Zeitfahr-Spezialist Tony Martin träumt von einigen Tagen im Gelben Trikot, die Top-Sprinter Marcel Kittel und Andre Greipel greifen nach weiteren Etappensiegen: Die Chancen auf eine Fortsetzung der jüngsten Erfolgsgeschichte deutscher Radprofis bei der Tour de France stehen bei der 102. Ausgabe im Sommer 2015 (4. bis 26. Juli) ausgezeichnet. Die Favoriten auf den Gesamtsieg müssen sich derweil auf zahlreiche Kletterpartien im Hochgebirge einstellen - und ein dramatisches Finale in Alpe d'Huez erwarten.
Zumindest in der ersten Woche könnten die deutschen Fahrer die Frankreich-Rundfahrt ein weiteres Mal in eine "Tour d'Allemagne" verwandeln. Der Startschuss will der entthronte Weltmeister Martin beim Auftaktzeitfahren in Utrecht geben. "Das große Ziel für 2015 ist, beim Auftakt um das Gelbe Trikot mitzukämpfen und es möglichst lange zu verteidigen. Das Zeitfahren ist eine sehr gute Gelegenheit dafür. Die Vorfreude bei mir ist jetzt schon groß", sagte der 29-Jährige dem "SID".
Nur ein Einzelzeitfahren
Zuletzt war das wichtigste Radrennen der Welt 2012 im belgischen Lüttich mit einem Zeitfahren eingeläutet worden. Damals verhinderte ein Reifenplatzer Tony Martins Sprung ins "Maillot jaune". Auf dem 14 km langen Kurs in Utrecht, der das einzige Einzelzeitfahren darstellt, will sich Martin nicht mehr aufhalten lassen. Nach den Auftakterfolgen von Sprint-Star Kittel in den Jahren 2013 und 2014 bestehen gute Aussichten, dass auch 2015 der erste Träger des Gelben Trikots aus Deutschland kommt.
In diesem Jahr hatten die deutschen Fahrer mit sieben Etappensiegen für einen Rekord gesorgt, dabei hatte Kittel mit vier Tageserfolgen maßgeblichen Anteil. Der 26-Jährige, der bei der Strecken-Präsentation im Palais des Congrès in Paris als einer der "Helden der Tour 2014" auf die Bühne gebeten wurde, möchte nahtlos an die guten Leistungen der beiden Vorjahre anknüpfen. "Ich gehe nicht an den Start, um Rekorde zu brechen. Mein Ziel ist wieder, eine Etappe zu gewinnen, alles andere ist Zugabe", sagte Kittel.
Die "Große Schleife" führt über 21 Etappen und 3344 km und endet traditionell auf den Champs Elysees in Paris. Nach dem Start in den Niederlanden führt die Strecke über Belgien nach Nordfrankreich. Dort sind wie bereits 2014 Kopfsteinpflaster-Passagen zu bewältigen, zudem steht ein Mannschaftszeitfahren auf dem Programm. Es folgt der Transfer in die Pyrenäen. Insgesamt kommt die Tour 2015, die gegen den Uhrzeigersinn verläuft, den Kletterern entgegen und umfasst sieben Hochgebirgsetappen. Zum insgesamt 21. Mal startet das Rennen im Ausland, das sechste Mal in den Niederlanden.
Am Ende: Alpe d'Huez und der Galibier
Mit der Entscheidung im Kampf um den Gesamtsieg ist auf der vorletzten Etappe mit Ziel in Alpe d'Huez zu rechnen, wenn auch der Col du Galibier bezwungen werden muss. Der 110 km langen 20. Etappe dürfte ein langer Vierkampf zwischen Titelverteidiger Vincenzo Nibali (Italien), Christopher Froome (Großbritannien), Alberto Contador (Spanien) und Nairo Quintana (Kolumbien) vorausgegangen sein.
Doch neben den Hochgebirgsetappen bietet der Kurs weitere Tücken, die den Favoriten zum Verhängnis werden könnten. So erwartet das Peloton auf dem vierten Teilstück nach Cambrai eine 13,3 km lange Kopfsteinpflaster-Passage, auch beim achten Teilstück zur Mur de Bretagne könnten die Fahrer wertvolle Zeit verlieren. "Die erste Woche ist sehr gefährlich, die letzte sehr schwierig", sagte Astana-Profi Nibali, der auf den holprigen Paris-Roubaix-Abschnitten bei der Tour 2014 den Grundstein für seinen Triumph gelegt hatte.
Klassiker-Spezialist John Degenkolb dürfte sich beide Termine dagegen dick im Kalender angestrichen haben. Nach zwei zweiten Plätzen bei der diesjährigen Tour will der 25-Jährige endlich seinen ersten Tour-Etappensieg - und seinen Teil zur erhofften Erfolgsgeschichte beitragen.