Im Interview mit SPOX spricht Hillis über die Geheimnisse eines Pferdesport-Kenners, seine zweite Leidenschaft, Parallelen zu anderen Sportarten und seine enge Beziehung zur Familie Lahm.
SPOX: Herr Hillis, Sie sind gebürtiger Ire. Da ist der Weg zum Pferdesport nicht weit, oder?
John David Hillis: Überhaupt nicht. In Irland ist Pferdesport fast die Nummer eins. Wenn man will, kann man praktisch jeden Tag Pferderennen im Fernsehen anschauen. Im Winter laufen die Hindernisrennen, im Sommer die Flachrennen. Ich bin sehr früh zum Pferdesport gekommen, weil mein Vater ein leidenschaftlicher Wetter war - und ich war sein Laufbursche. Ich musste schon mit fünf Jahren täglich für meinen Vater beim Buchmacher vorbeischauen.
SPOX: Und wann sind Sie aktiv eingestiegen?
Hillis: Ich war Teenager und immer noch sehr klein, dazu extrem leicht. Deshalb haben alle gesagt, dass es gut zu mir passen würde, Jockey zu sein. Mit 16 habe ich mein erstes Rennen mitgemacht. Da habe ich vielleicht 40 Kilo auf die Waage gebracht. Anschließend musste ich drei Jahre lang auf die Lehrlingsschule.
SPOX: Was genau passiert auf so einer Lehrlingsschule für Jockeys?
Hillis: Zunächst macht man die ganz normale Stallarbeit, die wir auch heute hier bei uns machen. Erst nach ein paar Wochen kommt das Reiten dazu. Außerdem der theoretische Unterricht, in dem man alles über das Pferd lernt: Den Körperaufbau, oder das Verdauungssystem. Prüfungen muss man natürlich auch schreiben. Und man bekommt Informationen darüber, wie man sich richtig ernährt, um sein niedriges Gewicht zu halten.
SPOX: Was sind die Qualitäten, die einen guten Jockey ausmachen?
Hillis: Du musst Pferde lieben. Das ist das Wichtigste. Sonst kann man den Job nicht machen. Wenn hier in meinem Stall zum Beispiel ein Angestellter einen schlechten Tag hat und seine Laune an dem Pferd auslässt, kann in zehn Minuten die Trainingsarbeit von drei Monaten hin sein. Ein Pferd spürt sofort, wenn es anders behandelt wird. Wenn es aber nicht weiß warum, kann das sehr verstörend wirken. Was ich sagen will: Man muss seinen Pferden viel Liebe geben. Sonst werden keine erfolgreichen Rennpferde aus ihnen.
SPOX: Was ist sonst noch wichtig?
Hillis: Nervenstärke. Man darf den Stress nicht unterschätzen, dem ein Jockey ausgesetzt ist. Der Besitzer zahlt jeden Monat dafür, dass man Erfolg hat. Natürlich will er etwas sehen. Im Rennen den richtigen Moment zu treffen, wann man das Pferd zurückhält und wann man nach vorne geht, ist nicht einfach. Und dann reitet man unter Umständen ein Tier, das sechs- oder siebenstellige Beträge wert ist. Das ist eine gewaltige Verantwortung. Kraft ist auch enorm wichtig. Sie dürfen nicht glauben, dass man nur auf dem Pferd steht und es reiten lässt. Man muss mit dem ganzen Körper mitarbeiten.
SPOX: Kann man das Talent eines Jockeys gleich erkennen?
Hillis: Ein Indiz ist auf jeden Fall der sichere Umgang mit dem Pferd. Auch mit einem fremden. Ich hatte am Anfang sehr viel Respekt vor Pferden, ich war richtig nervös. Aber das hat sich schnell gelegt. Und man muss den Willen zu harter Arbeit spüren. Gepflegte Fingernägel bringen einem gar nichts. Dieses Leben ist hart, das muss jedem klar sein. Man muss jeden Tag früh raus, auch bei minus 15 oder 20 Grad! Da gibt's keine Ausreden.
SPOX: Und wie groß ist letzten Endes der Anteil eines Jockeys am Erfolg? In der Formel 1 zum Beispiel kann ein Fahrer noch so gut sein, wenn das Auto nichts taugt, ist er chancenlos.
Hillis: Im Pferdesport ist es genau dasselbe. Das Pferd macht bestimmt 85 Prozent aus. Zwischen den Top-Jockeys der Welt gibt es praktisch keine Unterschiede. Vielleicht gibt es mal eine Ausnahmeerscheinung wie Michael Schumacher in der Formel 1. Aber wenn man sich ein beliebiges Rennen und ein Siegerpferd herauspickt, hätten wahrscheinlich auch 90 Prozent der anderen Jockeys mit diesem Tier gewonnen.
SPOX: Und wie erkennen Sie, ob ein Pferd Siegpotenzial hat?
Hillis: Das ist Glückssache. Natürlich reden viele Menschen von Blutlinie, erfolgreichen Tieren aus der Verwandtschaft, Zucht. Das ist ja auch wunderbar. Wenn man zwei Top-Pferde miteinander paart, verbessert das die Aussichten der Nachkommen schon. Aber eine Garantie ist das noch lange nicht. Ein weiterer Vorteil ist natürlich eine gute Physiognomie. Dann hat man als Trainer automatisch weniger Arbeit, weil man auf etwaige Fehlstellungen nicht mit einem speziellen Training reagieren muss. Die am schönsten geformten Pferde sind dann natürlich automatisch deutlich teurer. Und noch mal: Eine Garantie ist das noch lange nicht.
SPOX: Wie schnell wissen Sie, ob ein Tier etwas taugt oder nicht?
Hillis: Damit ich Lust habe, ein Pferd zu trainieren, muss es mich schon auf den ersten Blick mit seiner Ausstrahlung überzeugen. Das ist schwer an Fakten festzumachen. Aber wenn es bei mir nicht Klick macht, dann lehne ich lieber ab. Es könnte natürlich trotzdem ein tolles Pferd sein. Aber wenn ich schon sehe, dass es steife Schultern oder einen schweren Schritt hat, dann gefällt es mir nicht. Denn für einen Trainer bedeutet so ein Tier doppelt so harte Arbeit.
SPOX in action: Ein SPOX-Redakteur setzt sich aufs Pferd
SPOX: Apropos harte Arbeit: Wenn man sich auf Ihrem Gelände umschaut, kann man schon erahnen, dass die Tiere körperlich ganz schön gefordert werden. Im Rennen allerdings kommt ja auch noch die nervliche Belastung dazu. Wie bereiten Sie Ihre Pferde darauf vor?
Hillis: Das muss natürlich auch trainiert werden, ganz klar. Philipp Lahm hat mir mal gesagt: "Ich habe viele Spieler auf meiner Position gesehen, die im Training genauso gut oder besser waren als ich. Aber wenn es dann ins Stadion geht und man vor 60.000 Leuten seine Leistung bringen muss, dann kann nicht jeder mit diesem Druck umgehen." So ist es auch bei Pferden: Die ungeeigneten schwitzen, sind nervös und haben im Prinzip schon vor dem Start verloren. Aus dem Grund können wir auch im Training mit jungen Tieren nicht sofort volle Pulle gehen. Damit überfordert man sie. Sie müssen langsam an die Belastung herangeführt werden.
SPOX: Mit Lahm verbindet Sie, dass Sie seine Stute Surabaja trainieren.
Hillis: Nicht mehr. Surabaja haben wir vor einigen Wochen verkauft. Sie war sieben Jahre alt, da war es langsam Zeit für etwas anderes. Ich hoffe aber, dass Philipp bald bei einem anderen Pferd wieder einsteigt.
SPOX: War er denn ab und zu hier?
Hillis: Am Anfang schon. Etwa alle drei Wochen. Er war bei vielen Rennen, die Surabaja gemacht hat, dabei. Aber Sie wissen selber, dass jemand wie Philipp sehr wenig Zeit hat. Vor kurzem kam die Meldung, dass er in 100 Pflichtspielen in Folge in der Startelf stand. Das sagt doch alles. Er ist im Moment froh, wenn er überhaupt mal einen Tag Ruhe hat.
SPOX: Hat er sein Pferd auch selbst geritten?
Hillis: Nein. Am Anfang hat er noch gesagt, dass er Lust dazu hat. Aber das habe ich ihm verboten. Ich hatte keine Lust darauf, dass der FC Bayern bei mir anruft und fragt, warum Philipp bei mir vom Pferd gefallen ist. (lacht)
SPOX: Haben Sie trotz seines vollen Terminkalenders viel Kontakt zu ihm?
Hillis: Ich kenne seine ganze Familie, die haben alle ihre Pferde bei mir. Mit seinem Vater spiele ich inzwischen sogar Golf. Er hat vor kurzem erst angefangen, ich war früher mal ganz gut. Aber als Jockey und Trainer hat man leider zu wenig Zeit. Mein 12er Handicap ist mittlerweile wieder bei 36. Dabei ist Golf wirklich eine tolle Ablenkung.
SPOX: Jetzt haben wir viel über Fußball und Fußballer gesprochen. Sind Sie ein großer Fan?
Hillis: Fußball ist meine zweite große Leidenschaft. Mein Verein war immer Leeds United, weil dort früher viele irische Spieler gespielt haben. Damals waren wir richtig gut, jetzt sind wir scheiße. Obwohl: Noch haben wir die Chance, in die Premier League aufzusteigen.
SPOX: Aber Sie verfolgen doch sicher auch die Bundesliga.
Hillis: Seit ich hier wohne, gehe ich natürlich sehr gerne zum FC Bayern. Dank Philipp bekomme ich neuerdings immer mal wieder Karten für die Spiele. Ich wohne jetzt seit über 20 Jahren in Deutschland. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich inzwischen wahrscheinlich eher den Bayern die Daumen drücken als Leeds. Das sollte ich vielleicht nicht unbedingt sagen, aber Bayern war schon in Irland immer ein sehr beliebter Klub.
SPOX: Tatsächlich?
Hillis: Na klar, Bayern war schwer angesagt. Dafür haben wir Manchester United gehasst. Sie wissen sicher, wie das läuft, wenn Kinder Fußball spielen: "Du bist Müller, ich bin Beckenbauer." Niemand wollte ein Engländer sein. Egal, wie gut Bobby Charlton und Co. waren, alle wollten immer viel lieber die Bayern-Spieler sein. Gerd Müller war der beliebteste von allen, mein Favorit war Beckenbauer.
SPOX: Vermissen Sie Ihre Heimat?
Hillis: Lange Zeit war das tatsächlich so. Inzwischen ist Deutschland meine Heimat. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe es nach wie vor, nach Irland zu reisen. Aber eigentlich ist das in erster Linie so, weil dort meine Eltern wohnen. Einmal im Jahr, an Weihnachten oder Silvester, besuche ich sie noch für ein paar Tage. Aber ganz ehrlich: Das schlechte Wetter geht uns manchmal so auf die Nerven, dass wir uns einfach auf Gran Canaria treffen. (lacht)
SPOX: Und dann unterhalten Sie sich mit Ihrem Vater immer noch über Pferdewetten?
Hillis: Es hat sich nichts geändert: Er wettet immer noch jeden Tag.