Nairo Quintana ist zu spät. Die Top-Favoriten des 97. Giro d'Italia haben längst auf einer Bühne in Belfast Platz genommen, da hastet auch der schmächtige Kolumbianer zur öffentlichen Fragerunde mit seinen Rivalen. Ein herzliches Lächeln, ein fester Händedruck - Quintana grüßt jeden Konkurrenten. Ab Freitag wird es mit den Höflichkeiten zunehmend vorbei sein, auch beim deutschen Sprintstar Marcel Kittel.
"Es steht 0:0. Jeder von uns hat das Potenzial, dieses Rennen zu gewinnen", sagte Movistar-Profi Quintana, umringt von Spitzenfahrern wie Ex-Champion Michele Scarponi (Italien/Astana), dem früheren Tour-Sieger Cadel Evans (Australien/BMC) oder seinem Landsmann Rigoberto Uran (QuickStep). In Abwesenheit des Titelverteidigers Vincenzo Nibali sind 3445,5 km in 21 Etappen zu überwinden, die Entscheidung über den Gesamtsieg wird im Hochgebirge in der Schlusswoche fallen.
Kittel wird dann womöglich nicht mehr im Rennen sein. Er ist eine der großen Attraktionen bei der ersten großen Landesrundfahrt des Jahres. Einer, auf den sich die Augen der radsportverrückten Tifosi in den ersten zwei Wochen immer wieder richten dürften. Mit vier Etappenerfolgen bei der Tour 2013 hat sich der gebürtige Arnstädter in der Weltspitze etabliert und geht bei seinem Giro-Debüt als Sprintfavorit ins Rennen.
Etappensiege als Ziel
"Wir werden direkt versuchen, auf den ersten Etappen um den Sieg zu fahren. Wir können ein großes Wörtchen mitreden", sagte Kittel dem "SID" in Belfast. Bei aller Vorfreude auf den Giro bleibt Kittels großes Ziel aber die Tour, er wolle sich "nicht kaputtfahren".
Zum elften Mal startet die Italien-Rundfahrt im Ausland, und die nordirische Hauptstadt hat sich herausgeputzt. Rosa, die Farbe des Trikots des Gesamtführenden, ist im Stadtbild allgegenwärtig. Restaurantbesitzer streichen ihre Zäune in Giro-Color, sogar das Schwarz ist an manchem britischen Taxi dem Rosa gewichen. Hier will Kittel zum ersten Mal zuschlagen.
Nach dem Mannschaftszeitfahren zum Auftakt wird bei der zweiten Etappe in Belfast eine Sprintankunft erwartet. Kittel hat die besten Karten. Seine großen Rivalen Mark Cavendish (Großbritannien/QuickStep), der im Vorjahr fünf Giro-Etappen gewann, und der Rostocker Andre Greipel (Lotto) sind nicht am Start. "Es sind trotzdem gute Sprinter dabei. Die Siege werden uns nicht zufallen", sagte Kittel, der die volle Unterstützung seines Teams Giant-Shimano genießt. Kittel dürften etwa der Italiener Elia Viviani (Cannondale) oder Nacer Bouhanni aus Frankreich (FDJ) gefährlich werden.
In Gedenken an Pantani
Der Giro d'Italia 2014 steht derweil auch im Zeichen von Marco Pantani. Zehn Jahre nach dem Tod des italienischen Radprofis wird des "Piraten" mit den Bergankünften in Montecampione und in Oropa gedacht. Dort hatte der Giro-Sieger von 1998, der am 14. Februar 2004 an einer Überdosis Kokain gestorben war, zwei seiner größten Tagessiege bei der Italien-Rundfahrt gefeiert.
Die beiden Etappen läuten die heiße Phase im Kampf um den Gesamtsieg ein. Nairo Quintana, der Tour-Zweite, der für den Giro in diesem Jahr auf die Frankreich-Rundfahrt verzichtet, will dann im Ziel seinerseits auf die Konkurrenten warten.