Tour de France - Andre Greipel im Interview: "Jan Ullrich war ein Idol - und ein Phantom"

Von Jan Paul Wiewer
Andre Greipel jubelt über seinen Etappensieg bei der Tour de France 2016.
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Am ersten Ruhetag der Tour de France blickt Andre Greipel auf seine Karriere zurück und spricht im Interview mit SPOX über das Phantom Jan Ullrich, seine Rivalität mit Sprint-Superstar Mark Cavendish und die höllischsten Berge.

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Außerdem verrät der 38-Jährige, wie der perfekte Sprint aussieht, wie sich der Radsport über die Jahre verändert hat und warum Chris Froome auch ohne die großen Erfolge ein absolutes Vorbild ist.

Herr Greipel, Sie haben unzählige Siege in Ihrer Karriere feiern dürfen, welcher sticht ganz besonders hervor?

Andre Greipel: Das Jahr 2011 war für mich sehr speziell, als wir bei meiner ersten Tour-Teilnahme mit Philippe Gilbert das Gelbe Trikot erobern konnten. Das ist für mich ein eingebranntes Erlebnis. Und 2011 konnte ich dann sogar selbst noch einen Etappensieg holen. Damals ist für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen, das vergisst man sein ganzes Leben lang nicht mehr. Dazu kommen natürlich die beiden besonderen Siege auf den Champs-Elysees 2015 und 2016.

Sie sprechen die Siege auf der letzten Etappe an. Das müssen emotionale Explosionen gewesen sein.

Greipel: Absolut. Nach der letzten Etappe einer so strapaziösen Rundfahrt entlädt sich nach der Zielankunft einfach alles. Es fühlt sich an, als ob du eine Mauer durchbrichst - mein Körper schaltet nach der Ziellinie direkt in einen anderen Modus. Und es war die pure Erleichterung, den für uns Sprinter wichtigsten Sprint auf der Welt für mich zu entscheiden. Dieses Gefühl kann mir keiner mehr nehmen, ich werde eines Tages meinen Enkeln stolz davon erzählen. Leider konnte ich damals gar nicht so richtig feiern, weil die Qualen der drei Tour-Wochen einem so enorm nachhängen.

Die Tour lebt neben Triumphen auch von Dramen und Niederlagen, erinnern Sie sich an einen dunklen Tag bei der Tour?

Greipel: Generell erlebt man als Sprinter einige schlimme Tage. Ich bin aber sehr gut im Verdrängen. Bei mir halten solche Erinnerungen vielleicht nur ein paar Stunden. Da ist nach der Etappe der "Bitte-löschen-Knopf" in meinem Kopf direkt aktiviert. (lacht) Im vergangenen Jahr war es enorm schade, dass ich auf der letzten Bergetappe dann doch in den Besenwagen steigen musste, aber die Gesundheit geht immer vor. Ich hatte sehr schlimme Verletzungen und musste mich diesen dann ergeben.

Gibt es Berge oder Anstiege, an die Sie sich im schlechten Sinne ganz besonders erinnern, bei denen sie richtig leiden mussten?

Greipel: Alle! (lacht) Die Pyrenäen sind für mich das schlimmste Gebirge, die mag ich überhaupt nicht. Egal welcher Berg dort, ich habe keinen in guter Erinnerung. Die Anstiege sind so eklig steil und unruhig, mit meinem Körpergewicht ist das keine gute Kombination. Die Alpen sind für mich dagegen in Ordnung. Die Anstiege sind zwar extrem lang, aber wenigstens gleichmäßig.

Andre Greipel fährt bei der Tour de France 2021 für das Team Israel Start-Up Nation.
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Andre Greipel fährt bei der Tour de France 2021 für das Team Israel Start-Up Nation.

Greipel: So krass hat sich der Radsport verändert

Sie sind zu Beginn ihrer Karriere beim Team Telekom gemeinsam mit Legenden wie Jan Ullrich gefahren, was war das für eine Zeit?

Greipel: Der Kontakt war gar nicht so eng, wie man vielleicht denkt. Es war alles sehr getrennt. Ich bin zwar in den Teams gefahren, aber außerhalb von Trainingslagern oder Team-Meetings zu Beginn einer Saison habe ich den Kern der Mannschaft nicht zu Gesicht bekommen. Aber klar, ich musste mich selbst zwicken, als mir bewusst wurde, dass ich im gleichen Team wie Ulle fahre. Jan Ullrich war für mich ein Idol. Im Team aber aus den genannten Gründen eher ein Phantom. Was schade ist, wenn man bedenkt, wohin er den deutschen Radsport geführt hat.

Dieses Jahr fahren Sie in Ihrer 19. Profisaison, was sind die Dinge, die sich im Laufe der Zeit am stärksten verändert haben im Peloton der Profis?

Greipel: Die Wissenschaft hat ihren Einzug in die Radsportwelt erhalten. Das ist die größte Veränderung. Wir fahren heute mit leichtesten Carbonrahmen, früher war Alu der Standard im Feld. Mit der Einführung der elektrischen Schaltung 2010 war der nächste große Schritt in Richtung Leistungsoptimierung getan. So etwas wie die Wattmessung ist für mich jetzt gar nicht mehr wegzudenken. Mit ihr wird mein Training sowie meine Erholung gesteuert. Allgemein ist die Professionalität einfach enorm geworden.

Bei den Anwärtern auf die Gesamtwertung ist das Durchschnittsalter der siegreichen Fahrer in den vergangenen zwei Jahren stetig gesunken, es hat eine Wachablösung stattgefunden. Sprinter wie Mark Cavendish oder Sie siegen dennoch weiterhin, warum ist das so?

Greipel: Mir persönlich hilft Erfahrung enorm viel, doch auch das Team und deren Ausrichtung spielt eine wichtige Rolle. Mark Cavendish fährt seit diesem Jahr wieder für Deceunick Quick-Step, die das absolute Nonplusultra in Sachen Sprintzug sind. Mit Anfahrern wie Michael Morkov oder Kaspar Asgreen kann jeder Sprinter Rennen gewinnen. Die beiden sind wie Mopeds, die dich als Sprinter auf dem letzten Kilometer perfekt abliefern. Dazu kommt, dass einem die Sprintfähigkeit angeboren wird. Mutter Natur hat mich mit schnellen Muskelfasern gesegnet und diese muss man so trainieren, dass ich aus meinen Oberschenkeln das Maximale rausholen kann. Das ist meiner Meinung nach der größte Unterschied zwischen den Generationen. Entweder man wird schnell geboren oder eben nicht. Das kann man sich auch nicht antrainieren.

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