Zugegeben, dafür bestritt Wewering 48.500 Rennen - auch das ist einsame Spitze. Das wiederum liegt vor allem daran, dass man den Trabrennsport bis ins hohe Alter ausüben kann. Heinz Wewering ist 61, hat also noch neun Jahre bis zum Erreichen der zulässigen Altersgrenze.
Und wie man ihn kennt, wird Wewering, der seinen Job nach wie vor mit großer Leidenschaft betreibt, diese Zeit ausschöpfen und sich noch oft auf die kleine Kutsche mit den zwei Fahrradreifen schwingen, vor die die Trabrennpferde gespannt werden.
Zu groß und kräftig für einen Jockey
Heute werden Sulkys aus Carbon gebaut, sind federleicht und kosten soviel wie ein guter Gebrauchtwagen. Als Heinz Wewering den Beruf des Trabrennfahrers erlernte, gab es noch den guten alten Holzsulky.
Das war 1964, Heinz Wewering gerade vierzehn Jahre jung, allerdings schon groß und stark, so dass er den eigentlichen Traumberuf des Jockeys abhaken musste.
Da sich der Teenager Wewering, der mit acht Geschwistern in Albachten bei Münster aufwuchs, aber nun mal den Pferdesport in den Kopf gesetzt hatte und auch seinem Onkel Theo Grieper, Privattrainer auf Gestüt Röttgen, nacheifern wollte, wählte er die Ausbildung im Trabermetier.
Diese Notlösung war der Beginn einer einzigartigen Laufbahn, eines Triumphzugs, wie ihn der Rennsport noch nicht erlebt hat - und wohl auch nicht mehr erleben wird.
Wewering schreibt Geschichte
Am 13. September 1965 gewinnt Heinz Wewering, damals 15 Jahre jung, mit Morgan vom Veeinghof sein erstes Rennen. 1967 legt er die Prüfung zum Profifahrer ab, zehn Jahre später erobert Wewering erstmals den goldenen Helm des deutschen Champions, einen Titel, den er 28 Mal in Folge verteidigt.
Vier Mal wird Wewering Europameister, zwei Mal, 1993 und 1997, Weltmeister. Historisches gelingt ihm zunächst 1983 - 704 Siege in einer Saison bleiben lange unerreicht - und dann wieder am 18. Juni 2003: Mit seinem 14.899. Sieg löst Heinz Wewering den Kanadier Herve Filion als erfolgreichsten Sulkysportler der Welt ab.
Sagenhafte 47.744.355 Euro (Stand 13. März 2011) fährt Wewering für die Besitzer seiner Pferde ein. Mit ganz wenigen Ausnahmen gewinnt er alle großen Rennen, allein acht Mal das Deutsche Traber-Derby in Berlin-Mariendorf, zuletzt 2010 mit dem Hengst Unikum. Und das zu einem Zeitpunkt, als viele Wewering schon nicht mehr auf der Rechnung haben.
Flucht nach Italien
Denn vier Jahre zuvor war der "Goldhelm", wie ihn seine Fans wider besseres Wissen noch immer nennen, von der Bildfläche verschwunden. Zumindest von der deutschen.
Infolge rapide sinkender Wettumsätze und Dotationen in Deutschland brach der Pferdemarkt damals zusammen. Heinz Wewering, der nebenbei immer auch ein gefragter Händler war, hatte sich verkalkuliert und saß plötzlich auf einem Berg von Pferden, darunter ein sündhaft teurer amerikanischer Deckhengst.
Er gab seinen Trainingsbetrieb im Rheinland auf und versuchte einen Neuanfang in Italien. Richtig sesshaft geworden ist Heinz Wewering im Süden allerdings nicht. Keine zwei Jahre später kehrte er nach Deutschland zurück und heuerte bei der Großbesitzerin Marion Jauß als Privattrainer an.
Wewering Jr.: Pferdesport, Modebranche, Bankwesen
In dieser Funktion ist Wewering seit August 2010 für Ulrich Mommert, den Präsidenten der Trabrennbahn Berlin-Mariendorf, und dessen Frau Karin Walter-Mommert tätig. Er betreut rund 70 Pferde und pendelt dafür ständig zwischen dem Gestüt Brammerau nahe Kiel und der nördlich von Berlin gelegenen Mommert-Ranch in Eichstädt.
Auch privat ist das Glück zum Welt-Champion des Sulkysports zurückgekehrt. Lebensgefährtin Chantal Solhart teilt mit Wewering nicht nur die Leidenschaft für schnelle Rennpferde. Aus seinen beiden Ehen sind drei inzwischen erwachsene Kinder hervorgegangen. Oliver Wewering schien einst sogar in die großen Fußstapfen seines Vaters zu treten, als er 1999 mit German Titan das Deutsche Traber-Derby gewann.
Doch nur ein Jahr später überraschte der damals 30-Jährige mit einem außergewöhnlichen Schritt. Er nahm Abschied vom Trabrennsport und wechselte in die Modebranche. Heute ist Oliver Wewering Anlageberater bei einer großen deutschen Bank und nur noch ganz sporadisch auf der Rennbahn zu sehen.
Heinz Wewerings Jüngste, Marie-Charlott (19), ist ebenfalls vom Trabervirus infiziert, hat bereits mit sechzehn die Amateurfahrer-Lizenz erworben und auch schon das ein oder andere Rennen gewonnen. Derzeit arbeitet sie ehrgeizig an ihrem Abitur, um sich den Traum des Tiermedizin-Studiums zu erfüllen.
Pferdesport hat Vermarktung verpasst
Fleiß war stets auch Heinz Wewerings Erfolgsrezept, gepaart natürlich mit einer ordentlichen Portion Pferdeverstand und einer gewissen Genialität, wie sie nur ein Mann besitzt, der mehr als 16.000 Mal als Sieger über die Ziellinie fuhr.
Überdies beherrscht Wewering wie kein anderer die hohe Schule der Diplomatie. Er ist ein begehrter Gesprächspartner bei Journalisten, antwortet druckreif und kann die komplizierte Materie Trabrennsport einem Laien plausibel erklären.
Leider hat man es versäumt, Heinz Wewering entsprechend zu vermarkten. Viele Randsportarten wären froh um eine solche Lichtgestalt.
Keine Lust aufs Ausland
Auch in die Schulung und Ausbildung seiner Nachfolger wurde Wewering nie konsequent eingebunden. Dabei lobt er Roland Hülskath und Michael Nimczyk, die in jüngerer Vergangenheit den Gewinn des Goldhelms ausfechteten, sprich um den Titel Deutscher Meister der Trabrennfahrer kämpften, in den höchsten Tönen.
"Wir haben im deutschen Trabrennsport viel zu wenig Nachwuchs und müssen froh sein, wenn die beiden hier bleiben", sagt ein nachdenklicher Heinz Wewering, der selbst in jungen Jahren den Verlockungen des Auslands widerstand. "Mitte der 80er hätte ich in Frankreich den Stall von Leopold Verroken übernehmen können, hatte aber damals selbst 200 Pferde im Training und blieb in Deutschland", erzählt er.
Eine Entscheidung, mit der Wewering heute keinesfalls hadert: "Im Nachhinein war es vielleicht ein Fehler, aber damals boomte der Trabrennsport auch bei uns noch."
Wewering: "So viele unvergessene Siege"
Die Tatsache, dass er keines der drei größten Rennen, den Prix d'Amerique in Paris, das Hambletonian in den USA oder den Elitloppet in Stockholm, je gewinnen konnte, sieht Wewering übrigens pragmatisch. "Dafür war ich einfach im falschen Land. Diese Länder haben selbst erstklassige Fahrer und Trainer, außerdem brauchst du Pferde mit Weltklasse-Niveau."
Über einen Mangel an bedeutenden Siegen kann Wewering dennoch nicht klagen. Auf die Frage nach seinem schönsten Erfolg zögert er zunächst, beginnt dann aufzuzählen und stoppt nach etwa zwanzig Namen: "Das funktioniert nicht, es sind so viele unvergessene Siege. Wenn ich einen herauspicke, tue ich anderen unrecht."
Spontan könne er fünfzig Erfolge nennen, die er auf eine Ebene stellen würde: "Natürlich den allerersten, den vergisst man nie, dann den ersten Derbysieg, der genauso emotional war wie der letzte, die Siege mit Babesia und Diamond Way..."
So kann ein Besuch bei Heinz Wewering, der eigentlich nur zehn Minuten dauern sollte, schnell mal eine Stunde wie im Flug vergehen lassen. Heinz Wewering hat eben viel erlebt - und viel zu erzählen.