"Natürlich wäre ich da gerne dabei gewesen. Aber er hat verdient gewonnen, Chapeau", sagte Radstar Degenkolb, der 99 Tage nach seinem verheerenden Trainingsunfall auch ohne Top-Resultat bei der 55. Auflage des Traditionsrennens Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt ein gelungenes Comeback feierte.
Dass irgendwann die Akkus leer seien würden, erklärte Degenkolb im Hessischen Rundfunk weiter, "war ja zu erwarten. Alles andere wäre auch ein Ding der Unmöglichkeit gewesen." Insbesondere bei diesem Rennverlauf, den der 27-Jährige sogar teilweise mitbestimmte.
Über mehr als 150 km hatte sich der Klassikerspezialist aufgerieben, für seine Kollegen im Team Giant-Alpecin zwischenzeitlich auch die Führungsarbeit geleistet. Als dann der knackige Anstieg in Mammolshain mit bis zu 24 Prozent Steigung ein drittes Mal bewältigt werden musste, war es um Degenkolb geschehen. "Ich denke aber", sagte er, "dass das Rennen so dennoch in Ordnung geht."
Entscheidung im Massensprint
Fast zeitgleich zu Degenkolbs "Kapitulation" versuchte der dreimalige Zeitfahrweltmeister Tony Martin (Etixx-Quickstep) mit einem Ausreißversuch seinen Premierensieg am Main zu holen. "Es war einfach noch ein weiter Weg nach Frankfurt", sagte er zu seinem missglückten Versuch: "Dennoch war es toll, vor dieser grandiosen Kulisse zu fahren."
Die Entscheidung fiel auch deshalb wie 2014, als Kristoff triumphiert hatte, auf den letzten Metern. Im Massensprint zeigten der Favorit und sein Team eine taktische Meisterleistung - der Ire Sam Bennett, der Kristoff von der Grundschnelligkeit hätte schlagen können, blieb ohne Chance und wurde hinter Maximiliano Richeze (Argentinien) Dritter.
Viele Ausreißer
Zuvor hatten wie erwartet gleich zu Beginn des Rennens, das im Vorjahr wegen einer Bombenwarnung nicht hatte stattfinden können, einige Fahrer ihr Heil in der Flucht gesucht. Aber erst nach einer guten Stunde, als das Peloton den Feldberg überwinden musste, setzte sich eine fünfköpfige Gruppe mit dem Frankfurter Björn Thurau (Wanty-Groupe Gobert) auch erfolgreich ab.
Weil das Feld mit Degenkolb und Martin das Tempo drosselte, wuchs der Vorsprung der Ausreißer zwischenzeitlich auf etwa zwei Minuten an. Erst nach dem Vorstoß von Niki Terpstra, Geheimfavorit und Teamkollege von Martin, ließen die Verfolger den Abstand nicht noch weiter anwachsen. 60 km vor dem Ziel waren Thurau und Terpstra als letzte Ausreißer gestellt - der finale Showdown nahm seinen Lauf.
Heimrennen für Degenkolb
Eigentlich hatte auch Degenkolb bei seiner Saisonplanung gehofft, zumindest um den Sieg mitzukämpfen. Der Traum vom zweiten Triumph beim prestigeträchtigen Heimspiel - der gebürtige Geraer lebt mit Ehefrau Laura und Söhnchen Leo unweit von Frankfurt in Oberursel - platzte aber lange vor dem Startschuss. Am 23. Januar nämlich, als der Vorjahressieger der Frühjahrsklassiker Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix zusammen mit sechs Teamkollegen in Spanien in einen schweren Trainingsunfall verwickelt war.
"Wieder vor heimischer Kulisse einzusteigen ist etwas ganz Besonderes und auch emotional ein tolles Erlebnis. Da wird es auf alle Fälle hin und wieder Gänsehaut geben", hatte Degenkolb unmittelbar vor dem Start gesagt und klargestellt: "Das Ergebnis ist nicht so wichtig."
Vielmehr war das Rennen für Degenkolb der erste Teil eines kontinuierlichen Aufbaus für das große Ziel Tour de France, wo der Deutsche in diesem Juli seinen ersten Etappensieg feiern will. Ob das gelingen wird, hängt auch von der weiteren Genesung ab - noch immer kämpft Degenkolb mit den Folgen der Verletzungen. Neben der Fraktur am Unterarm wurde der linke Zeigefinger in Mitleidenschaft gezogen, Degenkolb hatte sogar eine Teil-Amputation fürchten müssen.