Nach 45 Kilometern verwies Martin in 52:10 Minuten die chancenlosen Nikias Arndt (Buchholz/Giant-Alpecin) und Stefan Schumacher (Nürtingen/CCC Sprandi) auf die nächsten Ränge. Der Quick-Step-Profi fuhr in einer eigenen Liga und durfte deshalb seinen Jubel schon knapp 100 Metern vor der Zieldurchfahrt beginnen. Sein Vorsprung auf Arndt betrug 2:10 Minuten. "Ich bin überrascht, dass es schon so gut gelaufen ist. Das ist nochmal eine Zusatzmotivation", sagte Martin.
Für den gebürtigen Cottbuser war das Rennen die Generalprobe für das Tour-Zeitfahren am Samstag in einer Woche. Dort will sich Martin einen Lebenstraum erfüllen und mit einem Sieg erstmals in seiner Laufbahn in das begehrte Gelbe Trikot schlüpfen. "Meine Saison habe ich mental auf diesen Tag aufgebaut. Diese Chance werde ich nicht mehr oft bekommen. Die Saison steht und fällt mit der Tour, die erste Woche ist der absolute Schwerpunkt", sagte Martin am Donnerstagabend.
Martin immer wieder im Pech
Seine bisher besten Gelegenheiten, das Maillot jaune zu erobern, hatte Martin 2012 im belgischen Lüttich und 2010 ebenfalls in den Niederlanden in Rotterdam. In Lüttich platzte ein Reifen, als Martin über eine Glasscherbe fuhr, in Rotterdam hatte er Pech mit schlechten Witterungsbedingungen. In beiden Rennen siegte der Schweizer Fabian Cancellara, der auch am Samstag in einer Woche zu den härtesten Rivalen zählt. Dazu seien vor allem Tom Dumoulin (Niederlande) und Adriano Malori (Italien) zu beachten, meinte Martin.
Für Martin wäre ein Triumph in Utrecht ein weiteres großes Karrierehighlight. Dann würde ihm in seiner Vita lediglich noch der Zeitfahr-Olympiasieg fehlen. "Gold wäre noch größer als das Gelbe Trikot", sagte Martin. Den Stundenweltrekord des Briten Bradley Wiggins wird er sich wahrscheinlich nicht vor 2017 vornehmen.
Überlegen zum Titel
Auf dem topfebenen und technisch kaum anspruchsvollen Meisterschafts-Kurs spielte Martin seine Fähigkeiten überlegen aus. Der viermalige Tour-Etappensieger zeigte sich trotz der kaum vorhandenen Konkurrenz in starker Verfassung. "Ich bin schnell angegangen, um den Tour-Prolog zu simulieren und in Bereiche gefahren, die ich nicht erwartet hätte", betonte er.
Schon vor dem finalen Härtetest hatte er mit Blick auf die Tour Überzeugung ausgestrahlt. "Ich bin bereit. Die Aufregung wird zwar schon eine andere sein als bei einer Weltmeisterschaft. Aber ich werde nicht mit zitternden Knien in Utrecht am Start stehen", sagte Martin, der auf das Meisterschafts-Straßenrennen am Sonntag verzichtet und stattdessen in seiner Schweizer Wahlheimat am Bodensee Tour-Feinschliff betreibt.
Am Dienstag zum Grand Depart
Am Sonntag und Montag plant Martin noch zwei harte Trainingseinheiten hinter dem Auto, bevor er bereits am Dienstag zum Grand Départ aufbricht. Sollte sich sein Traum erfüllen, will ihn Martin möglichst lange auskosten: "Das Trikot bis zum Mannschaftszeitfahren der neunten Etappe zu verteidigen, wäre mein Wunsch".
Bei den Frauen verpasste die amtierende Zeitfahr-Weltmeisterin Lisa Brennauer (Kempten) unterdessen ihren dritten deutschen Meistertitel in Serie. Die 27-Jährige musste sich nach 30 Kilometern überraschend der 21 Jahre alten Mieke Kröger aus Bielefeld geschlagen geben. Das Podium komplettierte Trixi Worrack (33/Cottbus).