Rad-WM: Tony Martin Weltmeister

SID
Tony Martin ist zum vierten Mal Weltmeister
© getty

Tony Martin saß unter einem Sonnenschirm und strahlte bereits, da war das Rennen noch gar nicht vorbei. Der 31-Jährige wusste, das kann nicht mehr schiefgehen. Zum vierten Mal in seiner Karriere hat sich Martin den WM-Titel im Einzelzeitfahren geholt. "Jeder weiß, dass ich kein gutes Jahr hatte. Dass ich jetzt Weltmeister bin, macht alles vergessen. Ich hatte keinen Druck, es lief alles perfekt", sagte er.

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Als schließlich auch Titelverteidiger Wasil Kirijienka als letzter Fahrer die Ziellinie mit großem Rückstand überquerte, brach ein Jubelsturm los. Martin und seine Betreuer lagen sich in den Armen und feierten enthusiastisch einen Triumph, der nicht bloß ein weiterer Sieg ist. Martin rehabilitierte sich bei der Straßenrad-WM in Katar auch für das Olympia-Desaster von Rio de Janeiro und meldete sich zurück auf dem Zeitfahr-Thron.

Überdies zog er durch das vierte WM-Gold nach 2011, 2012 und 2013 mit dem Schweizer Rekordtitelträger Fabian Cancellara gleich. "Ich zähle die Titel nicht, ich freue mich einfach riesig, dass ich das Regenbogentrikot wieder trage. Das gibt mir auch viel Stärke für die nächste Saison", sagte Martin, der 2017 nach fünf Jahren bei Etixx-Quick Step für das Team Katjuscha-Alpecin fahren wird. "Der Panzerwagen ist zurück", schrieb John Degenkolb bei Instagram.

Martin kämpfte in der Gluthitze von Doha mit weit aufgerissenem Mund um jede Sekunde und war so unantastbar wie zu seinen besten Zeiten. Nach 40 Kilometern deklassierte er in 44:42,99 Minuten (53,671 km/h) die Konkurrenz regelrecht, Kirijienka lag 45 Sekunden zurück, der Spanier Jonathan Castroviejo auf Rang drei 1:10 Minuten. "Die WM war ein großes Ziel. Der Kurs war wie für mich gemacht. Dass ich es so umgesetzt habe, macht mich stolz", sagte Martin. Mit sieben Medaillen ist er nun der erfolgreichste Fahrer in der WM-Zeitfahrgeschichte.

Rio "der Tiefpunkt"

Der gebürtige Cottbuser hatte in den Tagen von Doha ohnehin einen veränderten Eindruck gemacht. Gelöst, entspannt wirkte er. Vorbei das Zweifeln, das Hadern. Es war nicht nur "der Tiefpunkt" in Rio, die WM im Vorjahr in Richmond/USA lief enttäuschend, das Zeitfahren bei der Tour de France ging daneben. Aber in Katar war schon am Sonntag der Auftakt gelungen mit dem Sieg im Teamzeitfahren mit Etixx an der Seite von Marcel Kittel. Am Mittwoch war Martin allein sogar schneller als neun Mannschaften auf derselben Strecke. "Er ist so ein Kämpfer, hat nie aufgegeben und ist jetzt mit einem Knall zurückgekommen", twitterte Kittel.

Noch wenige Minuten vor seinem Start lächelte Martin in die Fernsehkamera. Entschlossen sah er dann aus, als er mit kraftvollen Tritten die Startrampe verließ. Und Martin kam sehr gut in den Wettkampf, bei der ersten Zwischenzeit nach 13,6 km lag er schon knapp vor Kirijienka. Den Vorsprung baute er beständig aus, bereits am zweiten Messpunkt nach 26,7 km gab es kaum noch Zweifel an Martins Sieg.

Auch von der wieder einmal trostlosen und WM-unwürdigen Atmosphäre mit sehr spärlichem Zuschauerinteresse ließ sich der Deutsche nicht irritieren. Wie ein Uhrwerk arbeitete Martin auf dem flachen Kurs und dominierte wie lange nicht. Auf die Hitze hatte Martin sich ohnehin bereits daheim im "eigenen Klimastudio" mit Rollentraining vor einem Heizlüfter eingestimmt.

Martin hat Erwartungen heruntergeschraubt

In Abwesenheit von Cancellara, der seine Karriere nach dem Zeitfahr-Olympiasieg von Rio austrudeln lässt, war Martin eher von anderen hoch gehandelt worden. Er selbst hatte die Erwartungen heruntergeschraubt. "Ich bin mit Prognosen zurückhaltend", meinte Martin auch wegen des indiskutablen olympischen Zeitfahrens, als er 3:18 Minuten hinter Cancellara lag.

Danach kehrte der Wahl-Schweizer zu Altbewährtem zurück. Er baute seine Sitzposition auf der Spezialmaschine wieder zurück auf die seiner erfolgreichen Jahre. Nach dem siebten WM-Platz im Vorjahr hatte Martin für eine noch bessere Aerodynamik ein Experiment mit einer neuen Fahrhaltung gewagt. Das ging jedoch zu Lasten seiner Gesamtleistung. Nun hat Martin die Balance wiedergefunden - und auch die Erfolgsspur.

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