie Jose Maria Lopez, der seit 20 Jahren Rennen fährt. Er kennt alle Details, da hatte ich stark zu kämpfen.
SPOX: Citroen hat nach der Saison 2015 den Stecker aus seinem Werksprogramm in der WTCC gezogen. Ihr Engagement endete ein Jahr früher als geplant. Sie sind als Eigentümer mit Ihrem eigenen Team "Sebastien Loeb Racing" aber dabeigeblieben und setzen zudem Autos im Porsche Carrera Cup und den Nachwuchsklassen der Rallye-WM ein. Was ist das Ziel dabei?
Loeb: Wir haben das Team gegründet, als ich mit den Rallyes aufgehört habe, damals wusste ich nicht, was ich tun würde. Ich hatte überlegt, komplett zurückzutreten. Allerdings habe ich schnell gemerkt, dass ich weiterfahren will. Der Ort, wo ich mich wohl fühle, ist im Auto. Deshalb habe ich jetzt zwei Tätigkeiten. Das Management des Rennstalls macht größtenteils aber mein Geschäftspartner, der mir die wichtigsten Informationen weitergibt. Dann Entscheidungen zu treffen, ist ein großer Unterschied zum Leben als Rennfahrer. Man muss immer an das Wohlsein des ganzen Teams denken. Es ist ziemlich kompliziert, das richtige Budget zusammenzubekommen. Das Rennen ist nur ein ganz kleiner Teil des Unternehmens, der Rest ist Management - und das mag ich nicht wirklich. Es ist nicht gerade meine Leidenschaft.
SPOX: Was wollen Sie am Ende mit dem Team erreichen? Meisterschaften oder Nachwuchsförderung?
Loeb: Unsere Motivation ist, den Nachwuchs zu fördern, wenn wir geeignete Kandidaten finden. Es ist aber schwierig, Sponsoren dafür zu gewinnen. Das Ziel ist nicht, dass ich dafür zahle. Ich will kein Geld damit verdienen, aber auch nicht meins dafür ausgeben. Wir wollen jungen Fahrern die Möglichkeit geben, in einem gut arbeitenden Team zu fahren. Es ist auch ein Projekt für die Zeit, wenn ich selbst mit dem Fahren aufhöre. Ich würde gerne im Motorsport bleiben. Motorsport ist mein Leben und meine Leidenschaft.
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