SPOX: Herr Biedermann, meistens, wenn Sie in der Öffentlichkeit auftreten, sind Sie berufsbedingt halbnackt. Wird man da ein eitler Mensch?
Paul Biedermann: Nun ja, dadurch, dass ich zwangsläufig jeden Tag mit meinen Problemzonen konfrontiert werde, beschäftige ich mich schon mit der Frage, wie ich meinen Körper so forme, dass es meinen Ansprüchen genügt. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich ständig anschaue und denke, wie toll ich bin. Das ist überhaupt nicht meine Art. Ich forme meinen Körper so, dass ich möglichst schnell schwimmen kann.
SPOX: Aber aus so einem Körper kann man auch Kapital schlagen. Sie sind seit kurzem gemeinsam mit Sportlegenden wie Roger Federer eines der Gesichter einer Werbekampagne.
Biedermann: Roger Federer bin ich leider nicht begegnet, aber vielleicht kommt das noch. Es war aber schon toll zu sehen, wer alles bei dieser Gillette-Kampagne dabei ist, und es ehrt mich natürlich, ein Teil davon zu sein. In puncto Vermarktung war das eine einmalige Chance für mich, weil das Thema auch gut für mich gepasst hat. Wenn ich schnell schwimmen will, muss ich mich rasieren. Passt doch super! (lacht)
VIDEO: Paul Biedermann beim Werbedreh
SPOX: Wie wichtig ist Vermarktung für Sie?
Biedermann: Klar ist die wichtig. Ich bin Profisportler und möchte von irgendetwas leben. Da gehören Sponsoren einfach dazu. Und so eine Weltfirma wie Gillette ist da schon eine große Hausnummer.
SPOX: Ebenfalls ein Teil dieser Kampagne ist Ihr Schwimmer-Kollege Ryan Lochte. Der ist Ihnen bei der letzten WM gehörig um die Ohren geschwommen.
Biedermann: Puh, Lochte hat sich bei dieser WM wirklich richtig in den Vordergrund geschwommen. Aber ich habe schon davor gesagt, dass man sich nicht nur auf einen Gegner konzentrieren soll, nicht einmal auf einen Mann wie Michael Phelps. Auf den 200 Metern Freistil gibt es so viel Konkurrenz, jetzt vielleicht sogar wieder durch Rückkehrer Ian Thorpe: Das wird bei Olympia in London ein richtiges Kracher-Finale werden!
SPOX: Aber was wird dann aus dem großen Duell Biedermann gegen Phelps? Kämpfen Sie in London um die Plätze fünf und sechs?
Biedermann: Den anderen wäre es vielleicht sogar recht, wenn sich der Fokus auf Phelps und mich richten würde. Aber es ist klar, dass alle Acht, die sich für das Finale in London qualifizieren werden, die Möglichkeit haben, Olympiasieger zu werden.
SPOX: Seit Ihrem WM-Titel 2009 sind aber Sie der Mann, der Phelps geschlagen hat. Das hat Sie von heute auf morgen auf die Weltkarte im Schwimmen gebracht.
Biedermann: Ich denke schon, dass mir das viel gebracht hat, denn es ging in der Tat durch alle Medien. Aber ich scheue nach wie vor den Vergleich mit Phelps. Er hat so viele olympische Goldmedaillen zu Hause, ich noch gar keine. Ich war damals einfach nur der Erste, der Phelps in einem großen Rennen geschlagen hat.
SPOX: Schauen Sie sich von Phelps etwas ab?
Biedermann: Natürlich machen wir Videoanalysen von den Wettkämpfen, insbesondere die Bilder der Unterwasserkamera sind spektakulär. Phelps hat vor allem seinen Delphin-Beinschlag nach dem Start und den Wenden zur Perfektion entwickelt. Ich quäle mich jeden Tag, um dieses Niveau zu erreichen.
SPOX: Gibt es beim Schwimmen eigentlich ähnliche Psychospiele vor dem Start wie man sie von den Sprintern in der Leichtathletik kennt?
Biedermann: Ich habe so etwas eigentlich nicht erlebt. Vor dem Start spult jeder Athlet seine eigenen Rituale ab. Wir wissen alle, dass wir vor dem Start die größten Sprüche klopfen können, zählen tut es aber immer im Wasser. Die wenigsten stehen da und klopfen sich auf die Brust, wie toll sie doch sind. Sie wissen alle, welche Entbehrungen sie in Kauf nehmen mussten, um Weltspitze zu sein. Das erdet.
SPOX: Selbst Michael Phelps ist nach seinen 14 Olympiasiegen noch geerdet?
Biedermann: Ich kenne ihn nicht privat, aber wenn wir bei Wettkämpfen miteinander reden, erzählt auch er von Dingen, die er noch verbessern möchte. Er tritt nicht so auf, als wäre er der Allergrößte.
SPOX: So wird er allerdings von vielen gesehen. Wie ist Ihr Standing unter den Kollegen?
Biedermann: Na ja. Nach dem WM-Titel 2009 stand hinter mir schon ein Fragezeichen. Kann der auch ohne diese Hightech-Anzüge schwimmen? Ich glaube, so richtig ernst nimmt man mich seit der WM 2011. Ich bin zwar "nur" dreimal Dritter geworden, aber ich habe allen gezeigt, dass ich auch ohne Anzug ganz vorne mithalten kann.
SPOX: Wie lautet demzufolge Ihre konkrete Zielsetzung für Olympia in London?
Biedermann: Eine olympische Medaille ist mein absoluter Traum. Meine Zielsetzung ist jedoch, unter die Top Fünf zu kommen.
SPOX: Können Sie Platz fünf bei Ihrer erfolgreichen Vorgeschichte wirklich in der Öffentlichkeit als Erfolg verkaufen?
Biedermann: An den öffentlichen Druck habe ich mich im Laufe der Jahre gewöhnt. Man legt sich da ein dickes Fell zu.
SPOX: Sie haben überhaupt keine Versagensängste?
Biedermann: Das Kribbeln merkt man schon. Denn das, was ansteht, ist nun einmal etwas ganz Besonderes. Der Druck wird auf jeden Fall zunehmen. Ich habe zwar vor, auch 2016 in Rio noch dabei zu sein, aber ich denke schon: Mensch, jetzt bist du genau im richtigen Alter. Letztlich kommt es darauf an, das Positive der tollen Erfahrung Olympia als Motivation zu nehmen anstatt zu sagen: Das muss jetzt klappen, sonst kommt die Chance vielleicht nie wieder.
SPOX: Interessanter Weise war Ihre Freundin Britta Steffen 2008 genau in der Situation, in der Sie jetzt sind. Wie sehr hilft sie quasi als Sportpsychologin im eigenen Haus?
Biedermann: Darüber reden wir natürlich. Britta ist in dieser Beziehung ein riesiges Vorbild für mich und ich frage sie selbstverständlich danach, wie sie das damals gemacht hat. Es gibt aber keine Universalantwort. Das muss jeder für sich selbst regeln.
SPOX: Ist es leichter, sich als Paar gemeinsam auf Olympia vorzubereiten, weil man auf den Partner keine Rücksicht nehmen muss und sich voll aufs Training konzentrieren kann?
Biedermann: Die Tatsache, dass wir beide in der gleichen Situation sind, macht vieles leichter. Wir wissen beide genau, worauf wir uns eingelassen haben und dass so eine Vorbereitung auf ein Großereignis mit vielen Entbehrungen verbunden ist.
SPOX: Wie ist der Fahrplan bis London?
Biedermann: Wir machen erst ein Trainingslager auf Teneriffa, dann folgen die deutschen und die Europameisterschaften. Dann haben wir uns hoffentlich qualifiziert und gehen in noch zwei weitere Trainingslager, bevor es nach London geht.
SPOX: Bleibt da überhaupt noch Zeit für Privatleben?
Biedermann: Es gibt noch Privatleben, aber natürlich muss man in der heißen Phase des Trainings auf einiges verzichten. Wenn es dann vorbei ist und wir hoffentlich gute Ergebnisse erzielt haben, können wir uns eine längere Auszeit nehmen. Das werden wir dann auch tun.
SPOX: Was ist aktuell mit Ihrer Begeisterung für Online-Rollenspiele?
Biedermann: Die habe ich noch, sie begleitet mich seit meiner Jugend und ist ein Teil von mir. Aktuell habe ich "Star Wars: The old Republic" für mich entdeckt. Klar fährt man das in der Olympia-Vorbereitung auch deutlich zurück, aber abends mal eine Stunde ist drin.
SPOX: Auch Heavy Metal ist ein Teil von Ihnen.
Biedermann: Stimmt, mein Onkel hat mich dazu gebracht. Er hat mir damals das erste Album von Rammstein gegeben. Seitdem bin ich riesiger Fan.
SPOX: Sie haben sogar einmal ein Doppelinterview mit Rammstein-Sänger Till Lindemann gegeben.
Biedermann: Das ist das Tolle daran, dass man eine gewisse Popularität hat. Man bekommt die Chance, einige seiner Idole aus der Jugend sogar mal persönlich zu treffen.
SPOX: Wen würden Sie sonst gerne mal treffen?
Biedermann: Ich würde gerne mal wieder Metallica live sehen. Das letzte Mal in Gelsenkirchen ist schon wieder sehr lange her. Generell hätte ich gerne mehr Zeit, auch mal auf ein Festival wie Wacken zu gehen. Aber der Zeitpunkt Anfang August ist in diesem Jahr wieder sehr schlecht. (lacht)
SPOX: Ein gutes Beispiel für meine nächste Frage. Haben Sie sich je gefragt, ob der Erfolg im Sport die ganzen Entbehrungen seit der Jugend wert ist?
Biedermann: Ja, er ist es ganz klar wert. Auch als ich noch nicht die großen Erfolge gefeiert habe, hat mir in meinem Leben nichts gefehlt. Mein Sport erfüllt mich. Ich hatte nie das Gefühl, etwas zu verpassen, auch nicht, wenn ich in der Jugend nicht auf Partys gegangen bin. Im Gegenteil bietet mir der Sport die Möglichkeit, Dinge zu erleben, die ich sonst nie erlebt hätte.
SPOX: Wie für alle Profis wird auch für Sie ein Leben nach dem Sport kommen. Wie könnte das aussehen?
Biedermann: Ich will auf jeden Fall noch bis 2016 schwimmen, habe aber vor, vorher schon ein Studium zu beginnen. Denn es ist meiner Meinung nach ganz wichtig, nach der Karriere einen anderen Beruf anzustreben. Ich habe das Glück, im Moment von meinem Sport leben zu können, aber es wird sicher nicht für den Rest des Lebens reichen. Da hat mir Roger Federer etwas voraus. (lacht)